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CORREOS/200: Guatemala - Nichts Neues von alten Bekannten


Correos de las Américas - Nr. 181, 15. Mai 2015

Nichts Neues von alten Bekannten

von Barbara Müller


Spektakulär lesen sich die Nachrichten des jüngsten Coups der Internationalen Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala (CICIG) und der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft: Am 16. April kündigten sie die Zerschlagung des Schmuggelrings «la Línea» an, der aus den obersten Etagen der Steueraufsichtsbehörde (SAT) operierte und dessen Kopf der Privatsekretär der Vizepräsidentin Roxana Baldetti, Juan Carlos Monzón Rojas, ist. Der Skandal führte am 8. Mai zum Rücktritt der Vizepräsidentin


Über 1000 Unternehmen sollen in die Korruptionsaffäre verwickelt sein, Namen wurden bisher keine genannt. Unter den bisher 23 verhafteten Personen befinden sich einige hohe Amsträger der SAT und der Zollbehörde, aber auch Externe. An einer Pressekonferenz erklärte die CICIG, dass in den acht Monaten, während denen »La Línea» überwacht wurde, mehr als 500 Container die verschiedenen Grenzen des Landes überquert haben, für die nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Einfuhrgebühren bezahlt wurden. «La Línea» bot den Importeuren die Möglichkeit «vergünstigter» Zölle an, wobei die Importeur nur 40% der eigentlichen Zölle an die SAT bezahlten, 30 weitere Prozent gingen direkt an «La Línea» und 30% behielten die Importeure für sich. Dem Staat gingen dabei bis zu 106 Mio. Euro verloren.

Gemäss Iván Velásquez, dem Leiter der CICIG, begannen die Ermittlungen im Mai 2014. Durch minuziöse Recherchen und Überwachungen konnte aufgedeckt werden, wie das Netzwerk innerhalb der Zoll- und Steurbehörde seine Leute in strategischen Positionen platzierte. Die Untersuchung umfasste die Überwachung von Personen, die Auswertung von 66.000 Telefongesprächen und 6.000 Emails und die Analyse von Dokumenten durch FinanzexpertInnen. Damit - so Velásquez - beruhe die Anklage nicht auf ZeugInnenaussagen, sondern auf objektiven Beweisen und Dokumenten.


Alte Bekannte

Soweit so gut, aber irgendwie auch nicht erstaunlich. Zu viele Namen von «alten Bekannten» tauchen in dieser Geschichte auf. Laut Velázquez ist unter dem Begriff «Netzwerk» ein Gebilde zu verstehen, das weder eine staatliche Institution, noch ein rein private Unternehmen ist, sondern etwas transnationales, das sich zwischen dem Staat und den Unternehmen, zwischen öffentlich und privat bewegt. Es strebt politische und wirtschaftliche Macht an, Straflosigkeit und exorbitante Einnahmen. Eine solche Struktur entsteht natürlich nicht aus dem Leeren. Aus den abgehörten Gesprächen zwischen Importeuren und Mitgliedern des Netzwerks leitete die Staatsanwaltschaft ab, dass diese Art von Korruption nichts Neues ist, aber unter «la Línea» ein neues Extrem erreicht hatte. Auch tauchen die Namen von alten Bekannten wieder auf, wie zum Beispiel Francisco Javier Ortiz Arriaga, ein Protagonist des «Fall Moreno» (siehe weiter unten). Ortíz Arriaga arbeitete damals in der Zollbehörde und war nicht nur Mitglied vom «Red Moreno», sondern später Kronzeuge gegen das Netzwerk, was ihm einen Gefängnisaufenthalt ersparte. Die Verbindung zu Ortiz Arriaga ist nicht zufällig und geht auf eine lange Tradition von kriminellen Netzwerken zurück, in die Militärs, speziell Geheimdienstleute, verwickelt waren.

Oder Luis Mendizábal, Besitzer der Boutique Emilio, in der sich nicht nur die führenden Köpfe von «La Línea» zu Zusammenkünften getroffen haben, sondern in der 2009 auch das berühmte Video von Rodrigo Rosenberg aufgenommen und verbreitet hatte, in dem der damalige Präsident Alvaro Colom und seine Frau Sandra Torres fälschlicherweise beschuldigt werden, die Ermordung von Rosenberg in Auftrag gegeben zu haben.


Ein Blick zurück

Die guatemaltekische Steueraufsichtsbehörde (SAT) wurde im Jahr 1998 geschaffen, theoretisch, um das Steuereintreibungsverfahren zu modernisieren. Dies geschah kurz nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen während der Regierung von Alvaro Arzú und nach dem Auffliegen des Schmuggelrings um Alfredo Moreno Molina, der den guatemaltekischen Staat um Steuererträgen in ählicher Höhe wie «la Línea» gebracht hatte. Zum «Red Moreno» gehörten Angehörige des guatemaltekischen Militärs und der Regierung, die damals für die Kontrolle der Grenzen zuständig waren. Viele von ihnen gehörten früher zwei berühmt-berüchtigten Strukturen innerhalb des militärischen Geheimdienstes an, der «Cofradía» und dem «Sindicato», die eng mit den beiden Ex-Generälen Francisco Ortega Menaldo und Otto Pérez Molina (heutiger Präsident) verbandelt waren. Roxana Baldetti, unterdessen Vizepräsidentin, kennt ihrerseits Menaldo seit Anfang der 90er Jahre, als sie Sprecherin des damaligen Präsidenten Jorge Serrano Elías war.

Unter die Fittiche von Pérez Molina und Baldetti kam die SAT während der Regierung von …scar Berger. Kandidiert hatte dieser im Jahr 2003 für die Grosse Nationale Koalition (GANA), die sich von der bereits legalisierten Patriotischen Partei (PP) von Pérez Molina und Baldetti die «Papiere» lieh. Im Gegenzug bekam die PP die Leitung des Tourismusinstituts sowie drei weiterer für die Kontrolle bzw. Administration von Verbrechen wichtiger Stellen: Die Migrationsbehörde, die Zoll- und die Steueraufsicht.

Als dann zwei Präsidentschaften später Pérez Molina und Baldetti definitiv an die Macht kamen, verging keine Woche, bis sie den Hafen Puerto Quetzal privatisierten und der öffentlichen Aufsicht entzogen. Im Verlauf seiner Regierungszeit «übernahm» Pérez Molina faktisch die SAT, indem er Militär in die Grenzbehörden beorderte mit der Begründung, die Steuereinnahmen zu erhöhen und den Schmuggel einzudämmen (oder um ihn zu organisieren ...). Derweil schleuste Baldetti ihre Vertrauensperson Claudia Méndez Ascencio als Zollverwalterin in die SAT. Auch der nun verhaftete Leiter der SAT, Omar Franco, sowie sein ebenfalls verhafteter Vorgänger Carlos Muñoz wurden direkt vom Präsidenten und seiner Vize ernannt.


Erste Reaktionen

Der CICIG gelang mit dem Aufdecken von «la Línea» ein Erfolg, den sie dringend nötig hatte: Der für ihre Mandatsverlängerung zuständige Präsident liess noch vor kurzem verlauten, er werde sich weder nationalem noch internationalem Druck beugen. Um seine eigene, sehr angekratzte Glaubwürdigkeit zu bewahren, winkte er sie wenige Tage nach dem Aufdecken des SAT-Skandals durch, sehr zur Freude der guatemaltekischen Menschenrechtsorganisationen und der internationalen Gemeinschaft. Selbst der Unternehmerverband CACIF, der sich bisher immer gegen Einmischung in die Souveränität des Staates wehrte, liess verlauten, dass «jeglicher Einsatz zur Bekämpfung von Straffreiheit und Korruption fundamental für Guatemalas Unternehmertum» sei. Ebenso würden Unternehmen, die vom Korruptionsnetz «la Línea» profitiert hätten, umgehend aus dem Verband ausgeschlossen. Ein grosses Fragezeichen bildet die Tatsache, dass die CICIG bisher die Namen der involvierten Unternehmen nicht bekannt gegeben hat.

Am 27. April versammelten sich rund 30.000 Personen auf dem Hauptplatz der guatemaltekischen Hauptstadt zu einer ersten Demonstration und verlangten den Rücktritt von Präsident Otto Pérez Molina und der Vizepräsidentin Roxana Baldetti. Diese #RenunciaYa-Bewegung ist seit langem die grösste Protestaktion in Guatemala, die nicht von einer politischen Gruppierung organisiert wurde, sondern spontan aus der empörten Zivilgesellschaft entstand. Die Proteste halten auch eine Woche später noch und dehnen sich auf andere Städte des Landes aus. Eine Gruppe von sieben Frauen und Männern kettete sich an die Tore des Nationalpalasts, wo sie bleiben wollten, bis Roxana Baldetti zurückgetreten ist. Was am 8. Mai Tatsache wurde.

Eine mutige und vielversprechende Aktion, die hoffentlich andauert. Am 3. Mai wurde nämlich offiziell der Wahlkampf für die im kommenden September stattfindenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eröffnet. Unter den KandidatInnen für die Präsidentschaft finden sich ebenfalls «alte Bekannte», so zum Beispiel die oben erwähnte Sandra Torres. Oder Alejandro Giammattei, während dessen Amtszeit als Gefängnisdirektor die Ermordung von sieben Häftlingen stattfand (Caso Pavón), wegen der Erwin Sperisen(*) in der Schweiz vor Gericht steht. Giammattei selber stand in dieser Sache in Guatemala vor Gericht, er wurde jedoch freigesprochen von derselben Richterin, welche die Annullierung der Verurteilung von Ríos Montt wegen Genozides anordnete.

Über die blosse Forderung nach einem Rücktritt von Pérez Molina und Baldetti gehen jene der Nationalen Mayakoordination Waqib Kej. Sie, fordert nebst dem Rücktritt der Regierung eine Verschiebung der Wahlen und die Einberufung einer partizipativen verfassungsgebenden Versammlung, welche den guatemaltekischen Gesetzesrahmen gänzlich neu gestalten soll.

Eine weitere Folge des Korruptionsskandals rund um die SAT ist auch der Rücktritt des Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei Alejandro Sinibaldi. Selbst einer der Günder der PP, legte er im letzten Herbst seinen Posten als Verkehrsminister nieder, um seine Kandidatur vorzubereiten. Als Gründe für seinen Rücktritt als Präsidenschaftskandidat gab er nebst dem jüngsten Skandal an, seine Kandidatur sei von Roxana Baldetti vorsätzlich sabotiert worden. Bisher hat die PP noch nicht bekannt gegeben, wer ihr neuer Kandidat oder ihre neue Kandidatin ist.


Gesucht wird ...

Nach wie vor flüchtig ist der Kopf von «La Linea», der ehemalige Privatsekretär der Vizepräsidentin, Juan Carlos Monzón Rojas. Als der Skandal aufflog, befand er sich mit seiner Chefin auf einer Reise in Südkorea, wo Baldetti einen Ehrendoktortitel der katholischen Universität entgegen nahm, wobei er sich nach dem offiziellen Teil absetzte. Unterdessen vermutet die Staatsanwaltschaft, dass er sich in Honduras, nahe der guatemaltekischen Grenze versteckt hält.

Monzón Rojas ist ein ehemaliger Militär, dessen Karriere durch eine Entlassung beendet wurde. Im Jahr 2001 wurde er wegen versuchtem Autodiebstahl ein erstes Mal verhaftet, seine damaligen Komplizen waren der Bruder und Neffe Alfredo Moreno Molina, dem Kopf des «Red MolinaUnterdessen hat die Regierung die Summe von 100.000 Quetzales für sachdienliche Hinweise über das Verbleiben von Monzón in Aussicht gestellt. Seine zweite Verhaftung steht bei Redaktionsschluss noch aus.


Anmerkung

(*) Vom 4. bis 8. Mai beschäftigt sich das Genfer Berufungsgericht erneut mit dem Fall des ehemaligen guatemaltekischen Polizeipräsidenten und schweizerisch-guatemaltekischen Doppelbürgers Erwin Sperisen. Er wurde letztes Jahr zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt wegen Mitwirkens bei der Ermordung von sechs Gefangenen und dem Erschiessen eines weiteren. Das Urteil wird für den 12. Mai erwartet.

Nachtrag: Das Berufungsgericht hat das Urteil «lebenslänglich» für den Mörder bestätigt. Immerhin!

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 181, 15. Mai 2015, S. 22-23
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2015

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