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GEGENWIND/415: Zum neuen Energiekonzept der Landesregierung Schleswig-Holstein


Gegenwind Nr. 260 - Mai 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

ENERGIE
Zum neuen Energiekonzept der Landesregierung Schleswig-Holstein:
Neue Bewegung in der Bewegung

Von Detlef Matthiessen


In energiepolitisch bewegter Zeit legt die schleswig-holsteinische Landesregierung ein Energiekonzept vor. In Kiel wurde der Neubau eines Kohlekraftwerkes politisch verhindert. Eine bunte "Kettenreaktion" zwischen den auch in der bürgerlichen Presse als Schrottreaktoren beschriebenen Atommeilern Brunsbüttel und Krümmel lässt die Erinnerung an "alte Zeiten" aufsteigen, als Zweihunderttausend gen Brockdorf zogen, Bauzäune zersägten, Zufahrten blockierten, Bauplätze besetzten. Massenbewegung ja, aber Anti-Atom würde sich selbst so nicht bezeichnen, Anti-Atom kommt heute im neuen Gewande: Militant, verbissen, organisiert in K-Gruppen als selbsternannte Avantgarde, das ist genauso Vergangenheit wie Rauschebart, Latzhose und selbst gebastelte Windräder. Heute ist Anti-Atom fröhlich-bunt modern, vernetzt in neuen Medien, eher spontan als in festen organisierten Strukturen.


Verschämt, Versteckt, Verschwiegen: Atom und Kohle sind doch nur peinlich...

Erneuerbare Energien sind angesagt, Atom und Kohle tragen einen Muffelgeruch oder mindestens ein "Geschmäckle". Atom und Kohle schmeckt nach Bereicherung veralteter Monopole im Verbund mit veralteten politischen Eliten.

Spätestens bei der letzten Kommunalwahl und bei der Oberbürgermeisterwahl in Kiel dämmerte der Partei, die sich christlich nennt, dass Energie Wahlen entscheiden kann. Selbst die FDP in ihrem grenzenlosen Opportunismus sprang noch schnell auf den Anti-Kohle-Zug. Einzige Verliererin: CDU.

Wie stark sich schwarz-gelb in die Deckung ducken muss, zeigen der Koalitionsvertrag und das jetzt vorgelegte "Konzept"(1). Sind die Koalitionspartner für oder gegen Atomstrom? Man erfährt nur, dass Schleswig-Holstein keine Regelungskompetenz habe. Das Atomgesetz [AtG] sei Sache des Bundestages.(2) Sind die Koalitionspartner für oder gegen Kohlestrom? Das wird versteckt in der Formulierung vom "ausgewogenen Energiemix", versteckt in "Versorgungssicherheit", versteckt in "günstige Preise". Die Feststellung, wir seien Stromexportland, ist ebenfalls hilfreich.

Es hilft alles nichts: Das Wort Atom- oder wenigstens Kernkraft oder etwas darauf Hindeutendes suchen wir im Inhaltsverzeichnis und im Vorwort vergeblich. Windenergie finden wir, Biomasse, Photovoltaik (wenn auch mit Doppelpunkt "Fehlentwicklungen entgegensteuern"), selbst die unbedeutende Geothermie wird erwähnt. Das Wort Kohle ist genauso Fehlanzeige wie Atom.

Warum werden drei Atomkraftwerke mit 3,6 Gigawatt Leistung oder die geplanten 3,2 Gigawatt Kohlekraft im Inhaltsverzeichnis und Vorwort nicht erwähnt? Immerhin das 9-fache der heutigen Windenergieerzeugung, zeigt die Nichterwähnung die politische oder besser gesellschaftatmosphärische Defensive. Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wird Kohlekraft denn auch als "Übergangstechnologie" bezeichnet.

Man stelle sich vor: Heute noch nicht genehmigt, frühestens 2015 in Betrieb, hat ein in Brunsbüttel neu gebautes Kohlekraftwerk eine technische Laufzeit von 40 bis 60 Jahren. Übergangstechnologie? In dem Energiekonzept (S. 23) steht es ähnlich zum Thema Atomstrom: "Kernkraft ist eine Brückentechnologie...". Angesicht des Untersuchungsauftrages der Bundesregierung bis zu 28 Jahren Laufzeitverlängerung (=60 Jahre Betriebszeit) ebenfalls eine gewagte Formulierung. Das Ende der Brücke bzw. dieses Überganges würden von den verehrten LeserInnen des Gegenwind nur die Allerjüngsten erleben.


Abschied vom Klimaschutz!

Der geplante Neubau der Kohlekraftwerke in Schleswig-Holstein würde zu einer Vervierfachung des Treibhausgasausstoßes führen. Das scheint auch bei der Landesregierung angekommen zu sein, heißt es doch im Energiekonzept: "Mit der Erreichung des langfristigen Klimaschutzziels... sind neue Kohlekraftwerke allerdings nur begrenzt kompatibel." Begrenzt kompatibel: Wer redet so? Das ist mindestens sehr gestelzt formuliert. Klimaziel nicht erreichbar, das stört aber nicht, denn weiter steht: "Gleichwohl kann auf absehbare Zeit nicht auf Kohlekraft verzichtet werden..." Genauso verlogen ist die schicksalhafte Darstellung "Die Entscheidung über den Bau von Kohlekraftwerken obliegt bei bestehendem Genehmigungsrecht den Betreibern", als hätte die rot-schwarze Mehrheit der letzten Legislaturperiode im Landtag kein Grundstück in Brunsbüttel zum Bau eines Kraftwerkes verkauft, als hätten die Vertreter dieser Parteien im Stadtrat Brunsbüttel keinen vorhabenbezogenen Bebauungsplan genehmigt, als bestünde nicht die Möglichkeit einer landesplanerischen Forderung nach Mindesteffizienz. Die würde ein Kohlekraftwerk verhindern, das mit seiner Abwärme überwiegend die Elbe heizt.


Atomkraft: Uneindeutig

Der von der FDP gestellte Justizminister Schmalfuß ist für Reaktoraufsicht zuständig. Er hat sich im Landtag durchaus kritisch zu älteren Reaktoren geäußert. Diese hätten höhere Fehlerneigung und sollten früher stillgelegt werden, ihre Laufzeiten auf jüngere Meiler übertragen werden. Daß man mit älteren Autos öfter in die Werkstatt muss, ist eigentlich eine Binsenweisheit, diese simple Erkenntnis von einem Landes-Atomminister ausgesprochen, verdient Beachtung. Die Landes-FDP gibt sich atomkritischer als die CDU. Das Konzept weist auf den hohen Produktionswert der AKW in Schleswig-Holstein hin (1,25 Mrd.), wenn sie dann laufen. Krümmel und Brunsbüttel stehen sehr lange still und sollen erst wieder anfahren, "wenn sie allen sicherheitstechnischen Vorgaben entsprechen und ... der Betreiber seine Zuverlässigkeit nachgewiesen hat." Das Atomkapitel entspricht also den gängigen Erwartungen an ein schwarz-gelbes Papier, Tonalität und Forderungen weisen die Akteure in der Landesregierung jedoch nicht als Scharfmacher in der bundesweit in CDU und FDP laufenden Debatte aus. Schleswig-Holstein gibt ein verschwommenes Bild ab.


Viel Wind um wenig Regierungshandeln

Ausweislich der Überschrift ist Windenergie (S. 9) der Schwerpunkt unter den Erneuerbaren. Das Land ist vom ersten auf einen lauen dritten oder vierten Platz zurückgefallen. Wenigstens muss dann eine Spitzenposition herbeidefiniert werden: Mit 17,6 Windmühlen auf 100 Quadratkilometer ist es die höchste "Nutzungsdichte", was bei vielen kleineren älteren Anlagen nicht beeindruckt.


Die Fläche der Windeignungsgebiete soll im Lande erweitert werden

Der neue Runderlass der Landesregierung wird von der Branche allerdings heftig kritisiert. Durch weitere Abstandserfordernisse wird die verfügbare Fläche halbiert. Allerdings haben nicht nur GRÜNE sondern auch CDU- und FDP-Abgeordnete eine Einmischung des Parlaments in dieser eigentlich der Regierung vorbehaltenen Angelegenheit angekündigt. Man darf also auf Änderung des Erlasses hoffen.

Solarstrom kommt bei der Landesregierung vollkommen schlecht weg. Der Minister lässt sich zwar gerne zur Eröffnung eines Freiflächensolarparkes einladen, lässt aber wenige Wochen später kein gutes Haar am Sonnenstrom: Viel zu teuer, kaum ein Beitrag zum Klimaschutz (S. 15), und überhaupt wegen der wenigen Sonnenstunden viel weniger Ertrag als in Bayern. Offenbar besteht kein Kontakt zur Praxis, sonst würden die Angaben von 850 kWh pro installierter Kilowatt in Schleswig-Holstein deutlich korrigiert werden müssen. Wegen der sauberen Luft, der Kühlung durch den frischen Wind sind die Erträge im Norden Klasse und Bayern ist längst abgehängt.

Die Negativmeinung zum Sonnenstrom erstaunt um so mehr, als Biomasse kaum in Frage gestellt wird. Dabei liefert Photovoltaik zehnmal mehr Strom vom Hektar als Biomasse. Bei derzeit 200 Biogasanlagen mit einem Flächenbedarf von 200 Hektar Energiemais kommen wir auf einen Flächenverbrauch von 40- bis 60.000 Hektar. Bei 1 Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche im Land beklagt der Naturschutz zurecht eine "Vermaisung" der Landschaft. Hier wird die Nähe der Landesregierung zur Landwirtschaft deutlich sichtbar.

Mit dem vorgelegten Konzept unterstreicht die Landesregierung ihren Kurs für Atom und Kohle. Ihr Erhalt und Ausbau steht wegen begrenzter Netzkapazität und aus wirtschaftlichen Gründen einer notwendigen ökologischen Energiewende entgegen.


Anmerkungen

(1) "Energiepolitik für Schleswig-Holstein", Energiekonzept der Landesregierung (34 Seiten) kann heruntergeladen werden unter www.wirtschaftsministerium.schleswig-holstein.de

(2) Ob das AtG tatsächlich eine reine Bundesangelegenheit ist, wird von GRÜN bestritten. In einem Brief des Umweltministeriums auf Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer bejaht der BMU eine Zustimmungspflicht des Bundesrates. Bei Laufzeitverlängerung würden die Landesverwaltungen der fünf Bundesländer mit Atom-Standorten länger belastet. Das löst Zustimmungsbedarf im Bundesrat aus - anders als bei der letzten AtG-Novelle, die die Laufzeiten der AKW begrenzte, und damit die Landesverwaltungen von Aufgaben perspektivisch entlastete. Die grüne Landtagsfraktion prüft diese Frage im Rahmen eines Landtagsantrages zum Atomausstieg Drucksache 17/79.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 260 - Mai 2010, Seite 48-49
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2010