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CORREOS/181: "Richtig arm sind wir erst, wenn wir den Amazonas definitiv zerstört haben"


Correos des las Américas - Nr. 176, 16. Dezember 2013

«Richtig arm sind wir erst, wenn wir den Amazonas definitiv zerstört haben»

Barbara Müller interviewt Eriberto Gualing



«Es ist nicht meine Bestimmung, öffentlich aufzutreten, aber ich habe von den Dorfautoritäten die Erlaubnis bekommen, zu euch sprechen», sagt Eriberto Gualingo anlässlich einer Filmvorführung seines Films «Die Kinder des Jaguars». Der rund 30-minütige Film erzählt vom erfolgreichen Kampf der Indigenen von Sarayaku gegen das Öl-Projekt eines argentinischen Unternehmens und gegen den ecuadorianischen Staat. Der Film wurde auf verschiedenen internationalen Festivals gezeigt und hat diverse internationale Preise gewonnen. Die Art, wie Eriberto spricht und die Art, wie er filmt, mit grosser Nähe zum Thema und den ProtagonistInnen, lassen die Zuschauerin spüren, dass auch er ein «Kind des Jaguars» ist.


Barbara Müller: Wie kommt es, dass ein junger Indigener, der im Amazonas aufgewachsen ist, Regisseur eines Dokumentarfilms wird, der internationale Preise gewinnt?

Eriberto Gualing: Ich war schon immer von der Kunst begeistert: Malerei, Musik, Video, Schauspielerei. Deshalb wollte ich das Videofilmen erlernen. Mein Ziel war, vor allem mündliche Überlieferungen aus dem Amazonas zu dokumentieren; alles, was vom Vater an den Sohn, von der Mutter an die Tochter weitergegeben wird. Ich wollte mit meinen Filmen ein visuelles Archiv anlegen. So habe ich in Quito und in anderen Ländern das Videofilmen erlernt. Ich hatte die Möglichkeit, mit einem unabhängiges Produzenten in Quito zu arbeiten und später auch mit internationalen Produzenten. Das war vor zirka 15 Jahren.

Barbara Müller: Am Schluss hast du aber nicht das historische Gedächtnis und die überlieferten Geschichten des Amazonas verfilmt, sondern eine sehr reale aktuelle Geschichte.

Eriberto Gualing: Ich habe die Probleme gefilmt, unter denen die indigenen Gemeinden des Amazonas leiden, die Extraktionsprojekte der Regierung und die Verfolgung durch die Erdölunternehmen. Video ist ein wirksames Mittel, um den Leuten «draussen» aufzuzeigen, was im Amazonas geschieht. Die indigenen Völker haben häufig keinen Zugang zu den modernen Kommunikationmitteln. Deshalb sind viele ihrer Geschichten und ihrer Sprachen verloren gegangen. Diese Kommunikationsmittel sind für uns gewöhnungsbedürftig, aber es ist für unser Überleben wichtig, dass wir uns gewisse Technologien aneignen und die Werkzeuge der Kommunikation zu nutzen wissen. Über Internet kannst du deine Realität, deine Art zu Denken, deine Lebensweise und dein Lebensumfeld bekannt machen. Wichtig ist, dass dies aus der Perspektive der indigenen Völker erzählt wird und nicht ein aussenstehender Produzent kommt und aus seiner Sicht und auf seine Art über uns berichtet. Es muss von den indigenen Leuten kommen und für sie sein - und natürlich auch für die Gesellschaft im Allgemeinen.

Barbara Müller: Besteht nicht die Gefahr, dass so die mündliche Überlieferung gänzlich verloren geht?

Eriberto Gualing: Diese Gefahr besteht, aber wir haben auch festgestellt, dass es wichtig ist, ein visuelles Archiv zu haben. Bücher, Fotos, Dinge, die du nicht mit Worten erzählen kannst. Damit die Kinder von heute sehen und wissen, wer ihre Grosseltern waren, die diesen Kampf begonnen haben und weshalb sie ihn geführt haben. Und damit sie verstehen, dass der Kampf nicht vergebens war, dass es ein Kampf fürs Leben ist, der sich auch in den künftigen Generationen spiegeln wird.

Deshalb ist es wichtig, sich mit den sozialen Medien zu beschäftigen, aber wir dürfen uns nicht darin verlieren. Wir müssen lernen, sie auf eine positive, angemessene Art zu nutzen - für eine gerechte Sache.

Barbara Müller: In deinem Film dokumentierst du die letzte und erfolgreiche Etappe des Kampfs der Indigenen von Sarayaku gegen ein transnationales Unternehmen und gegen den ecuadorianischen Staat. Sicher gab es in diesem Kampf auch weniger erfolgreiche und schwierige Zeiten. Was waren für euch die schwierigsten Momente?

Eriberto Gualing: Wir leben in einem Dorf, wo wir alles haben, was wir zu einem bequemen Leben brauchen. Wenn du aber tiefer in den Urwald gehst, wird es bald sehr unbequem. Wir haben als eine Strategie unserer Kampfes am Rande unseres traditionellen Stammesgebiets sogenannte «Friedens-Camps» errichtet, um den Leuten der Ölfirmen den Zugang zu unseren Territorien zu verweigern. Diese lagen zwei bis drei Tagesmärsche von unserem Dorf weg. Und sie bedeuteten Mücken, Regen, Feuchtigkeit, Hitze, Hunger. Dazu kommt, dass die Ölfirmen, die Minenunternehmen und der Staat Militär und private Sicherheitskräfte schickten, es gab Zusammenstösse, Verhaftungen und Fälle von Folter. Mit der Zeit wurde auch das Essen knapp, da viele unserer Projekte zurückgestellt werden mussten, die Felder konnten nicht mehr bestellt werden, die Schulen wurden geschlossen, alle Jugendlichen gaben ihr Letztes, um den Urwald zu verteidigen.

Man fühlte sich irgendwie ohnmächtig. Ich hatte eine Kamera, aber im Urwald hat die nur halbwegs funktioniert, die Batterien hielten nicht lange, es war keine wirklich gute Kamera. Aber es gelang uns, alles zu dokumentieren und wir liessen es Journalisten und Medien zukommen, in der Hoffnung, sie würden auf unsere Situation aufmerksam. Es gab erste Berichte, und die Bevölkerung begann sich zu fragen, was los ist. Bis es soweit war, hat es uns aber viel Tränen, Schweiss, Krankheiten und phsysische Kraft gekostet.

Barbara Müller: Wie lange dauert euer Kampf schon?

Eriberto Gualing: Sarayaku kämpft seit 35 Jahren. Die schlimmsten Jahre waren 2002 bis 2005, das waren die Jahre der Zusammenstösse und die Zeit, wo es auch eine reale Präsenz des Ölunternehmens gab. Wir wurden immer wieder von Helikoptern des Militärs und des Unternehmens überflogen, unsere Kinder wurden völlig traumatisiert.

Barbara Müller: 2012 fällte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil zu euren Gunsten. Welche Empfehlungen gab er an die ecuadorianische Regierung ab und was ist bis heute davon umgesetzt worden?

Eriberto Gualing: Die wichtigste Empfehlungen ist, dass noch in der Erde liegender Sprengstoff entfernt werden muss. Um nach Öl zu suchen, machte man Sprengungen und in unseren Böden liegt immer noch 1,5 Tonnen Sprengstoff, in einer Region, in der wir früher viel jagten und die wir heute nicht mehr betreten können. Eine weitere Empfehlung war, dass der Staat uns öffentlich um Verzeihung bittet für die Schäden, die Sarayaku zugefügt wurden. Weiter ging es um Entschädigungszahlungen, darum, dass das Urteil in unsere Sprache übersetzt wird und dass wir bei allen zukünftigen Projekten konsultiert werden.

Umgesetzt davon wurde bisher die Übersetzung des Urteils, die Funktionäre der Regierung, Polizei und Militär bekamen eine Weiterbildung in Sachen indigenes Recht und Menschenrechte, ebenfalls wurden die Entschädigungszahlungen überwiesen, aber die öffentliche Entschuldigung steht noch aus, ebenso die Entfernung des Sprengstoffs und die Konsultation bei weiteren Projekten.

Barbara Müller: Was hat sich durch dieses Urteil in der Gemeinde verändert?

Eriberto Gualing: Das Urteil hat unseren Kampf und Protest gestärkt. Die Medien sind auf Sarayaku aufmerksam geworden, die Pressekonferenzen zeugen davon, dass hier etwas wichtiges geschieht. Innehalb Ecuadors ist Sarayaku zu einem Referenzpunkt für Organisation und Widerstand geworden. Jetzt wollen wir unsere Erfahrungen mit anderen Gemeinden in- und ausserhalb Ecuadors teilen.

Barbara Müller: Was habt ihr mit dem Geld aus den Entschädigungszahlungen gemacht?

Eriberto Gualing: Die Sarayaku haben viel über das Geld nachgedacht. Es besteht ein grosses Risiko, dass die Gemeinschaft durch das Geld gespalten oder korrumpiert wird, was auch die Absicht der Regierung ist. Aber die Sarayaku haben entschieden, das Geld in ein Flugunternehmen für die indigenen Völker zu investieren (die nächste grössere Stadt liegt eine Tagesreise im Kanu oder eine halbe Flugstunde von Sarayaku entfernt, die Red.). Das Geld soll gewinnbringend angelegt werden und der Ertrag aus dem Unternehmen in Bildung und Gesundheitsversorgung der Sarayaku und der umliegenden kleinen Gemeinden investiert werden. Wir wollen nicht von NRO oder vom Staat abhängig sein, sondern unsere eigenen Einnahmequellen haben, um autonom unsere Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Wir wollen drei Kleinflugzeuge kaufen, haben unsere eigenen indigenen Piloten, ja, meine Kollegen sind Piloten, und wir haben auch Leute, die wissen, wie man ein Unternehmen führt.

Barbara Müller: In der Delegation, die nach Costa Rica fuhr, hatte es einen grossen Frauenanteil und auch im Film sieht man, dass die Frauen eine wichtige Rolle im täglichen und gemeinschaftlichen Leben spielen.

Eriberto Gualing: Ja, bei uns haben die Frauen eine wichtige Rolle. Für die Frauen ist das Land wie eine Frau, wie eine Mutter. Deshalb ist für sie die Verteidigung der Erde, des Territoriums, sehr wichtig. Aber die Männer stehen in nichts zurück. Es ist ein Zusammenspiel, ein Gleichgewicht - gemeinsam kämpfen wir für unser Land. Aber die Frauen haben dieses Charisma, dieses Konzept, dass das Land eine Frau ist und eine Mutter, die man schützen muss, damit auch sie uns, ihre Kinder, weiterhin schützt.

Barbara Müller: Wie siehst du die Zukunft für die Sarayku und generell für das Thema des Erdöls in Ecuador?

Eriberto Gualing: Wir hoffen, dass Veränderungsvorschläge für alternative Entwicklungsmodelle diskutiert werden können, sowohl in Ecaudor wie auch weltweit. Man darf das Öl nicht als etwas sehen, womit man schnell Geld machen kann. Wir Sarayaku haben auch nicht die Patentlösung, nach dieser müssen wir alle gemeinsam suchen. Insofern möchten wir Sarayaku zu einem Beispiel werden für andere Geimeinschaften und indigene Völker in Lateinamerika und anderswo.

Im Moment wird ein neues Lebenskonzept diskutiert, das wir «Kawsay Sacha - Lebender Urwald» nennen. Das bedeutet, dass die verschiedenen Ökosysteme im Urwald, vom mikrokleinsten bis zum grössten Tier, die spirituellen Wesen, die Bäume, die Wasserfälle und Lagunen zusammengehören und nur in dieser Einheit bewahrt werden dürfen. Wir wollen, dass dieses Territorium frei von jeglicher Öl-Verschmutzung bleibt. Diese neuen Kategorisierungen und Lebenskonzepte müssen von unserer Nationalversammlung angenommen werden, ebenso von der UNO. Es sollen keine Nationalpärkte mehr sein, die nach ein paar Jahren dann doch ausgebeutet werden, sondern diese Gebiete sollen für immer frei von Verschmutzung sein und eine andere Form von Entwicklung erfahren.

Barbara Müller: Etwa so wie in Bolivien, wo die Erde, das Land per Verfassung ein Rechstsubjekt ist?

Eriberto Gualing: Selbst in Bolivien werden die indigenen Völker von der Regierung nicht respektiert. Die Rechte der Natur sind konstitutionell festgelegt, auch hier in Ecuador, aber auch unsere Regierung respektiert in diesem Punkt die Verfassung nicht. Wir wollen weitergehen, eine noch strengere Kategorisierung erreichen, eben die des «Lebenden Urwalds», der alles umfasst und frei ist von Extraktionsprojekten. Das würde uns erlauben, etwas ruhiger atmen und leben zu können und würde uns die Grundlage geben, auf der wir juristisch gegen die Ölunternehmen kämpfen könnten. Dies wird nicht einfach sein, das sind sicher nochmals zehn weitere Jahre des Kampfes.

Barbara Müller: Eine Etappe in diesem Kampf wurde gerade verloren: Die Regierung von Raphael Correa hat den Startschuss gegeben, um das sogenannte ITT-Projekt im Yasuní-Nationalpark umzusetzen ...

Eriberto Gualing: Die Regierung hat die Erlaubnis für die Ölausbeutung in diesem Gebiet gegeben, weil berechnet wurde, dass es dort unglaublich viel Öl hat, mit dem unglaublich viel Geld gemacht werden kann, mit dem Ecuador dann «entwickelt» werden soll. Wir glauben das nicht. Es wird immer nur der Wert des Öls berechnet, warum berechnet man nicht einmal den Wert der indigenen Völker, die dort leben, oder den Wert eines Baums, eines Insektes? Dieser Wert ist viel grösser als derjenige des Öls. Aber sie lassen sich nur von leicht zu verdienendem Geld inspirieren. Diese schrecklichen Erfahrungen haben die indigenen Völker im Norden Ecuadors machen müssen: Dort, wo Öl gebohrt wird, sind die Leute ärmer als zuvor, sie haben kein Land mehr zum Bebauen und können sich nicht mehr in den Flüssen waschen, sogar der Regen ist verschmutzt. Diese Erfahrungen beweisen, dass wir arm bleiben werden. Wir hatten schon immer Öl in Ecuador, weshalb sind wir dann nicht reich? Weshalb soll es jetzt plötzlich mit dem Yasuní-Park einen Fortschritt geben? Wir glauben nicht daran. Erst wenn wir den Amazonas definitiv zerstört haben, sind wir richtig arm.

Barbara Müller: Was ist die Botschaft, die du an uns EuropäerInnen hast?

Eriberto Gualing: Ihr müsst begreifen, dass die indigenen Völker nicht nur für sich allein kämpfen, sondern dass der Urwald für die ganze Welt und für jeden und jede einzelne wichtig ist. Ihr müsst euch dem aktuellen Kampf anschliessen, Briefe und Protestschreiben unterzeichnen, damit dieser Kampf immer grösser und stärker wird, und nicht der eines kleinen Volks in Ecuador bleibt. Der Kampf muss universell sein. Wir haben nicht mehrere Amazonas, sondern nur einen, und der wird immer kleiner. Wenn wir den Amazonas zerstört haben, können wir nicht einfach einen neuen erfinden. Der Moment, in dem wir alle ihn verteidigen müssen, ist JETZT. Später dürfen wir uns dann nicht beklagen.

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Der Kampf der rund 2000 Indigenen von Sarayaku gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage begann 1989, als sie erste Ölborungen in ihrem Territorium verhinderten. Doch die Geschichte der Ölförderung im ecuadorianischen Amazonas ist älter: Zwischen 1971 und 1991 förderte der US-Konzern ChevronTexaco rund 1,5 Milliarden Barrel Öl (1 Barrel - 158 Liter) und hinterliess ein ökologisches Desaster: Millionen von Litern Rohöl und hochgiftiges Abwasser sickerten in Boden und Flüsse, riesige Flächen Regenwald wurden für die Infrastuktur der Unternehmen gerodet.

Sarayaku hat sich von Anfang an gegen sämtliche Aktivitäten der Ölförderung gewehrt und ist stark in den Kampf der indigene Bewegung für den Erhalt des Amazonas integriert. 1992 ist der Gemeinde von Sarayaku ebenso wie anderen Gruppen ihr Land offiziell zugesprochen worden. Doch der Staat verfügt nach wie vor über alles, was unter der Oberfläche ist. So hat die Regierung 1996 das Gebiet in Erdölblöcke unterteilt und dem argentinischen Konzern CGC die Konzession für das als Block 23 ausgewiesene Gebiet zugeteilt. Doch die Explorationsarbeiten mussten aufgrund des Protests der Bevölkerung gestoppt werden. Ein jahrelanger Kampf begann, begleitet von der Zermürbungsstrategie der Regierung und des Unternehmens. Mitte 2004 erliess die Interamerikanische Menschenrechtskommission erstmals provisorische Massnahmen zugunsten der indigenen Bevölkerung der Region, doch die Fristen verstrichen, bevor die ecuadorianische Regierung sie umsetzte. Die Sarayaku zogen ihre Klage weiter vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo ihnen im Juli 2012 nach zehn Jahren Recht zugesprochen wurde: Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt in seinem Urteil die Verantwortung des Staates für die Verletzung der Rechte der Sarayaku. Der Film «Die Kinder des Jaguars» dokumentiert die Vorbereitungen der Gemeinde und einer ausgewählten Delegation auf die Verhandlung vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 176, 16. Dezember 2013, S. 3-5
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2014