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GEGENWIND/375: Geplante Elbvertiefung - Begründete Furcht


Gegenwind Nr. 249 - Juni 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

UMWELT
Geplante Elbvertiefung

Begründete Furcht

Von Pidder Holler, Seester


Im Hamburger Abendblatt erschien am 18. März ein Artikel mit dem Titel "Die Angst hinter dem Deich". Es werden darin die Empfindungen einiger Otterndorfer Bürger geschildert angesichts der Bedrohung durch Deichbrüche im Gefolge der geplanten und teilweise begonnenen Elbvertiefung.


Meiner Ansicht nach ist es vielmehr begründete Furcht und Unbehagen, was viele Elbanrainer fühlen. Wir lesen, dass durch den Klimawandel stärkere Stürme und damit auch höhere Sturmfluten zu erwarten sind. Während nun versucht werden sollte, die Risiken zu minimieren, will eine Clique von Beteiligten der Hafenwirtschaft, der entsprechenden Behörden und ihres Klientels noch vor der Fertigstellung des Tiefwasserhafens Wilhelmshaven oder entsprechender Anlagen in Cuxhaven vollendete Tatsachen schaffen, einen Standortvorteil für Hamburg erreichen, bevor durch die neuen Anlagen in Seenähe die Notwendigkeit einer Elbvertiefung entfällt.

Der Anteil dieser großen Containerfrachter ist gering, das Gros der Schiffe kommt mit der bisherigen Wassertiefe aus. Es könnten die für Hamburg bestimmten Container auch in Cuxhaven und später in Wilhelmshaven umgeladen werden. Das Risiko würde dies rechtfertigen, nicht jedoch die Gewinnerwartung auf Kosten der Unterelbeanwohner und des ökologischen Raumes, der schon durch die vielen vorhergehenden Ausbaggerungen gelitten hat.

Die ökologischen Folgen will ich nicht behandeln. Sie sind weitläufig und werden im Kontext von vielen Umweltverbänden dargestellt. Obwohl es natürlich auch schwere Umweltfolgen nach sich zieht, wenn ein Hochwasser zu Deichbrüchen und entsprechenden Überschwemmungen führt. Wir brauchen uns nur vorzustellen, welche Folgen die Überflutung des Hamburger Gefahrengutlagers auf Steinwerder hätte. Pestizide, hochkonzentrierte Gifte, würden auf Jahre die Unterelbe und die Nordsee in ein Seveso der besonderen Art verwandeln.

Da dieses Szenario nicht aus der Luft gegriffen ist, beteiligen sich viele Menschen elbauf, elbab an dem Protest - wie auch schon bei früheren Elbvertiefungen. Wenn dieser Protest leider nicht im wünschenswerten Maß und mit temperamentvollem Einsatz geführt wird, wie frühere, beispielsweise gegen die Atomkraftwerke, so ist der Anlass doch wichtig. Die Arroganz mit der die Elbvertiefung vorangetrieben wird, erinnert den älteren Beobachter an die Sturmflut 1962 und die Bedenkenlosigkeit wie bis dato der Hochwasserschutz betrieben wurde.

Wenn in Hamburg (und Schleswig-Holstein) die treibenden Kräfte für die Fahrrinnenvertiefung verantwortungslos agieren, weil sie keine Einsicht in die Folgen haben und haben wollen, so sollte der Protest doch eigentlich viel entschiedener geführt werden. Nicht zuletzt die Flutkatastrophe von 1962, deren Ursachen nie im nötigen Maße aufgearbeitet wurden, zeigt, dass damals entscheidende Fehler in der Auffassung des Szenarios gemacht wurden. Dies setzt sich nun fort.

In den damaligen Berichten zu 1962 wimmelt es von Ausdrücken, die die Ursachen in irrationale Höhen verschieben. Immer wieder heißt es dort: unvorhersehbares Zusammenwirken, Deiche nach bisheriger Auffassung hoch genug, tragische Ereignisse usw. Nach einer theatralischen Trauerfeier und pressewirksamer Auswertung ging man zur Tagesordnung über. Diese bestand auch darin ganze Naturräume mit einem geradlinigen Deich und zweier Flussschleusen abzutrennen. Damit wurden aber auch die Überschwemmungsflächen abgetrennt und das Risiko wieder erhöht.

Statt damals die Schuldigen zu benennen, die es versäumt hatten, die Deichkrone nach Abwägung aller Parameter auf das theoretisch sichere Niveau zu bringen, wurde der Hamburger Innensenator Schmidt, als das Kind in den Brunnen gefallen war, als der hehre Retter in der Not gefeiert. Man hätte ihn eher als fahrlässigen Verursacher für den Tod von über 300 Menschen (wenn man von den Toten absieht, die er als Nazioffizier mit zu verantworten hat) hinter Gitter bringen sollen.

Wenn die Unzulänglichkeiten in der Voraussicht auf ein Katastrophenszenario also die gleichen geblieben sind, so haben sich seitdem Parameter zur Deichhöhenberechnung verändert:

höher auflaufende Sturmfluten und Wellen durch stärkere Winde
steigender Wasserspiegel allgemein
mögliche Starkregenfälle im Gebiet der Oberelbe und der Zuflüsse
Begradigung der Deichlinien mit Einrichtung von Sperrwerken und Ausklammerung von vielen Überschwemmungsflächen
Zuschüttung eines wesentlichen Teils des Mühlenberger Loches
Erhöhung der Stromgeschwindigkeit und größere Wassermasse im Gezeitenwechsel
Zuschüttung oder Absperrung von vielen Hamburger Hafenbecken
Erhöhung des hydrostatischen Druckes auf das Deichbauwerk wegen der höheren Wassersäule
Flussregulierungen im Oberelberaum.

Und diese Liste ist nicht vollständig. Es kommen außerdem noch regionale Gefahrenpunkte hinzu: So hat sich der Pralldruck des fließenden Wassers im Gebiet Altenbrucher Bogen verstärkt aus oben angeführten Gründen. Zwischen Brunsbüttelkoog und Glückstadt kommt dies auch am nördlichen Ufer zum Tragen. Die Medemrinne partiell zuzuschütten - wie es geplant ist - verschärft den Abtrag am Prallufer zwischen Cuxhaven und Otterndorf. Die Deiche im Gebiet von Wedel bis Seestermühe, die ich mehrfach darauf achtend begangen habe, kann man allenfalls als 90-prozentig bezeichnen. Senkungen bis circa 50 cm, Bisamratten- und Maulwurfbefall, vielleicht auch die Trittfurchen der Schafe haben zur Schwächung in diesem mir bekannten Bereich geführt.

In den Bodenschichten, die jetzt von der Ausbaggerung angerührt werden, also in circa 15,50 bis 17,50 Meter Tiefe liegt im Gebiet Seester/Seestermühe eine wasserführende Torfschicht. Wenn diese Schicht am Elbrand aufgerissen wird, ergeben sich mögliche neue Gefährdungen durch den Wasseraustausch, der im Gefolge der Gezeiten durch die wechselnden hydrostatischen Drücke auftreten wird. Gefährdungen, die auch für die älteren Kulturbauten, die auf Holzpfählen ruhen, im Gebiet bestehen. Vielleicht wird das Grundwasser und werden Brunnen verunreinigt. Ob dies auch auf anderen Elbuferteilen eine mögliche Gefährdung ist, werden Bodenkundler besser beurteilen können.

Das ökonomische Argument, was denn aus den vielen kleinen Unternehmungen entlang der Elbufer wird, wenn sich herausstellt, dass eine wesentliche Gefahr besteht? Die Elbfischerei ist hier zu nennen, es gibt Bootswerften, Landwirtschaft auf Außendeichsflächen, neu geschaffene touristische Bereiche, Gastronomie, Marinas und so weiter. Vor allem aber ist das nach der Flut vom Februar 1962 eingedeichte Gebiet stärker besiedelt worden, intensive Landwirtschaft hat sich ausgebreitet, Industrie wurde angesiedelt. Sollte wirklich eine neue große Sturmflut alles dieses überschwemmen, wiegen die Folgen viel schwerer.

Das nicht mehr zeitgemäße Projekt der Fahrrinnenvertiefung würde alle kleinräumigen Wirtschaftsverhältnisse stören. Wirtschaftsverhältnisse, die in ihrer Masse ertragreicher sind als der Containerverkehr für Hamburg es je sein könnte. Der Ausfall dessen oder die Verunsicherung all dessen wird die Region sehr belasten.

Ökonomisch ist die Vertiefung des Fahrwassers auf etwa 17,50 Meter unter Normalnull ja nur als Übergangsmaßnahme zu sehen bis der Tiefwasserhafen Wilhelmshaven oder bis Anlagen für tiefgehende Schiffe in Cuxhaven fertig sind. Von da ab werden die Großschiffreedereien für klare Verhältnisse sorgen. Ist diese Elbfahrwasservertiefung also nicht eine Kriegserklärung an die gemeinsamen und damit übergeordneten Interessen? Und obliegt der Bundesverwaltung und den drei Länderregierungen nicht die Vermeidung von Risiken, über die die nur kurzfristig und verantwortungslos wirtschaftlich Agierenden bereit sind hinweg zu schauen?

Leider hat sich das Hamburger Abendblatt in der Vergangenheit nicht besonders als Anwalt der Betroffenen bekannt gemacht. Der Unterton dieses Artikels von Axel Tiedemann spricht auch nicht dafür. Ich hoffe, dass sich die Otterndorfer durch Deichverstärkung und zeitweilige Sandvorspülung nicht kaufen lassen und ganz grundsätzlich gegen jede weitere Elbvertiefung wehren werden. Die Anhörungen zum Planfeststellungsverfahren sind traditionell von tauben Ohren auf Seiten der Ausführenden geprägt.

Es müssen auch endlich alle Parameter von nicht involvierten Fachleuten hochgerechnet werden hinsichtlich des möglichen Höchststandes einer Sturmflut plus Wellenreserve plus Sicherheitsmarge, dann hätte man wohl die Einsicht gewonnen, dass diese Angelegenheit nicht mehr von Interessengruppen gelenkt werden darf, die nicht einsichtsbereit sind, weil sie nur eigene finanzielle Vorteile verfolgen.

Die zögernde Haltung Niedersachsens ist eigentlich die einzige noch verbleibende Möglichkeit, Vernunft in diesem Verfahren walten zu lassen. Denn die am 20. April beginnenden und mindestens bis zum 12. Juni dauernden Erörterungen der Einsprüche im Planfeststellungsverfahren können zwar zu Schadensersatz im Falle eines gebrochenen Deiches führen, verhindern aber nicht die schon begonnene Elbvertiefung.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 249, Juni 2009, S. 22-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2009