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GEGENWIND/436: Neuwahlen - so früh wie möglich!


Gegenwind Nr. 265 - Oktober 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

LANDTAG Schleswig-Holstein
Neuwahlen - so früh wie möglich!

Von Eka von Kalben
(Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein)


Das Landesverfassungsgericht hat entschieden: Der Landtag muss sich ein neues Wahlgesetz geben und danach neu wählen. Hört sich klar an. Ist es aber nicht.


Das Wahlgesetz

Mehrfach hatten Bündnis 90/Die Grünen in der Vergangenheit aufgefordert, das Wahlgesetz zu ändern und schließlich vor einem Jahr - Ende September 2009 - einen eigenen Gesetzesentwurf eingebracht. Unsere Kritikpunkte: Die hohe Anzahl der Wahlkreise führt bei kleiner werdenden Volksparteien zu einem unverhältnismäßig großen Parlament. Außerdem haben wir als eines der letzten Bundesländer ein Zählverfahren, das das Wahlergebnis verzerrt. Die Auslegung des Wahlrechts ist strittig und damit die Legitimität der Regierung. Insgesamt wird der Wählerwille nicht korrekt abgebildet.

Ein Jahr später erklärt das Landesverfassungsgericht, dass der Landtag auf verfassungswidriger Grundlage gewählt worden sei. - Die Ignoranz der schwarz-gelben Regierung führte dazu, dass Schleswig-Holstein einmal wieder mit einem Kuriosum in den bundesweiten Schlagzeilen ist. Die Wahl am 27.09.2009 fand "in Anwendung eines verfassungswidrigen Wahlgesetzes statt" (Pressemitteilung des Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts vom 30.08.2010). Nun ist es also amtlich.

Seitdem ist klar: Schwarz-Gelb büßt seine politische Legitimation ein und ist eine Übergangsregierung. Qua Gericht wird diese Legislaturperiode mindestens um zwei Jahre verkürzt. Für die Politik in Schleswig-Holstein ist das gut - je kürzer CDU und FDP regieren, desto besser für das Land. Dass aber weder die CDU noch die SPD beizeiten dazu bereit waren, das Wahlgesetz zu ändern und lieber in Kauf nahmen, eine Landtagswahl durchzuführen, der die Verfassungskonformität später durch ein Gericht aberkannt wird - das zeugt nicht nur von Ignoranz, das ist peinlich.


Wie weiter?

Folgerichtig wäre, den Gesetzesentwurf zu beraten, der bereits seit einem Jahr vorliegt und im Urteil des Landesverfassungsgerichts als eine mögliche Lösung angesprochen wurde. Die Grüne Fraktion hat diesen Gesetzesentwurf gleich nach der Landtagswahl 2009 eingebracht. Er führt zu einem gerechten Sitzausgleich nach dem Zweitstimmenergebnis, reduziert die Zahl der Wahlkreise auf 30 und ersetzt das Auszählverfahren nach d'Hondt durch das nach Sainte-Laguë/Schepers, das ein gerechteres Verfahren darstellt.

Das Gesetz wurde bereits in Anhörungen im Innen- und Rechtsausschuss als verfassungsgemäß gewürdigt. Also könnte es bei gutem Willen aller Beteiligten noch in diesem Jahr verabschiedet werden.


Dauerwahlkampf droht

Statt sich zügig und konzentriert an die Arbeit zu machen und sich auf ein Wahlgesetz zu einigen, versuchen CDU und FDP, den Wahltermin zeitlich so weit wie möglich nach hinten zu schieben. Ginge es ihnen wirklich nur darum, sich Zeit zu nehmen, um ein gerechtes und verfassungskonformes Wahlgesetz zu entwickeln, dann wundert es schon sehr, dass sie sich nicht auf die grünen Vorschläge einlassen und immer noch eine größere Anzahl an Wahlkreisen fordern.

Unvorstellbar: Ein Wahlgesetz, das im nächsten Jahr wieder auf den Prüfstand müsste, machte uns zur Witzfigur der Nation!

Der Schluss liegt nahe, dass es Schwarz-Gelb einzig um die eigenen Interessen geht:

ein Wahlgesetz zu verabschieden, das möglichst viele Direktmandate erlaubt,

nicht dann wählen zu lassen, wenn die eigenen Umfragewerte im Keller sind,

solange an den Sesseln zu kleben wie möglich, also gern bis zum 30. September 2012.

Im Umkehrschluss ließe sich natürlich folgern, dass die Opposition, die schnelle Neuwahlen fordert, dazu aufruft, um Schwarz-Gelb möglichst zügig abzulösen. Das ist ein Grund - und dazu stehen wir. Aber es ist nicht der einzige: Es gibt neben dem Wunsch nach einem Machtwechsel in Kiel auch andere Gründe.

Wir befinden uns in einer schweren Zeit für die Demokratie. Manche sagen, wir befinden uns in einer demokratischen Krise. Die Zahl der NichtwählerInnen steigt; sie sind längst zur schweigenden Mehrheit geworden. Diese eint zwar nicht unbedingt ein Interesse, aber sie eint ein Desinteresse. Sie eint auch das mangelnde Vertrauen in die Politik. Das Vertrauen, die anstehenden Probleme zu lösen.

Die schwarz-gelbe Verzögerungstaktik, die einzig Eigeninteressen gilt, erweist parteien- und politikerverdrossenen Menschen in diesem Land einen Bärendienst.

Zudem: Der Gestaltungsrahmen der Landespolitik wird immer kleiner. Nicht zuletzt durch die desolaten Haushalte. In dieser Situation wird es immer schwieriger, Menschen für das Parlament zu interessieren.

Ein zweijähriger Dauerwahlkampf droht diese Entwicklungen noch zu befördern. Die nächsten Jahre drohen von heftigen Debatten geprägt zu sein, bei denen es sicher nicht nur um die Sache gehen wird. Eine positive Veränderung der politischen Kultur wird so sicher nicht gefördert.

Wahlkampf muss per se nicht etwas Schlechtes zur Politisierung der Bevölkerung sein. Im Gegenteil, die Parteien zeigen sich in der Regel sehr viel häufiger auf der Straße und werben für ihre Konzepte. Das ist sicher ein wichtiger Weg, Politikverdrossenheit zu begegnen.

Doch die Gefahr, bei einer aufgeheizten Stimmung, in einer Zeit, in der der politische Gestaltungsrahmen durch desolate Haushalte immer kleiner wird, ist, dass der Darstellung der politischen Akteure nicht mehr mit Interesse sondern mit Ablehnung begegnet wird.

Die Gefahr besteht, dass wichtige Projekte wie z.B. eine Verwaltungsstrukturreform, wie ein breit angelegter Schulfrieden, wie eine gerecht angelegte Haushaltskonsolidierung nicht umgesetzt werden, weil die Mehrheiten unklar und wackelig sind. Das Land droht durch Untätigkeit zu versinken, obwohl es Aufgaben und Ideen genug gibt, um über Wasser zu bleiben.


Logische Konsequenz: Zügige Neuwahlen

Wenn wir davon ausgehen, dass ein Wahlgesetz Anfang 2011 verabschiedet wird, dann erhält das Parlament noch 1,5 Jahre bis zur Durchführung der Wahl nämlich bis zum 30.9.2012. Das sind von heute an noch zwei Jahre. Zwei Jahre, in denen die jetzige Regierung sich weiter durchwursteln und vor allem richtungweisende Pflöcke einschlagen kann, die von einer neuen Regierung nicht einfach - wenn überhaupt wieder - zurückgeholt werden können.

Aus diesem Grunde haben wir Schwarz-Gelb unmittelbar nach dem Verfassungsgerichtsurteil das sogenannte Pairing aufgekündigt (gilt nach wie vor bei schwerer Erkrankung, nicht aber bei Verhinderung durch politische Termine). Pairing steht für die gute parlamentarische Sitte, dass im Falle der Verhinderung eines Abgeordneten (wie z.B. bei zeitgleich stattfindenden Bundesratsversammlungen eines Regierungsabgeordneten) auch ein/e Abgeordnete/r der Opposition nicht abstimmt. Somit bleiben die Mehrheitsverhältnisse gewahrt. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts macht dieses Abkommen obsolet, denn diese Regierung ist politisch nicht legitimiert, eben auch nicht dazu, um ggf. im Bundesrat noch schnell der Verlängerung der AKW-Laufzeiten zuzustimmen. - Viel mehr aber können wir nicht machen...

Fakt ist: Nur zügige Neuwahlen wären konsequent und ehrlich: Der Zuschnitt neuer Wahlkreise und die Vorbereitungen von Wahlen muss nicht zwei Jahre dauern. Wenn man jetzt Stimmen hört, dass man ja auch Rücksicht auf die kleinen Parteien nehmen müsse, die längere Vorbereitungszeit brauchten und was das Absurdeste ist, die Parteien berücksichtigen müsse, die sich vielleicht noch gründen wollten, dann ist das doch sehr durchschaubar. Da geht es nicht um Demokratie sondern um individuellen Machterhalt. Viele ParlamentarierInnen müssen bei einem deutlich verkleinerten Landtag um ihr Mandat fürchten. Das tut weh und verführt zur Klebetaktik.


Die Klebetaktik

Die Klebetaktik geht so: Man diskutiert jeden vorliegenden Wahlvorschlag herunter und fängt an, sich ganz plötzlich für ganz andere Modelle, wie z.B. den wirklich interessanten Vorschlag von "Mehr Demokratie" zu interessieren. Wohl wissend, dass es dafür keine Mehrheit im Parlament geben wird. Stattdessen kann sich der Landtag Monate darüber auseinandersetzen und schnelle Neuwahlen verhindern. Die Klebetaktik wirkt.

Zweiter Schritt nach einem verabschiedeten Wahlgesetz ist der Neuwahltermin. Da werden Papiere des wissenschaftlichen Dienstes, der die Parlamentarier mit juristischen Prüfungen unterstützt, an die Öffentlichkeit gegeben, um zu begründen, dass die Forderungen nach Neuwahlen absurd seien. Der früheste Wahltermin könne erst im Juli 2012 liegen. Dass diese Äußerung so aus dem Zusammenhang gerissen wurden, wird natürlich nicht deutlich gemacht.

Richtig ist, dass eine Regierung nicht wahllos in einer Legislaturperiode einen Wahltermin festlegen kann. Dann wären die Demoskopen diejenigen, die die Wahl bestimmen würden. Die jeweilige Regierung würde den Termin nach Umfragewerten, Wetterlage und ähnlichem festlegen.

Deshalb gibt es Vorgaben um wie viel eine Legislaturperiode verkürzt werden darf. Nimmt man das Ende der Legislatur Schwarz-Gelb mit dem 30.9.2012 an, dann wäre der früheste Zeitpunkt für Wahlen, die die Regierung festlegt, der 22.7.2012.

Doch diese Darstellung übersieht einen wichtigen Punkt, nämlich dass sich der Landtag mit Zweidrittelmehrheit natürlich auch wesentlich früher auflösen kann. Dazu bedarf es lediglich den Willen aller Parlamentarier, sich von der Klebetaktik zu lösen und sich der Willensbekundung der Bevölkerung neu zu stellen. Trotz zur Zeit guter Umfragewerte der Grünen kann es in einem verkleinerten Parlament auch die eigenen Abgeordneten treffen. Trotzdem sind wir sehr einig, dass die derzeitigen Verhältnisse nicht dem Wohl der Bevölkerung dienen, und deshalb müssen sie verändert werden.

Wir fordern daher Neuwahlen so früh wie möglich. Spätestens im Herbst 2011.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 265 - Oktober 2010, Seite 17-18
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010