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DAS BLÄTTCHEN/1536: Gefährliche Überlegenheit


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 22 | 26. Oktober 2015

Gefährliche Überlegenheit

von Ulrich Busch


Dass Deutschland - volkswirtschaftlich betrachtet - unter seinen Verhältnissen lebt, ebenso wie die USA, Italien und Griechenland darüber, ist allgemein bekannt und deshalb keine Erörterung wert. Weniger bekannt jedoch sind das Ausmaß der jährlichen Verzichtsleistung der deutschen Volkswirtschaft und die Größenordnung, zu der sie im Laufe der Zeit angewachsen ist. Laut Veröffentlichung der Deutschen Bundesbank beliefen sich die Forderungen Deutschlands gegenüber dem Ausland Ende 2014 auf die gigantische Summe von 1.228.000.000.000 Euro, also auf eine Billion und 228 Milliarden Euro. Das entsprach rund 42 Prozent der Wirtschaftsleistung der deutschen Volkswirtschaft im Jahr 2014. In der Fachsprache bildet diese Summe die Netto-Auslandsposition oder das Netto-Auslandsvermögen Deutschlands. Ein Jahr zuvor waren es noch 248 Milliarden Euro weniger. Um diesen Betrag erhöhte sich das Auslandsvermögen innerhalb von zwölf Monaten. Praktisch bedeutet dies, dass innerhalb eines Jahres die Forderungen der deutschen Volkswirtschaft an das Ausland auf 7.645 Milliarden Euro angestiegen sind, während die Verbindlichkeiten einen Wertumfang von nur 6.417 Milliarden Euro hatten. Die Differenz in Höhe von 1.228 Milliarden Euro ist das Netto-Auslandsvermögen.

Wie kommt es dazu und welche Wirkungen sind mit der Akkumulation derart gigantischer Summen verbunden? Die Antwort umfasst mehrere Aspekte. In erster Linie und vor allem reflektiert sich darin der Leistungsbilanzüberschuss, den Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten regelmäßig erzielt hat. Dieser wiederum ist vor allem das Ergebnis beträchtlicher Handelsbilanzüberschüsse, also der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft weit mehr exportiert als sie importiert. Auch wenn das als Ausdruck hoher und steigender Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft zu interpretieren ist, so steht diese Differenz doch auch für ein fundamentales Ungleichgewicht, das sich keineswegs automatisch korrigiert, sondern eher dazu tendiert, sich weiter zu verfestigen.

Da mit den Exporterfolgen und dem Forderungsanstieg gegenüber dem Ausland zugleich der Druck Deutschlands auf seine ausländischen Partner wächst, verstärkt sich die Marktpräsenz deutscher Unternehmen, während die der Schuldnerstaaten sinkt. Das gilt erst recht, wenn die Möglichkeiten einer währungspolitischen Reaktion drastisch eingeschränkt sind, wie in der Euro-Zone, wo es den einzelnen Volkswirtschaften nicht möglich ist, fehlende Exporterfolge durch eine Abwertung ihrer Währung herbeizuzaubern. So spiegelt die Zunahme des deutschen Auslandsvermögens zugleich die relative Schwäche der europäischen Handelspartner wider, wie auch deren Ohnmacht, unter den gegebenen Bedingungen ihre Situation zu verbessern.

Die darin zum Ausdruck kommende Problematik erschließt sich vollständig aber erst, wenn sie unter finanziellem Aspekt betrachtet wird. Schließlich handelt es sich beim Auslandsvermögen um Geldvermögen, das heißt um Vermögenswerte, die deutsche Sparer erwirtschaftet, aber nicht ausgegeben, sondern in ausländischen Schuldtiteln angelegt haben. Die Neigung inländischer Geldvermögensbesitzer, ihr Geld nicht für Konsumzwecke auszugeben, sondern es zu sparen, bildet mithin eine notwendige Bedingung für die Zunahme der Leistungsbilanzüberschüsse und die Akkumulation von Auslandsvermögen. Die hinreichende Bedingung dafür aber ist, dass die deutschen Sparer ihr gespartes Geld in ausländische Wertpapiere investieren. Anders lässt sich der Kreis ökonomischer Beziehungen nicht schließen.

Den Hintergrund dafür bildet derzeit das Niedrigzinsumfeld, wodurch viele Sparer motiviert werden, ihr Geld in höher rentierende ausländische Papiere zu stecken, was sich dann in einer Zunahme des deutschen Auslandsvermögens dokumentiert. Dies müssen sie allerdings nicht selbst tun; dafür sind Banken und Versicherungen da, die sich um die Anlage des Geldes ihrer Kunden kümmern. So haben 2014 deutsche Anleger ihren Bestand an Anteilscheinen ausländischer Investmentfonds deutlich aufgestockt. Da diese zudem eine Wertsteigerung erfuhren, trug beides zu einem Anstieg des deutschen Nettoauslandsvermögens bei.

Macht man sich überdies mit dem veröffentlichten Datenmaterial näher vertraut und berücksichtigt zusätzlich die Effekte, die sich aus der grenzüberschreitenden Unternehmensverflechtung sowie der Kreditvergabe in- und ausländischer Banken ergeben, so erscheint es durchaus plausibel, dass das deutsche Auslandsvermögen Jahr für Jahr wächst und die deutschen Sparer immer stärker in ausländische Wertpapiere investieren.

Was aber wäre die Konsequenz dieser Entwicklung, wenn sie unvermindert so andauern würde? Deutschland würde auf diese Weise nach und nach zum Gläubiger aller Staaten Euro-Europas werden, was politische Abhängigkeiten schüfe und ihm große Macht verleihen würde. Ob das für die anderen Staaten eine hinnehmbare Option wäre, soll dahingestellt bleiben. Die ökonomische Kehrseite dessen aber wäre, dass die Menschen in Deutschland, indem sie für einen immer größeren Teil ihres Einkommens ausländische Wertpapiere kauften, statt zu konsumieren, fortgesetzt unter ihren Verhältnissen leben würden, während andere Volkswirtschaften über ihren Verhältnissen leben könnten. Dem würde allerdings der Zinsmechanismus entgegenwirken. Solange das Zinsniveau aber extrem niedrig ist, bliebe dies ohne Effekt. Mit steigendem Zins dagegen würde sich die genannte Situation umkehren: Die Gläubiger wären dann auch ökonomisch die Gewinner und die Schuldner die Verlierer der ungleichgewichtigen Konstellation. Das aber wäre mit den Regeln des Zusammenlebens in Europa auf Dauer unvereinbar und würde den Rahmen der Währungsunion daher sprengen.

Es ist folglich angezeigt, vorher umzusteuern, bevor es zum "großen Knall" kommt. Sei es durch einen Schuldenschnitt, der das deutsche Auslandsvermögen reduzieren würde, durch eine veränderte Geld- und Währungspolitik oder durch eine Neujustierung der Außenwirtschaftsaktivitäten in der Euro-Zone und der Europäischen Union. Rasches Handeln tut jedenfalls not!

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 22/2015 vom 26. Oktober 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2015

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