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DAS BLÄTTCHEN/1450: Die Folgen ihres Tuns - Whistleblower


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 26 | 22. Dezember 2014

Die Folgen ihres Tuns: Whistleblower

von Margit van Ham



Zerstört sie, nehmt ihnen Familie, Job und Besitz, schreckt jeden davon ab, es ihnen nachzutun. Das ist das Motto der amerikanischen Regierung, wenn sie von Zeugen bei verfassungswidrigem Handeln erwischt wird und die Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangt.

Auf Arte lief jetzt ein Film von James Spione, der das Leben von drei Whistleblowern nach ihrem Gang an die Öffentlichkeit nachvollzog. O ja, man ist abgeschreckt. Was diese Menschen auf sich nehmen, um sich selbst im Spiegel ansehen zu können, ist schwer zu ertragen. Sie waren allesamt als Idealisten, amerikanische "Patrioten" gestartet, arbeiteten bei NSA, CIA und dem Justizministerium. Sie glaubten wie Edward Snowden an die Demokratie und die Verfassung, glaubten dem Land zu dienen - und ihr "Verbrechen" war, sich strikt an die Verfassung und die Gesetze gehalten zu haben.

Der 11. September 2001 war das Ereignis, das der Regierung und vor allem den Sicherheitsbehörden Instrumente in die Hand gab, das Rechtssystem auszuhebeln. "Ein Geschenk" für die NSA wie der Vorgesetzte von Thomas Drake, damals NSA, bemerkte. Thomas Drake hatte sich zunächst bei den Vorgesetzten beschwert, als ein Abhörprogramm genutzt werden sollte, das die Privatspäre der US-Bürger nicht schützen konnte. Wirkungslos. Er wirkte dann als Quelle für einen Bericht des House Intelligence Committee des US-Kongresses beim Generalinspekteur des Verteidigungsministeriums. Seitens der NSA wurde nicht das Problem begutachtet, sondern die Quelle gesucht. 2005 nahm er schließlich Kontakt zu den Medien auf. Er gab dabei keine unter Geheimhaltung stehenden Dokumente weiter. 2006 wechselte er an eine Universität, 2007 wurde seine Wohnung durchsucht, er schließlich unter Anklage gestellt. Er verlor in diesem Zusammenhang Frau und Sohn, seinen Job und niemand wollte ihn einstellen. Freunde wollten nichts mit dem Verräter zu tun haben. Er hat horrende Schulden durch die Kosten für die Verteidiger. Er ist froh, jetzt als Verkäufer in einem Apple-Shop einen Job gefunden zu haben. Im Gerichtsverfahren drohten ihm 35 Jahre Freiheitsentzug. Er hatte "Glück": Die Hauptanklagepunkte wurden fallengelassen. Welch ein Preis dafür, sich für die verfassungsmäßigen Rechte aller Amerikaner einzusetzen. Seine Odyssee begann unter Bush, fortgesetzt unter Obama.

John Kiriakou hatte noch weniger Glück, er wurde 2012 zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt und verbüßt derzeit seine Strafe. Das Problem des ehemaligen CIA-Mitarbeiters: Er hatte auf die Verhörmethoden der CIA, unter anderem das Waterboarding, aufmerksam gemacht, sie als das charakterisiert, was sie sind: Folter. Er hatte unter anderem in Pakistan gearbeitet, einen jungen verletzten und ängstlichen Terrorverdächtigen verhört und gemerkt, dass der so gar nicht ins Klischee passte, kein Fanatiker, ein Junge, der ein paar Mäuse verdienen wollte. Und das sind die, vor denen wir solche Angst haben, fragte er sich. Der Gefangene wurde abtransportiert, um bessere Verhörergebnisse zu erzielen. Wie er erst später erkannte, wurde auch an ihm das Waterboarding exzessiv angewendet. John Kiriakou wollte sich nicht an den "erweiterten" Verhörmethoden der CIA beteiligen. Er hatte ein Gewissen und wurde zum Whistleblower. Er wird angeklagt, nicht die Folterer. Er ist ohne Job, auch seine Frau verliert ihren Job. Sie haben zwei kleine Kinder. Schulden über Schulden durch die Verteidigungskosten. Jeder Schritt, den er geht, wird offen verfolgt, bewacht. Er weiß nicht weiter und denkt eine Zeit lang auch an Selbstmord. Aber seine Familie ist stark, sie unterstützt und hält ihn. Er entlässt seine Rechtsanwälte, die nicht für ihn kämpfen wollten, unannehmbare "Deals" akzeptieren. Und engagiert Rechtsanwältin Jesselyn Radack, ihrerseits verfolgt wegen Whisteblowings. Sie kann die Haftstrafe nicht verhindern, aber immerhin reduzieren. Kiriakou wandte sich auch an das Fernsehen. Szenen aus der Sendung werden gezeigt. Die Meinung der Journalistin ist klar: Er ist ein Verräter, sie bedrängt ihn, lässt keine Erklärung zu. Eine Art öffentliches Femegericht...

Jesselyn Radack hatte beim Justizministerium gearbeitet. Sie stand mit Ermittlern in Kontakt, die einen US-Amerikaner als Taliban-Unterstützer gefangen hatten und verhörten. Sie hatte auf die Notwendigkeit der Anwesenheit eines Verteidigers beim Verhör hingewiesen. Laut Gesetz. Daran hielt man sich nicht. Akten wurden entfernt. Sie wandte sich an die Vorgesetzten, die ihr Schweigen verordneten. Sie verließ das Ministerium, arbeitete in einer Anwaltskanzlei. Als öffentlich behauptet wurde, dass der Angeklagte jede gesetzlich notwendige Hilfe erhalten hätte, informierte sie eine Journalistin, die sich nicht an die vereinbarte Anonymität der Informantin hielt. Es folgte das nun schon bekannte Muster: Job verloren (das Ministerium machte die Kanzlei darauf aufmerksam, dass man eine Kriminelle, eine Verräterin beschäftige), Schulden durch Anwaltskosten. Verhöre. Verzweiflung. Radack war schwanger, sie verlor ihr Kind.

Jesselyn Radack begann, Whistleblower zu verteidigen. Bei allem Schlimmen, was James Spione zeigt und erzählen lässt, bleibt die Solidarität der Whistleblower untereinander. Lebenswichtig für alle. Sie kommen zum Gerichtsverfahren von Kiriakou, begleiten ihn zum Gefängnis. Ein kleines Licht der Hoffnung für die Betroffenen. Was für ein Abgrund an Unrecht auch unter der Regierung Obama. Die USA sind ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten für die Regierung, Wahrheit zu vertuschen, geworden. Man möchte hoffen, dass der Senatsbericht über die Foltermethoden der CIA zu Verfahren gegen die Verantwortlichen führt, dass Kiriakou freigelassen wird, dass Chelsea Manning freigelassen wird. Man möchte hoffen, aber der Glaube an Gerechtigkeit gegenüber Wahrheitsverfechtern ist klein.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 26/2014 vom 22. Dezember 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
Verantwortlich: Wolfgang Schwarz
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Redaktion: Margit van Ham, Wolfgang Brauer, Alfons Markuske
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2014


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