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GEGENSTANDPUNKT/177: Wie Europa mit der Ausbeutung illegaler Zuwanderer aufräumt


GEGENSTANDPUNKT
Politische Vierteljahreszeitschrift 1-2009

Abschiebung zum Tariflohn:
Wie Europa mit der Ausbeutung illegaler Zuwanderer aufräumt


In der EU gibt es geschätzte 8 Millionen illegale Einwanderer, die dort leben und arbeiten, ohne das zu dürfen. Es gibt Arbeitgeber, die sie brauchen können, und zwar gerade deswegen, weil Leute, die illegal leben, doppelt erpressbar sind: Sie müssen arbeiten, um zu überleben, dürfen sich aber nicht erwischen lassen, weder beim Arbeiten noch beim Leben. Das Gute für die Arbeitgeber daran ist: Leute, die sich verstecken müssen, sind ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und so sehen die Arbeitsbedingungen dann auch aus: Nach offiziellen Ermittlungen der EU-Kommission sind sie "besonders ausbeuterisch", Schönheiten wie "Zwangsprostitution" und "illegale Beschäftigung von Minderjährigen" sind an der Tagesordnung. Als Saisonarbeiter im Bau, als Erntehelfer in der Landwirtschaft, als Hausangestellte, Krankenpfleger und Sexsklaven leisten die Illegalen wertvolle Dienste, die sich für ihre Arbeitgeber oft doppelt lohnen, weil "ausgeübte Tätigkeiten, die ... vergütet werden müssten", schlichtweg nicht vergütet werden. Wenn die Betroffenen frech werden und auf Bezahlung bestehen, oder wenn man sie nicht mehr braucht, meldet man sie den Behörden und sie werden - unkompliziert für den Arbeitgeber - abgeschoben.

Solche skandalösen Zustände können EU-Kommission, -Rat und -Parlament nicht mehr mit ansehen. Sie beschließen, den Ausbeutern das Handwerk zu legen. Eine "Richtlinie" für die nationalen Gesetzgeber legt fest, dass
"der Arbeitgeber verpflichtet (sein sollte), Drittstaatsangehörigen ausstehende Vergütungen für geleistete Arbeit zu zahlen sowie fällige Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Kann die Höhe der Vergütungen nicht festgelegt werden, so wird zumindest von dem Lohn ausgegangen, der in den geltenden Rechtsvorschriften über den Mindestlohn in den Tarifvereinbarungen oder gemäß den Gepflogenheiten in den entsprechenden Beschäftigungsbranchen vorgesehen ist."

Sehr sozial finden sich die EU-Verantwortlichen, und eine karitativ eingestellte Öffentlichkeit findet das auch: Endlich wird Schluss gemacht mit der rücksichtslosen Lohnsklaverei, die die Paupers dieser Welt, die es irgendwie nach Europa geschafft haben, sich gefallen lassen müssen.

Bei soviel nachgewiesenem sozialem Gewissen fällt der politische Zweck nicht weiter ins Gewicht, den Europas Innenpolitiker mit ihrer Richtlinie tatsächlich verfolgen und aus dem sie auch gar kein Geheimnis machen. Schon im Titel geben sie Auskunft:

"Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen" heißt das Ding, und eben darum geht es auch: Den Illegalen soll nicht ihr "gerechter Lohn für ein gerechtes Tagwerk" gesichert, sondern jede Aussicht auf einen Lebensunterhalt genommen werden. Der gesetzliche Kampf gegen irreguläre Arbeitsbedingungen und Betrug um Lohnzahlungen bezweckt nicht eine Ausbeutung, die den europäischen Standards genügt, sondern zielt auf die besonderen Vorteile, die besonders scharf kalkulierende Unternehmer sich von Dienstkräften ohne Aufenthaltsrecht versprechen können. Deswegen ist deren Verpflichtung auf ein reguläres Entgelt für ganz irregulär Beschäftigte auch nur eine Zutat zu sehr viel substanzielleren Sanktionsdrohungen:

"Zur Durchsetzung des allgemeinen Verbots und als Abschreckung gegen Zuwiderhandlungen sollten die Mitgliedstaaten angemessene Sanktionen vorsehen. Dazu gehören Geldbußen und Geldstrafen sowie Beiträge zu den Kosten der Rückführung von Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt, sowie die Möglichkeit, geringere Geldbußen und Geldstrafen für Arbeitgeber vorzusehen, bei denen es sich um natürliche Personen handelt, die eine Person zu privaten Zwecken eingestellt haben."

Letzteres eine nette Geste gegenüber Privatpersonen, die aus Not, etwa zwecks Versorgung eines moribunden Familienmitglieds, oder aus mildtätiger Gesinnung ein armes Schwein etwas verdienen lassen. Davonkommen sollen die aber auch nicht. Und wenn professionelle Arbeitgeber illegalen Immigranten einen Gelderwerb verschaffen, ganz gleich zu welchem Lohn, dann soll es für die ganz dick kommen: Sie werden von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen und erhalten keine Subventionen mehr. In schweren Fällen kann die Firma geschlossen werden. Die den Behörden hinlänglich bekannten Ausreden - beispielsweise Unwissenheit über den Rechtsstatus eigener oder der bei Subunternehmern unter Vertrag stehenden Arbeitskräfte - gelten nicht mehr: Alle Papiere sind genau zu prüfen.

Dabei gehen die EU-Politiker davon aus - schreiben das aber selbstverständlich nicht in ihre Richtlinie hinein -, dass der Schaden für die Arbeitgeber sich in engen Grenzen hält: Schließlich verfügt der eigene Staatenclub über mehr als genügend Paupers, die sich, freilich innerhalb der Grenzen der Legalität, aber im Endeffekt dann doch genauso gut ausbeuten lassen wie die von außen Zugereisten. Was sie dafür, wie zum Hohn, in ihre Richtlinie hineinschreiben, sind Zusatzbestimmungen, die den politischen Zweck wieder mit dem sozialen Gedanken verknüpfen. Ein ganz kleines Schlupfloch wird nicht absolut dicht gemacht: Wer Illegale berät, z.B. in der Frage, wie sie an ihren Lohn herankommen, soll damit nicht automatisch "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" geleistet haben. Und wenn der Mensch erwischt und abgeschoben ist, dann ist sein illegaler Arbeitgeber immer noch nicht ganz aus dem Schneider:

"Der Arbeitgeber sollte auch verpflichtet werden, gegebenenfalls die Kosten zu tragen, die durch die Überweisung ausstehender Vergütungen in das Land entstehen, in das der illegal beschäftigte Drittstaatsangehörige zurückgekehrt ist oder ausgewiesen oder abgeschoben wurde."


Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten verspricht die EU, die Ursachen zu bekämpfen, die Menschen aus den absoluten Elendsquartieren der Weltwirtschaft nach Europa treiben. Sie antwortet damit u.a. auf Kritiker, die meinen, die Ursachen lägen nicht zuletzt in Europa, nämlich in Europas Ökonomie, die mit ihrem Zugriff auf alles, was sich in fremden Ländern zu Geld machen lässt, ein ungeheures Massenelend in den meisten afrikanischen und vielen anderen Ländern anrichtet; gleichzeitig steht den Betroffenen Europa als die Weltgegend vor Augen, in der das Geld zu Hause ist und die Gelegenheit, welches zu verdienen; deswegen wollen so viele "Drittstaatenangehörige" nichts wie weg aus ihren "Drittstaaten". Solche Vorwürfe haben die Europäer nie auf sich sitzen lassen; Fluchtursachen bekämpfen sie dort, wo die Menschen, die noch irgendwie mobil sind, es nicht mehr aushalten - mit einem vorverlagerten Abwehrregime und Hilfen fürs Aushalten; kleinen vor allem, weil die großen ja doch nichts helfen. Mittlerweile ist aber eine Einsicht hinzugekommen: Mindestens eine der Fluchtursachen liegt doch in Europas Wirtschaft. Nämlich darin, dass es den Elendsfiguren aus aller Welt, wenn sie es denn bis hierher geschafft haben, auch unter denkbar beschissenen Umständen immer noch besser geht als daheim. Dagegen lässt sich etwas tun:

"Ein wichtiger Anreiz für die illegale Einreise in die EU besteht darin, dass es in der EU möglich ist, eine Beschäftigung zu finden, auch ohne den erforderlichen Rechtsstatus zu besitzen. Die Bekämpfung von illegaler Einwanderung und illegalem Aufenthalt muss daher auch Maßnahmen zur Verringerung dieses Anreizes einschließen..."

So wird das Übel an der Wurzel gepackt. Und was das Schönste dabei ist: Solche "Anreizverringerung" kostet nicht nur so gut wie nichts; Strafzahlungen von Arbeitgebern, die mit ihren Ausbeutungsmanövern den Illegalen ein Überleben ermöglichen, bringen womöglich sogar ein paar Euros in die Staatskasse...


Die EU-Behörden sehen sich gehalten, den Adressaten ihrer Richtlinien, den nationalen Gesetzgebern, deren rechtliche Unanfechtbarkeit zuzusichern. Das ist einerseits eine juristische Formalität. Sie hat in dem Fall andererseits einen gewissen Aufklärungswert für alle, die geneigt sind, Rechte mit Wohltaten zu verwechseln und Menschenrechte mit einem Lebensmittel. Die Auskunft, dass das Gegenteil der Fall ist, gibt die EU ihrer Richtlinie mit auf den Weg - ein stocknüchterner Zynismus noch oben drauf auf den Zynismus der neuen sozialen Rechtslage:

"Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten sowie den Grundsätzen, die insbesondere mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Bei ihrer Anwendung sind folgende Grundsätze gebührend zu beachten: unternehmerische Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Nichtdiskriminierung, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht sowie Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (Artikel 16, 20, 21, 47 und 49 der Charta)."

Mit dem Kampf gegen den "Anreiz", der für "Drittstaatenangehörige" im Austausch ihres heimischen Elends gegen eine Ausbeutung in Europa liegt, geht das alles gut zusammen.


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Quelle:
Gegenstandpunkt 1-09, S. 28-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2009