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GEGENWIND/431: Vom Süden lernen - Argentinische Schülergruppe besucht Kiel


Gegenwind Nr. 262 - Juli 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Vom Süden lernen
Argentinische Schülergruppe besucht Kiel

Von Margit Waschull


Im Mai besuchte eine argentinische Schülergruppe des Projekts Crear Vale La Pena die Stadt Kiel. Die acht argentinischen Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren und ihre zwei Betreuerinnen wohnten bei Schülern des Bildungszentrums Mettenhof. Ziel des Besuchs war es, in angeleiteten Projekten gemeinsam künstlerisch aktiv zu werden. Die Koordination wurde vom Verein Kiel CREARtiv und der Schauspielerin Kati Luzie Stüdemann übernommen.

Basierend auf der These, dass Kunst und Kultur die soziale und gesellschaftliche Kompetenz fördern, hat die gemeinnützige argentinische Nichtregierungsorganisation Crear Yale La Pena ein Modell zur sozialen Integration von Jugendlichen entwickelt. In benachteiligten Stadtteilen von Buenos Aires sind seit 1993 in diesem Projekt erfolgreich die kreative Arbeit mit Jugendlichen und die Zusammenarbeit mit Schulen aufgebaut worden.

In Argentinien sind die durch diese Arbeit entstandenen Sozial- und Kulturzentren Orte der künstlerischen Begegnung, der Sozialisierung und der Bildung. Hier treffen sich sowohl junge als auch ältere Menschen aus der Nachbarschaft der jeweiligen Viertel.

Crear Vale La Pena koordiniert das Lateinamerikanische Netzwerk Kunst für den sozialen Wandel (Red Latinoamericana de Arte para la Transformación Social), in dem Organisationen aus Brasilien, Bolivien, Chile, Uruguay, Guatemala und Costa Rica vertreten sind. Das Netzwerk initiiert gemeinsame Kunstaktionen mit dem Ziel der sozialen Integration, der Förderung der Menschenrechte und des interkulturellen Austausches.

Crear Vale La Pena sieht in Bildung mehr als nur die schulische oder berufliche Bildung. Es geht um eine umfassende künstlerische Bildung und Entwicklung, die alle Bereiche des Menschseins erfasst.

In einem Land wie Argentinien, mit einer Arbeitslosenquote von 12 Prozent im Jahr 2009, einem Preisanstieg von ca. 30 Prozent innerhalb der letzten Jahre, bei eingefrorenen oder sogar sinkenden Löhnen, fällt es vielen Familien schwer, den notwendigen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Deshalb nehmen viele Eltern ihre Kinder schon frühzeitig aus der Schule, damit sie durch ihre Arbeit zum Unterhalt beitragen. Viele Jugendliche beginnen ihr Arbeitsleben mit 14 und ohne ausreichende Qualifikationen. So werden auch sie in diesem Teufelskreis gefangen bleiben. Viele sind auf die Verrichtung niedrigster Arbeiten angewiesen, um ihr Überleben zu sichern. Allein in Buenos Aires wird die Zahl der Cartoneros (Papier- und Karton-Sammler) auf 20 - 40.000 geschätzt. Die meisten von ihnen sind Kinder.

Crear Vale La Pena will Familien und Kindern in dieser Situation eine Unterstützung bieten. Den Familien muss verdeutlicht werden, dass auf Dauer nur die bessere und längere Schulbildung bessere Berufschancen und somit eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ermöglicht.

Seit 2005 gibt es die partnerschaftliche Zusammenarbeit des Kieler Vereins Kiel CREARtiv mit dem Projekt Crear Yale La Pena aus Buenos Aires.

Nach dem ersten Kennenlernen hat sich in Kiel eine Initiative gegründet, die ihre Arbeit ganz bewusst an den Thesen der argentinischen Partnerorganisation ausrichtet, was sich auch in der Namesgebung widerspiegelt. Unter dem Motto 'vom Süden lernen' findet ein reger Austausch statt. Es gab gegenseitige Besuche und Austauschprojekte. Von Beginn an ist die Kieler Schauspielerin Kati Luzie Stüdemann der Motor dieses Engagements. Inzwischen ist der Verein Kiel CREARtiv zu einem Zusammenschluss von Künstlern und ihren Unterstützern geworden, die in Projekten mit benachteiligten Jugendlichen künstlerisch arbeiten. Für ihre Arbeit sind die Beteiligten schon mehrfach ausgezeichnet worden.

In Kiel trafen sich jetzt Jugendliche aus beiden Projekten. Während des Aufenthalts arbeiteten die Jugendlichen miteinander in Workshops in den Bereichen Film, Theater und Bildende Kunst. Kennzeichnend für dieses Projekt ist es, dass Schüler mit ganz unterschiedlichem sozialem Hintergrund und aus verschiedenen Schulformen miteinander in einer Gruppe arbeiten. In Kiel waren dies jeweils eine Klasse aus Haupt- und Realschule, Gymnasium und der Schule für Körperbehinderte des Bildungszentrums Mettenhof. Auch viele der Kieler Jugendlichen, die zwar gemeinsame Pausenzeiten und auch einen gemeinsamen Pausenhof haben, kamen so erstmals miteinander in Kontakt. Auf der anderen Seite lernten die argentinischen Schüler nicht nur 'typisch' deutsche Familien kennen, sondern waren teilweise auch bei Migrantenfamilien untergebracht, mitten im multikulturellen Deutschland.

Am meisten beeindruckt waren die Kieler Schüler wohl vom Umgang der Argentinier miteinander. Alle - auch Betreuer und Schüler - begrüßen sich mit Küsschen. Das Schulbrot wird geteilt, man trinkt gemeinsam aus einer Flasche oder einem Becher, und dies ohne den Anderen zu fragen. Es ist einfach ganz selbstverständlich. Äußerlichkeiten, die aber die Nähe der Projektteilnehmer und ihrer Betreuer untereinander widerspiegeln. So haben sich denn zum Ende des Besuchs auch die einheimischen Schüler deutlich häufiger umarmt oder mit Wangenküsschen begrüßt. Aber von einer Sache waren sie dann doch geschlaucht: wie man hört, haben die Argentinier die Nacht zum Tag gemacht. Da konnte kaum ein Kieler mithalten.

Die argentinischen Betreuerinnen konnten auch Parallelen im Leben der Jugendlichen entdecken. Die Lustlosigkeit und die allgemeine Perspektivlosigkeit der Schüler sei hier wie dort deutlich zu spüren. Die Antriebslosigkeit sei erschreckend. Viele saßen nur noch vor dem PC und seien nur im Internet unterwegs. Andere Aktivitäten fänden nicht statt. Aber auch das nutzt Crear Vale La Pena. Es gibt inzwischen einen Blog und auch auf YouTube sind Videos von gemeinsamen Aktionen zu finden. Dadurch entsteht nicht nur eine Vernetzung der Organisatoren von Crear Vale La Pena, sondern auch die Jugendlichen selbst in den Projekten können untereinander Kontakt aufnehmen und sich vernetzen.


Für das nächste Jahr wird der Gegenbesuch einer Kieler Schülergruppe in Argentinien geplant. Wer dieses Projekt unterstützen möchte, kann dies mit einer Spende tun. Bankverbindung: Förde Sparkasse - BLZ: 210 501 70 - Konto: 148 000 805 (Kiel CREARtiv eV). Kontakt und weitere Infos: www.crear-in-kiel.de


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Quelle:
Gegenwind Nr. 262 - Juli 2010, Seite 47 - 48
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2010