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DAS BLÄTTCHEN/1263: Unvergessen ob ihrer Zivilcourage - Rosa Parks


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 3 | 4. Februar 2013

Unvergessen ob ihrer Zivilcourage - Rosa Parks

von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.



Nach über zehnstündiger Autofahrt und mehr als sieben Stunden Schlangestehen konnten wir endlich den Checkpoint passieren und uns in die abertausend Menschen am Straßenrand der Pennsylvania Avenue einreihen, die am 21. Januar einen Blick auf Obamas Motorkolonne erhaschen wollten. Mit zwei Kleinbussen waren meine Studenten und ich von der State University of New York in Potsdam nahe der kanadischen Grenze im Nord-Osten der USA nach Washington gefahren, um Obamas zweiter Amtseinführung beizuwohnen. Uns und den zahllosen anderen Menschen, die weder Zeit noch Weg scheuten, um dieses historische Ereignis vor Ort mitzuerleben, ging es dabei weniger um Obamas bisherige Bilanz als Präsident der USA. Vielmehr waren wir erleichtert, dass der erzkapitalistische Mitt Romney nicht ins Weiße Haus eingezogen ist, obgleich rechte Milliardäre beträchtliche Mittel einsetzten, um eben diesen an die Macht zu bringen. Für uns fungiert der erste afro-amerikanische Präsident vor allem als Symbol für ein neues Amerika, zumal Obama einen dezidiert progressiven Wahlkampf führte und gerade dank linker Themen gewonnen hat. Amerika wird demografisch bunter, pluralistischer und fortschrittlicher, auch wenn sich die herrschende Klasse und der von ihr beherrschte Polit-Betrieb mit Haut und Haaren dagegen sträuben.

Es war unmöglich, vom Anblick der vielen Afro-Amerikaner besonders aus den unteren Einkommensschichten, nicht gerührt zu sein, die oft unter großen Opfern nach Washington gereist waren, um der Amtseinführung ihres Präsidenten beizuwohnen. Ein loyaleres Wahlvolk könnte sich Obama kaum wünschen - schließlich stimmten 95 Prozent aller Afro-Amerikaner, die ihr Votum abgegeben hatten, für ihn, trotz der vielen Enttäuschungen und der gebrochenen 2008er Wahlversprechen. Und dass grundsätzliche Loyalität nicht zu Vasallentreue führt, dafür sorgt schon eine Reihe prominenter afro-amerikanischer Intellektueller, allen voran Cornel West. West kritisierte vor ein paar Tagen in einer Talk-Show, dass Obama sich zwar mit der Symbolik der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung identifiziert, ohne aber die sozial-ökonomischen Ursachen der Rassendiskriminierung im heutigen Amerika zu thematisieren.

Für Cornel West war Obamas Amtseid mit aufgelegten Händen auf der Bibel von Martin Luther King ein Bubenstück politischen Kalküls, pietät- und substanzlos, solange Obama eine Politik vertritt, die Martin Luther King zu Lebzeiten bekämpfte. West spielte hier besonders auf die disproportional hohe Armutsrate sowie die ebenso disproportional drakonischen Gefängnisstrafen selbst bei geringfügigen Vergehen gegen Vertreter der afro-amerikanischen Bevölkerung an. Auch ließ West es sich nicht nehmen, Martin Luther Kings Opposition zum verbrecherischen Vietnam-Krieg mit den nicht weniger verbrecherischen Drohnenangriffen auf die Zivilbevölkerung in Afghanistan und Pakistan unter Obama zu vergleichen.

Neben Martin Luther King gehört Rosa Parks zu den großen Figuren der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, auf die sich Obama wieder und wieder bezieht. Parks, die am 4. Februar 100 Jahre alt geworden wäre, machte am 1. Dezember 1955 von sich Reden, als sie sich weigerte, ihren Sitzplatz in einem Bus in Montgomery, Alabama, einem weißen Fahrgast zu überlassen, und wurde durch ihren zivilen Ungehorsam zu einem wichtigen Katalysator im Kampf gegen Rassendiskriminierung.

Zu den prägendsten Eindrücken, die ich als gebürtiger Ossie in Amerika in den frühen 1990er Jahren sammelte, gehört ohne Frage meine Begegnung mit dieser einflussreichen Bürgerrechtlerin.

Nach meiner im restriktiven DDR-Staats"sozialismus" verbrachten Kindheit und Jugend genoss ich die vielfältigen neuen Möglichkeiten, die die USA einem jungen Studenten boten. Allerdings lernte ich auch sehr schnell, dass Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen nicht nur in den zu Recht untergegangenen Parteidiktaturen des alten Ostblockes zur alltäglichen Routine gehörten, sondern auch in Amerika keineswegs selten sind. Von intellektuell-kulturellem Konformismus und öder Obrigkeitshörigkeit ganz zu schweigen. Doch zu Amerika gehört zugleich eine reichhaltige Tradition des Widerstandes, wie Richard Seymour in seinem prägnanten Büchlein American Insurgents: A Brief History of American Anti-Imperialism anschaulich beschreibt. Dieses vielfältige und lebendige Erbe schließt Martin Luther King und Rosa Parks ein.

Nun gehört Rosa Parks' Zivilcourage zu bewundern heute unter einigermaßen kultivierten Menschen zum guten Ton, sogar bis weit in konservative amerikanische Kreise hinein. Allerdings ist es oft um ein Vieles einfacher, sich nachträglich auf die Seite von Rebellen und Revolutionären zu stellen, während man diese doch zu ihren eigentlicher Wirkungszeit bitter bekämpft hatte. So unterlässt der in rechten Kreisen einflussreiche Fernseh- und Radiokommentator Glenn Beck kaum eine Gelegenheit, das Erbe von Rosa Parks und Martin Luther King ausgerechnet für sich und die Tea Party zu vereinnahmen. 2010 verglich sich Beck sogar mit Rosa Parks und organisierte für den 28. August eine Massenkundgebung der Tea Party am Lincoln Memorial in Washington - eben dort, wo Martin Luther King auf den Tag genau 47 Jahre zuvor, nämlich 1963, seine berühmte "Ich habe einen Traum"-Rede gehalten hatte. Beck, der vor einigen Jahren zur Mormonenkirche konvertierte, ist neben seiner neu entdeckten und dabei recht dubiosen Bewunderung für die afro-amerikanische Bürgerrechtsbewegung zugleich bekannt als Sprachrohr des ultra-rechten Mormonenführers Ezra Taft Benson. Dieser sowie der ebenfalls von Beck gepriesene Mormonentheologe Cleon Skoussen hatten eben diese Bürgerrechtsbewegung in den 1950er und 1960er Jahren als kommunistisch-satanische Verschwörung attackiert, ohne dies je zurückzunehmen.

Heutzutage sind zwar die Denkmuster und Argumente des rechts-konservativen Lagers etwas weniger krude, doch im Kern nicht minder rassistisch. So speist sich der fast fanatische Hass vieler Republikaner auf Präsident Obama ganz wesentlich aus den schlimmsten rassistischen Ressentiments. Die jüngste Ausgabe des linksliberalen Mother Jones-Magazines berichtet über einige der bizarrsten Beispiele dieses rassistisch aufgeladenen Hasses, so beispielsweise die Behauptung, Obama sei intellektuell auf seine Redenschreiber und Teleprompter angewiesen. Nun kann man Obama legitimerweiser durchaus viel vorwerfen, doch ganz gewiss nicht Mangel an analytischer Schärfe und rhetorischer Brillianz, zumal er vor seiner politischen Karriere Jura-Professor an der angesehenen University of Chicago war. Auch der seit Obamas erstem Wahlerfolg im Jahre 2008 wieder und wieder skandierte Schlachtruf der Tea Party taking our country back entlarvt recht deutlich, dass diese Kreise die Wahl eines Afro-Amerikaners zum Präsidenten der USA für zutiefst illegitim halten.

Nach zwei Jahren in der kanadischen Provinz Ontario verbrachte ich die erste Hälfte der 1990er Jahre im US-Bundesstaat Utah, dem Kernland der Mormonen. Nun unterscheidet sich Utah in vielerlei Hinsicht vom Rest der USA, ist aber zugleich ein interessanter Mikrokosmos der gesamten amerikanischen Gesellschaft, der allgemeinere Entwicklungen und Pathologien durch die besonderen Verhältnisse dort sozusagen zur Kenntlichkeit entstellt. Die Bevölkerungsmehrheit Utahs ist stramm rechtskonservativ sowie religiös und ethnisch um ein Vieles homogener als in anderen Teilen der USA. Vielfalt und Multikulturalismus, wie sie zum Stadtbild von New York City, Chicago und San Franzisco gehören, sucht man in Utah vergebens, obgleich es auch dort graduelle Unterschiede, beispielsweise zwischen der Metropole Salt Lake City und kleineren Ortschaften, gibt.

1992 sprach Rosa Parks vor circa viertausend Studenten und Fakultätsmitgliedern an der mormonischen Brigham Young University in Provo, Utah. Die übergroße Mehrheit der Zuhörer kam sichtlich mit gutem Willen, um Rosa Parks als couragierte Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu erleben. Dies war umso erfreulicher, weil die Mormonenkirche für ihren nicht immer nur unterschwelligen Rassismus bekannt ist. So wird beispielsweise im Buch Mormon, einer für gläubige Mormonen identitätsstiftenden "Heiligen Schrift" schwarze Hautfarbe als göttliche Strafe für Sündhaftigkeit gedeutet. Zwar versuchte der Mormonengründer Joseph Smith, zwischen pro- und antirassistischen Positionen zu lavieren, doch schon Smith's Nachfolger Brigham Young war offen rassistisch und propagierte schlimmste Stereotype bezüglich angeblicher intellektueller, kultureller und moralischer Defizite nicht-weißer Menschen. Auch im 20. Jahrhundert mangelte es nicht an Mormonenführern, die, wie die unsäglichen und erzreaktionären "Apostel" Bruce R. McConkie und Mark E. Peterson, Afro-Amerikaner als minderwertig charakterisierten. Nicht vergessen werden sollte zudem, dass die Mormonenkirche erst 1978, also mit beispielloser historischer Verspätung, Afro-Amerikaner als vollwertige Kirchenmitglieder zuließ.

So befielen mich schon 1992 Zweifel, wie robust und geschichtsbewusst der Respekt und die Bewunderung für Rosa Parks seitens ihrer mormonischen Zuhörer wirklich waren. Und wie viele der Rosa Parks Worten damals lauschenden Studenten wussten wirklich, wie verbittert auch ihre eigene Kirche die Bürgerrechtsbewegung bekämpft und mutige Akteure vom Schlage Martin Luther Kings, Malcolm X' und eben Rosa Parks verunglimpft hatte.

Cornel West monierte bezüglich Obamas Amtseid auf Martin Luther Kings Bibel, dass es nicht zugelassen werden dürfe, dass das Andenken an diesen großen Bürgerrechtler sowie an Rosa Parks und andere Revolutionäre von den Herrschenden selbstgefällig instrumentalisiert wird, um sie zu bloßen Galionsfiguren zu machen, die - aller sozialen Sprengkraft beraubt - quasi als Museumsstücke zu besonderen Anlässen rituell herausgeholt, ansonsten aber ignoriert werden. Rosa Parks und Martin Luther King waren zu Lebzeiten Stacheln im Fleisch des gesellschaftlichen Status quo und all derer, die von diesem profitieren. Und das sollen sie auch weiterhin bleiben, zumal ihr Traum von Gleichberechtigung, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit nicht nur im heutigen Amerika noch seiner Erfüllung harrt.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 3/2013 vom 4. Februar 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2013