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DAS BLÄTTCHEN/1213: Griechische Läufte


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 16 | 6. August 2012

Griechische Läufte

von Erhard Crome



Der neue deutsche Nationalismus hat ein Lieblingsobjekt der Geringachtung: Griechenland. Der deutsche Wirtschaftsminister in seiner grenzenlosen Inkompetenz hat bereits zweimal just in dem Augenblick, da sich der Furor der finanzkapitalistischen Attacken zu legen schien, öffentlich über das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone geschwätzt und damit dessen Schwierigkeiten absichtsvoll vergrößert. Dass er damit zugleich die Unruhe um den Euro überhaupt anfachte, die er doch von Amts wegen hätte beschwichtigen sollen, soll hier als weiteres Indiz für seine Unfähigkeit vermerkt, aber nicht weiter thematisiert werden.

Gleichwohl waren "die Märkte" und ihre Wasserträger in den Amtsstuben und Parlamenten in Aufregung, als es um die griechischen Wahlen am 17. Juni 2012 ging. Es drohte die "kommunistische Gefahr" in Gestalt der Linkspartei Syriza. Würde in Griechenland der politische Konsens, der bisher den Neoliberalismus allenthalben trägt, so weit bröckeln, dass eine alternative Konstellation entsteht? Das war die eigentliche, mit den Wahlen verbundene Frage.

Über die Krise ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Aus der Finanzkrise seit 2008 wurde eine Wirtschaftskrise, dann eine Eurokrise, weil die "Bankenrettung" zum Erhalt der überschüssigen Finanzkapitale der Spekulanten und zur Explosion der Staatsverschuldung geführt hatte. Die Spekulation richtete sich zunehmend gegen die Staatshaushalte der schwächeren EU-Staaten. Die Konstruktionsfehler der EU, die Freiheiten des Kapitals zu vergemeinschaften, nicht aber die Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik, eine gemeinsame Währung in Gestalt des Euro zu schaffen, aber eine gemeinsame Haftung der teilnehmenden Länder auszuschließen, haben diese Flanke zusätzlich geschwächt. Die Opfer dieser Entwicklungen sind nun vor allem die Bevölkerungen in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien, denen immer neue Sozialkürzungen - in den deutschen Großmedien euphemistisch "Sparprogramme" genannt - aufgenötigt werden.

Auf diesem Wege ist aus der Finanz- und Wirtschaftskrise längst eine Krise der politischen Repräsentation, jedenfalls in der herkömmlichen Verfasstheit, geworden. Das trat in den Entwicklungen in Griechenland besonders deutlich zutage. Die so genannten "Schulden" waren angehäuft worden in der Zeit der EU-Mitgliedschaft Griechenlands, besonders seit dem Beitritt zur Euro-Zone. Bekanntlich hatte der Euro die Wirkung, dass die deutsche Exportwirtschaft innerhalb der EU überall offene Tore vorfand und expandierte, während die anderen Regierungen der Verschuldung ihrer Länder im Gefolge des Handelsdefizits nicht währungspolitisch gegensteuern können, weil sie ja an der gemeinsamen Währung angeschraubt sind. Das hatten in Griechenland die abwechselnd von den Sozialdemokraten (PASOK) und den Konservativen (ND - Nea Dimokratia) geführten Regierungen politisch zu verantworten.

Nach den Parlamentswahlen im Oktober 2009, nach denen Giorgos Papandreou wieder eine PASOK-Regierung bilden konnte, legte diese schrittweise offen, dass die konservative Vorgänger-Regierung mit falschen Zahlen gearbeitet hatte, die Verschuldung des Staates viel höher sei, als zuvor allgemein angenommen, und der Staatsbankrott drohe - weshalb Griechenland dringend die Hilfe der EU und der anderen EU-Staaten benötige.

Daraufhin setzte eine hektische Gipfelaktivität der EU ein, mit der schließlich allerlei "Rettungsschirm"-Konstruktionen geschaffen wurden, die längst auch die anderen verschuldeten Länder unter ihre Aufsicht genommen haben. Eine "Troika", bestehend aus Vertretern der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) visitiert die Länder und bewirkt Auflagen, wie weiter gespart, richtiger gesagt: gekürzt werden soll. Diese Konstruktion wurde erfunden, weil die Europäischen Verträge, zuletzt die von Lissabon, völkerrechtlich auf der Gleichheit der Staaten und ihrer Souveränität aufbauen und insofern die Außerkraftsetzung der Souveränität eines der Mitgliedsstaaten nicht vorgesehen war. Deshalb wurde der IWF, der seit Jahrzehnten unter Verweis auf die Schuldenverwaltung in die armen Länder des Südens unter Suspendierung der Souveränität hineinregiert - der Staatszerfall Somalias war eine der nichtintendierten Folgen seines segensreichen Wirkens, an Bord geholt. Somit wurde erreicht, dass die "Schuldner"-Länder innerhalb der EU nicht mehr selbstbestimmt handeln können, auch wenn sie bei den Gipfeltreffen noch nicht am Katzentisch sitzen müssen; sie sind einer besonderen Kontrolle der EU und ihrer Institutionen unterworfen, die jedoch nach Maßgabe der "Gläubiger"-Länder erfolgt, so dass im Hintergrund des Waltens der EU beziehungsweise der Troika letztlich die neue deutsche Dominanz in der EU steht.

Mit der Durchsetzung des "Memorandums" der Troika wurden seit 2010 die Löhne im Privatsektor in Griechenland um 32 Prozent abgesenkt, im öffentlichen Bereich um bis zu 60 Prozent. Kündigungsschutz und kollektive Tarifverträge wurden weitgehend abgeschafft. Ein Lieblingsthema des neuen deutschen Nationalismus ist bekanntlich, die Griechen seien nicht in der Lage, Steuern zu erheben, und das sei einer der Gründe für die Verschuldungssituation. Gemäß Memorandum wurden die Unternehmenssteuern von 40 auf 20 Prozent verringert, und sie sollen weiter auf 15 Prozent abgesenkt werden - zum Mantra des Neoliberalismus gehört ja, dass niedrige Unternehmenssteuern gut für "die Wirtschaft" seien. Im Gegenzug wurde die Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent erhöht, für Grundnahrungsmittel von 10 auf 13 Prozent. Das heißt praktisch: die Steuern für die Armen wurde angehoben, die für die Reichen gesenkt. Die neuerlichen Kürzungen, die die Troika in Athen derzeit zu oktroyieren bestrebt ist, sollen das Land auf einen Wachstumspfad zurückbringen. Die Rede ist von 3,5 bis vier Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ab 2013. Tatsächlich ist das BIP seit 2010 um etwa ein Fünftel gesunken. Die Arbeitslosigkeit stieg von 11,1 Prozent 2010 auf 21,7 Prozent Mitte 2012. Nichts deutet darauf hin, dass die weitere Verabreichung derselben Medizin den Körper nun stärken statt schwächen würde.

Papandreou hatte nach neuerlichen Kürzungsauflagen Anfang November 2011 angekündigt, darüber ein Referendum in Griechenland abhalten zu wollen. Es folgte ein "Aufschrei" der Vertreter "der Märkte", Bundeskanzlerin Merkel fand das Vorhaben ungehörig, und am Ende trat Papandreou von seinem Amt als Ministerpräsident zurück. An seine Stelle trat der parteilose "Experte" Loukas Papadimos, ehemals Vizepräsident der EZB, der eine EU-kompatible Regierung bildete. Hier war besonders deutlich geworden, dass sich diese Art Schuldenverwaltungspolitik an der Demokratie vorbei entwickelt, ja dazu tendiert, sie abzuschaffen. Dennoch war es unvermeidlich, Neuwahlen zu veranstalten.

Die fanden zunächst am 6. Mai 2012 statt. Die große Überraschung war Syriza. Das linke Bündnis - in seinem Kern die Linkspartei Synaspismos, das bei Wahlen zuvor 3,26 Prozent (2004), 5,04 Prozent (2007) und 4,6 Prozent (2009) erhalten hatte - erreichte 16,8 Prozent, hinter ND (18,9 Prozent) und vor PASOK (13,2 Prozent). Die beiden Parteien, die für die Kürzungspolitik stehen, hatten zusammen 45 Prozent ihrer Wähler verloren, PASOK 30,7 Prozent und ND 14,6 Prozent.

Da es zu keiner Regierungsbildung kam, mussten abermals Neuwahlen angesetzt werden, die dann am 17. Juni stattfanden. Zwischenzeitlich lag Syriza in Umfragen sogar vor ND. Es setzte eine große Druckkampagne ein - "die Kommunisten" würden in Griechenland die Demokratie abschaffen und das Land aus "Europa" herausbrechen wollen - , so dass es am Ende doch zu einer konservativ geführten Regierung kam. ND gewann gegenüber der Mai-Wahl 10,8 Prozent hinzu, Syriza 10,1 Prozent - ND kam nun auf 29,7 Prozent, Syriza auf 26,9 und PASOK auf 12,3 Prozent.

Syriza hat die Wahlen diesmal nicht so gewonnen, dass die Partei - das Bündnis hatte sich vor der Wahl zu einer gemeinsamen Partei umgeformt - die Regierung bilden konnte. Dennoch ist nun klar, es gibt eine Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik. Sie kann jedoch nur zum Zuge kommen, wenn sie sich politisch artikuliert. Da die "Schuldenfrage" nicht gelöst ist und mit den bisherigen Mitteln nicht gelöst werden kann, ist das jetzt erst der Anfang.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 16/2012 vom 6. August 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2012