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DAS BLÄTTCHEN/1480: Fische in Zeiten der Teilzeitrevolte


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 7 | 30. März 2015

Fische in Zeiten der Teilzeitrevolte

von Samuel Kröger


Am 18. März 2015 sah ich um neun Uhr am Vormittag in der "Tagesschau", dass vor "Harry's Aquarium" ein Polizeiauto brannte. "Harry's Aquarium" - das viel und gern verspottete Apostroph ostdeutscher Läden kurz nach der Welten-Änderung und nach den schnellen Existenz-Neugründungen habe ich inzwischen als westdeutsche Grammatikseuche erfahren; auch darin waren die Brüder und Schwestern den Ostdeutschen voraus -, "Harry's Aquarium" ist ein weiträumiges Geschäft im Ostend von Frankfurt am Main. Es liegt an der Hanauer Landstraße. Um die Ecke zieht sich die Sonnemannstraße hin, und an der Sonnemannstraße steht das neue Hochhaus der Europäischen Zentralbank.

Das Polizeiauto brannte an dem Tag, als die Europäische Zentralbank (EZB) offiziell eröffnet wurde. Bisschen verschämt das Ganze. Der Mario Draghi war da, der Peter Feldmann als amtierender Oberbürgermeister, die Petra Roth als gewesene Oberbürgermeisterin. Und ein paar andere politische Figuren, mir fällt grad nicht ein, wer noch. Es sollen Oliven und Saft gereicht worden sein, nachdem kurze Reden gehalten worden waren. Der Hubschrauber, der über dem Gelände in der Luft stand, nervte. Aber das Geräusch kriegten die hinter schallgeschützten Scheiben vermutlich nicht mit.

Zwei Wochen davor hatte ich in "Harry's Aquarium" für einen Film gedreht. Der Ladenbesitzer, Harald Listmann, berichtete mir vom Strukturwandel ("Gentrifizierung") des Stadtviertels Ostend. Der Bau des Hauses der EZB ziehe eine Aufwertung des Quartiers nach sich. Was nicht die ganze Wahrheit ist. Das Gebäude mag seine Wirkung haben, die Ursache für den Strukturwandel ist es nicht.

Vor Jahren schon begann eine Umschichtung, wie sie aus anderen hippen Städten und hoppen Vierteln geläufig ist. Wohnungen werden teurer, der Bedarf ist groß, Vermieter und Besitzer dürfen davon ausgehen, dass auch höhere Mieten anstandslos gezahlt werden. Von Leuten, die ein dickeres Portemonnaie haben. Wo einst Studenten, Künstler, Tagelöhner, sozial Schwächere und sonstiges Pack wohnten, zieht nach und nach der Betuchte ein, mitsamt der Familie, die er sich auch noch leisten kann. Oder sie, die sich entweder eine Familie leisten kann oder den Lifestyle, der so durch die Werbung dröhnt. Dünn, blond, geschmeidig; ich kann da ganz gut speien.

Zurück in "Harry's Aquarium". Harry alias Harald wird seinen Laden anno 2015 aufgeben. Hat noch einen anderen Grund als den des Strukturwandels, nämlich einen Grund des Verhaltenswandels. Die Leute kämen und ließen sich von ihm beraten. Dann sagten sie "Danke", gingen wieder - und bestellen Fische und alles, was zur Fischhaltung dazugehört, im Internet. Das sei ein riesiges Problem des Einzelhandels. Ich fand, das sei ein Problem menschlichen Anstands und der Fairness. Aber auf so was zu pochen, ist ohnehin reichlich dämlich in Zeiten der Beschleunigung. Und wer schaut sich schon noch Fische in einem Aquarium an! Ich bitte sie! Feenbärblinge und Längsband-Zwergbärblinge! Amerikanische Rotflossenorfe und Genetzte Süßwasserrochen! Die kann man nicht mal essen! Oder man braucht ganz viele von ihnen für einen Teller Fischsuppe.

Apropos lernte ich, dass Fische sensibel sind. Als die Kamera zu nahe an ein Aquarium rückte, wichen die Fische zurück. Sie spürten die Veränderung, erklärte Harry. Sie würden durchaus darauf reagieren, wenn sie, im Wasser dämmernd und schwimmend und recht eigentlich hellwach, durch die Glasscheibe glubschten. Eine Kamera, die sie aus dem mild plätschernden Nass in den kalten, ewigen, digitalen Ozean befördert, wäre eine echte Bedrohung. Wie russische Atomraketen für Dänemark.

Und an all das musste ich denken, als ich mich am 18. März aufmachte, um durch das Ostend zu stromern und zu schauen, was das da für eine Blockupy-Demonstration sei. Ich kam auch bei "Harry's Aquarium" vorbei. Der Laden war zu, die Schaufenster waren heil geblieben. Was man von einigen Autos, einigen Werbetafeln, einigen Straßenbahnstationen und der "Sparkasse 1822" an der Hanauer Landstraße nicht sagen konnte.

Ich musste an die Fische denken. Die armen! Wie werden sie sich gefühlt haben in Betracht der Revolte auf der Straße? Der Feuerstellen, der Rauchschwaden, der hektisch hin und her rennenden Menschen. Alle vermummt. Die einen in ihre Kapuzen gehüllt, die anderen in ihre schwarzen Rüstungen? Was für ein Aquarium von bizarren Lebewesen vor dem Laden!

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 7/2015 vom 30. März 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2015

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