Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

DAS BLÄTTCHEN/1052: Frida Kahlos Vater - eine Erfolgsgeschichte aus der Schmuckstadt Pforzheim


Das Blättchen - Nr. 16 vom 16. August 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Frida Kahlos Vater - eine Erfolgsgeschichte aus der Schmuckstadt Pforzheim

Von Ulrike Krenzlin


... carino que siempre les ha tenido su padre

Frida Kahlos Aufstieg zur bedeutendsten Künstlerin Mexikos spielte sich vor einem einzigartigen bisher kaum berücksichtigten familiären Hintergrund ab. Ihr Vater stammt aus dem Schmuckzentrum Pforzheim. Er wanderte nach Mexiko aus. Dort machte er sich als Fotograf einen Namen. Frida Kahlos künstlerische Anfänge waren begleitet von einem Künstler, danach von ihrem Ehemann Diego Rivera. Der große Muralist des 20. Jahrhunderts förderte Fridas Weg zur Kunst besser als jedes Akademiestudium es vermocht hätte. Wegen dieser günstigen Voraussetzungen wollen wir die Legende von ihrem "Naturtalent" und "Autodidaktentum" nicht gelten lassen. Doch ihre wachsende Bedeutung für die Kunstgeschichte gründet auf eigenen Leistungen.

Als der neunzehnjährige gebürtige Pforzheimer Friedrich Wilhelm Kahlo sich am 25. Mai 1890 in die "Borussia" einschiffte, um mit dem Liniendampfer Hamburg - Veracruz nach Mexico auszuwandern, ahnte niemand etwas von der außergewöhnlichen Kariere, die ihm bevorstand. Der spanisierte Guillermo Kahlo (1871-1941) eroberte er sich als Fotograf einen künstlerischen Beruf. Er entstammt einer evangelischen - nicht wie bisher behauptet einer jüdischen - Schmuckfabrikantenfamilie. Auch haben die Autoren Gaby Franger und Rainer Huhle mit der Aufarbeitung von Kirchenbüchern und Archiven die hartnäckig verbreitete Annahme einer ungarische Abkunft nicht belegen können, so dass man darauf endgültig verzichten muss. Die Schmuckproduktion begann im markgräflichen Pforzheim Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie war rasch erfolgreich. Friedrich Wilhelm erlernte in einer Handelsschule das kaufmännische Fach. Fremdsprachen und Klavierspiel gehörten dazu. Von Krisenzeiten war dieser Industriezweig hart betroffen. Nach der Reichsgründung wuchs ihm jedoch im neuen Überseehandel mit Gold-Silber und Doublé Bijouterie der amerikanische Markt zu. Als der Eisenbahnbau in Mexiko vorankam u nd damit der Bijouteriehandel auch dort Fuß fasste, sah Wilhelm Kahlo seine Stunde gekommen. Mit dem Billet vom Großvater und einem Empfehlungsschreiben vom Honorarkonsul für Mexiko, dem Juwelier Max Diener, in der Tasche, überquerte Wilhelm Kahlo - einziger Passagier des Paketdampfers "Borussia" - den Atlantik. Er war einer von 500 deutschen Junggesellen, die 1890 in Mexiko einwanderten. Auch sonst war er clever, denn er isolierte sich nicht wie die meisten in der deutschen Kolonie von Mexiko City. Mit seiner ersten Einheirat in die katholische Oberschicht der Hauptstadt beschleunigte er Einbürgerung und Karriere. Die katholisch erzogene Frida Kahlo malte als Dank für bestandene Krisen mit Vorliebe Votivbilder (Ex Voto). Guillermos beruflicher Aufstieg begann als Buchhalter bei der deutschen Messerfabrik Boker & Brothers, die ein exklusives Geschäftshaus führte.

Nach dem Tod von Guillermos erster Ehefrau schloss dieser 1898 eine zweite Ehe mit Mathilde Calderón y Conzales, Tochter des Fotografen Antonio Calderón. Er erlernte die Fotografie mit modernster Technik. Rasch folgen Fotoaufträge von Industriebauten in Mexiko City, über Jahre ein Staatsauftrag für die fotografische Betandsaufnahme der Kirchen und Zivilbauten Mexikos. Zusammen mit seinem Schwager leistete Kahlo diese repräsentative Aufgabe in Stadt und Land Mexiko. Bereits 1904 konnte die Familie in Coyoacán, damals ein Vorort der Hauptstadt Mexiko City, ein 800 Quadratmeter großes Grundstück mit Haus erwerben, die später von Fridas Kahlo und Diego Rivera bewohnte "Casa Ázul". Hier wird am 7. Juli 1907 "Frieda" (später von ihr geändert in "Frida") als vorletztes von acht Kindern geboren. Guillermo Kahlo betrieb Atelier und Archiv mit Kristallplatten in der Avenida 16de Septiembre. Heute ist er als Pressefotograf für "El Mundo Iustrado" und Pionier der Inventarisierung Mexikos in die Fotografiegeschichte eingegangen.

Der gebildete und sensible Mann macht mit seinen eleganten Maßanzügen immer eine gute Figur. Von daher hat Frida Kahlo ihre Vorliebe für Kleider und elegante Mode. 1925 schenkte Guillermo Kahlo seinen Kindern ein Selbstporträt mit der Widmung "Erinnert Euch von Zeit zu Zeit an die Liebe, die Euer Vater für Euch immer empfunden hat." Von ihm lernte sie das Porträtfach, Fotografie, Retuschieren und Malen.

Die Neuentdeckung von Frida Kahlos Vater beruht auf erstmaligen Forschungen zur Familiegeschichte der Kahlos, die bis ins 16. Jahrhundert zurückführt. Untersucht wurden Kirchenbüchern und Stadtarchive in Baden-Baden und Frankfurt am Main sowie mexikanische Archive. Dennoch gibt es bis heute kein Foto von Guillermo Kahlo in Frida Kahlos Museum in Coyoácan.


Gaby Franger, Rainer Huhle.
Fridas Vater - der Fotograf Guillermo Kahlo
Schirmer/Mosel, München 2005, 19,80 Euro


*


Quelle:
Das Blättchen Nr. 16 vom 16. August 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Redaktion: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2010