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DAS BLÄTTCHEN/1287: Frieden existentiell


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Frieden existentiell

von Erhard Crome



"Glaubt doch nicht, dass Ketzereien durch ein paar hergelaufene kleine Seelen entstehen könnten. Nur große Menschen haben Ketzereien hervorgebracht." Dieser Satz des Kirchenvaters Augustinus dringt durch die Zeiten. Eugen Drewermann, der nicht nur Theologie studiert hatte, sondern auch Neopsychoanalyse und unter dieser Perspektive wesentliche Elemente der Glaubenslehre neu gesichtet und interpretiert hatte, wurde 1991 von der Amtskirche die katholische Lehrbefugnis und ein Jahr später die Predigtbefugnis entzogen. Aus deren Sicht gilt er als Ketzer.

So arbeitet er als Psychotherapeut, schreibt Bücher und hält Vorträge. Am 28. April hielt er den Schlussvortrag auf einer Konferenz an der Universität Bremen, an der vor allem Juristen, Politikwissenschaftler und einige Bundeswehroffiziere teilnahmen. Sie hatte zum Thema: "Quo vadis NATO? Herausforderungen für Demokratie und Recht". Es waren etliche Menschen extra zu diesem Vortrag gekommen. Drewermann hatte ihm den Titel gegeben: "Ethik, Menschenrechte und militärische Gewalt". Ich hatte Drewermann vorher nicht als Person erlebt, kannte ihn dem Namen nach, vom Lesen, aus dem Fernsehen. Das unmittelbare Erleben aber ist eben doch etwas anderes.

Vorn auf der Bühne stand ein eher unscheinbar wirkender älterer Mann in einer ausgebeulten Hose und mit Sandalen an den Füßen, obwohl das Wetter in diesem Jahr noch kühl war, und in einem zeitlos wirkenden älteren Pullover. Als er zu reden anfing, stand er vorn mit dem Mikrofon in der Hand, bewegte sich kaum, gestikulierte wenig. Stimmeinsatz und Lautstärke der Rede veränderten sich von Satz zu Satz nur geringfügig, der Redefluss blieb eher leise, gewann den Spannungsbogen aus der Logik der Argumentation und der Botschaft, blieb eindringlich, ohne vordergründig die Tonlage zu verändern. Kein Ähh oder Öhh, oder das: "Genau...", das heute so unangenehm verbreitet Redeflüsse in belanglose Schnipsel zerteilt, sondern jeder Satz treffend und präzise gesetzt, die Rede druckreif. So schuf Drewermann eine nahezu unglaubliche Anspannung, eine Eindringlichkeit, die unentrinnbar war. Wer in historischen Texten von den berühmten Predigten eines Bernhard von Clairvaux, eines Meister Eckhard oder Thomas Müntzer gelesen hat, mag dazu neigen, die überlieferte suggestive Wirkung dem damaligen Bildungs- und Erlebnishorizont des Publikums zuzuschreiben. Tatsächlich erweist sich, dass das auch heute funktioniert, in der scheinbar immer hohleren Erlebnis- und Spaßgesellschaft. Es liegt am Redner, an seiner argumentativen Kraft.

Drewermanns erste Aussage war: "Krieg umklammert unsere Gesellschaft, wie ein Krake." Und er fügte hinzu, der Tucholsky-Satz: "Soldaten sind Mörder" ist und bleibt richtig. Denn Krieg ist die organisierte Totalisierung, die eiskalt kalkulierte Ermordung unzähliger Menschen. Es ist ein archaisches, uraltes Handeln, das heute mit modernsten Mitteln ausgeführt wird. Wenn Herr de Maizière glaubt, er habe die Debatte um die Drohnen bereits hinter sich, dann irrt er; er hat sie noch vor sich. Und wir dürfen ihm das nicht durchgehen lassen. Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass Deutschland heute einer der größten Waffenexporteure ist. Von der Kaiserzeit bis heute hat es kein Rüstungsgeschäft gegeben, das ohne Korruption, Lüge und Geheimhaltung abgegangen ist. Die Geheimniskrämerei um die Lieferung deutscher Panzer, die Saudi-Arabien haben will, um die eigene Bevölkerung umzubringen, ist deshalb kein Sonderfall, sondern die Regel. Dem ist nur zu entrinnen, wenn die Waffenexporte eingestellt werden.

Den Beruf eines Soldaten, der ein Beruf wäre wie Lehrer oder Tischler, den gibt es nicht. Das Soldatsein ist die Entwürdigung des Menschen. Es wird nicht diskutiert, es wird pariert und exekutiert. Früher gab es eine "Kriegerkultur", wie bei Homer, und der Feind trat dem Krieger als Krieger gegenüber. Heute wird der Feind nach jenseits der Grenze verlegt, hinter der das absolut Böse liegt. So kann man ihn einfach töten, ohne selbst "Held" sein zu müssen, mit einem Knopfdruck, den Blick auf einen Computer-Bildschirm gerichtet. Aber dadurch verinnerlichen wir den Gegner, werden selbst das Böse und verwandeln die Welt in eine Hölle.

Das internationale Recht wird flagrant gebeugt, hob Drewermann weiter hervor. Die US-Armee macht weltweit was sie will. Und gibt das dann als einen Rechtsanspruch aus, auch gegenüber der UNO, und gibt es als Auftrag an die Mainstream-Medien. Deutsche Soldaten hatten noch nie etwas verloren in Afghanistan, auch amerikanische nicht und französische nicht, die NATO nicht. Die bekämpfen in Afghanistan nicht den Terror. Und die Taliban, gegen die da vorgegangen wird, waren bis 2001 im Juli die Verbündeten der USA. Sie hörten es auf zu sein, als in den Verhandlungen im Sommer 2001 den Amerikanern verweigert wurde, zwei Pipelines vom Kaspischen Meer hinüber zu legen zum Persischen Golf. Dann hatte der US-Vizepräsident Dick Cheney seinen Angriffsplan fertig in der Tasche. Und 9/11 war der Vorwand, gegen Afghanistan vorzugehen. Die Praxis des Krieges ist das Morden von Menschen, nicht das Retten von Menschen. Krieg ist niemals ein Instrument, menschliche Zielsetzungen durchzusetzen. Die einzige Art, zwischen den Menschen Frieden zu bewahren oder wieder zu ermöglichen, ist miteinander zu reden und die absurde Logik der Gewalt mit Waffen hintenan zu stellen.

Auch die Deutschen sollten wieder in Reih und Glied mitmarschieren. Und der Weg dahin war lang und mit lauter Lügen gepflastert. Es waren die Partei der Grünen und die SPD, erinnerte der Redner, die den Deutschen anlässlich des Krieges auf dem Balkan erklärten, dass es nunmehr - in Ex-Jugoslawien - darum ginge, Auschwitz zu vermeiden. Was man uns nicht gesagt hat war, dass das Desaster auf dem Balkan begann, als Klaus Kinkel, der spätere Außenminister, damals noch im Bundesnachrichtendienst Planspiele anstellen ließ, um nach dem Ende des Tito-Regimes die ethnische Frage zur Destabilisierung des Landes auszunützen. Das war der Grund, weshalb Herr Genscher als erstes Kroatien anerkannte und damit die Lunte an das Pulverfass legte. Selbst bei den Verhandlungen in Rambouillet 1999 hätte man den Konflikt um Kosovo noch friedlich lösen können, hätte nicht die US-Außenministerin Albright unbedingt ihren Krieg auf dem Balkan haben wollen. Nicht um irgendetwas zu befrieden, sondern um die Südflanke des Balkans zu arrondieren.

Aber alle diese Lügen haben die Mehrheit der Deutschen nicht umgestimmt. Und Drewermann betonte: "Wir können nur sagen: Ihr könnt lügen, so viel ihr wollt, ihr könnt die Springer-Konzerne und die Medien an der Hand haben, dass sie jede Art von Wahrheitsfälschung ausspucken. Aber wir werden den Wahn nicht glauben, dass Krieg imstande sei, irgendetwas Menschlich-Nützliches zu erreichen. Krieg ist im Prinzip sowohl in der Durchführung als auch in der Zielsetzung das Töten von Menschen und damit das Gegenteil von Humanität und Frieden. Eben deshalb sagen wir Nein zu all denen, die uns erklären, es sei unsere politische internationale Verantwortung, global kriegsfähig zu sein."

Gorbatschow hatte nach 1989 dem Westen angeboten, parallel zum Zusammenbruch des Warschauer Paktes auch die NATO aufzulösen. Das hätte bedeutet, dass wir seit über zwanzig Jahren vom Atlantik bis zum Ural eine militär- und waffenfreie Zone hätten. Der Westen hat das ausgeschlagen. Die NATO hat aufgehört, die Tarnung einer Verteidigungsarmee zu tragen und sich offen in eine Angriffsarmee verwandelt. Sie verteidigt nicht, sie führt seit zwanzig Jahren Kriege im Irak, auf dem Balkan, in Afghanistan, gegen Libyen. Ein Krieg nach dem anderen. Und deshalb, so Drewermann zum Thema der Konferenz: "sagen wir: Raus aus der NATO. Frieden ist die einzige Art Zukunft, die wir haben. Die Bevölkerungen sagen den Regierenden: Die Option des Krieges hat ein Ende. Es ist stets der Schleichweg und die Hintertür in den nächsten Krieg. Wir verriegeln diese Tür, schließen euch die Schleichtüren in den nächsten Krieg zu. Wir wollen ihn nicht mehr."

Als Drewermann seine Rede beendet hatte, herrschte zunächst eine spannungsvolle Stille, bis der erlösende Beifall aufbrandete. Der Versammlungsleiter forderte das Publikum auf, Fragen zu stellen oder Bemerkungen zu machen. Sofort sprang ein jüngerer, sportlicher Mann hoch, der sich als Oberstleutnant der Bundeswehr bekannte und sein Leiden aus sich herausschrie. Es sei unfassbar, wie Drewermann im Namen der Liebe soviel Hass predige. Und er, der Oberstleutnant, mache schließlich seinen Dienst, damit Leute wie Drewermann frei reden könnten. "Ich brauche doch nicht Sie, um frei zu reden", entgegnete der. Dann meldete sich ein ehemaliger Bundeswehr-Offizier zu Wort und meinte, alles, was Drewermann gesagt habe, sei so negativ. Warum er denn nichts Positives gesagt habe?

"Aber zum Krieg und zur NATO lässt sich nichts Positives sagen", antwortete Drewermann. "Das war doch das Thema, zu dem ich sprechen sollte. Wenn Sie etwas Positives hören wollen, kommen Sie doch nächste Woche zum Kirchentag nach Hamburg. Dort gibt es auch die Veranstaltungen der Kirche von unten. Da spreche ich am Donnerstag über die Gnadenlehre des Heiligen Paulus."

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 10/2013 vom 13. Mai 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2013