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GEGENWIND/465: Attraktive Bahninfrastruktur für alle Regionen


Gegenwind Nr. 270 - März 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Bahn für alle
Attraktive Bahninfrastruktur für alle Regionen

Von Klaus Peters


Die von allen Regierungen der letzten beiden Jahrzehnte vorangetriebene Privatisierung der Bahn konnte zunächst aufgehalten werden. Das Bündnis "Bahn für Alle" hatte in großem Umfang Aufklärungsarbeit geleistet, Widerstand aufgebaut und deshalb einen großen Anteil am vorläufigen Stopp der weiteren Privatisierung. Unabhängigkeit von der aufkommenden Finanzkrise, die letztlich ausschlaggebend gewesen sein dürfte, war die Zahl der Kritiker und Gegner weiterer Privatisierungen beachtlich gewachsen. Widerstand, besser noch: Bündnisse des Widerstands, blieben unverzichtbar.

Die Zerschlagung der Bahn hatte mit Streckenstillegungen, Bahnhofsschließungen und Personalabbau sogar schon vor weit über 20 Jahren begonnen. Auf stillgelegten Strecken sind private Busunternehmen eingesetzt worden. Einen großen Privatisierungsschub brachte die Regionalisierung des Bahnverkehrs. Die Umstellungsphase war mit erheblichen Schwierigkeiten für Bahnkunden verbunden: Konzentration der DB auf eigene Zugstrecken, Abstimmungsprobleme zwischen den verschiedenen Anbietern, diverse technische Probleme, am Husumer Bahnhof kam es zudem zu erheblichen Lärmbelästigungen der Anlieger.

Verbesserungen des Angebots erfolgten fast nur auf den Fernstrecken. Im regionalen Bereich sind die Fahrzeiten nur selten verkürzt worden. Die Preise sind immer noch viel zu hoch und steigen weiter, sogar trotz der von den Umweltverbänden nach Schweizer Vorbild durchgesetzten Bahncard. Die Tarifstruktur ist zudem erheblich unübersichtlich geworden und in jedem Bundesland anders. Seit dem letzten Fahrplanwechsel sind in Schleswig-Holstein zwar Singletickets verfügbar, dafür sind die Fahrpreise für Gruppen aber deutlich gestiegen. Die Mitnahme von Interessenten an einer Gruppenfahrt ist erheblich erschwert worden. Normale Monatskarten sind in IC- und ICE-Züge schon lange nicht mehr gültig. Und ein Ende der Verschlechterungen bzw. Verteuerungen ist nicht erkennbar.

Gerade an den kleineren Bahnhöfen im Land, vielfach existieren nur noch Haltepunkte, werden die Bürger mit Verfall, Verödung oder Verwahrlosung konfrontiert. Ausnahmen bestätigen die Regel. An der Westküste werden die Bahnhöfe Heide, Lunden und Niebüll gegenwärtig saniert bzw. modernisiert, auf der West-Ost-Strecke der Bahnhof Rendsburg. Diese Maßnahmen sind überfällig. Im Bahnhof Itzehoe ist trotz Modernisierung immer noch kein Fahrstuhl vorhanden.

Die Liste der Defizite betrifft neben den Bahnhöfen natürlich auch das Wagenmaterial, die Strecken, die Organisationsstruktur, die Fahrpläne, die Öffnungszeiten und die Preisgestaltung.

Die vielgenutzte Strecke Hamburg-Westerland müsste viel häufiger durch IC-Züge befahren werden. Zurzeit ist die IC-Fahrt durch Lokwechsel in Itzehoe allerdings auch kaum schneller als die Fahrt mit der Regionalbahn. Auf den Strecken Hamburg-Kiel und Hamburg-Lübeck werden durchgehend bis Dänemark IC-Züge eingesetzt, teilweise auch ICE. Ab Niebüll führt seit dem letzten Fahrplanwechsel zumindest eine Regionalbahn durchgehend bis Esbjerg - die Wagen sind sogar mit Tischen ausgestattet. Auf der West-Ost-Verbindung Husum-Kiel bzw. Lübeck müsste ebenfalls eine Verbindung auf IC-Niveau eingerichtet werden. Die Westküste ist von der Bahn und den verantwortlichen Entscheidungsträgern bislang nicht gleichwertig behandelt worden. (Vorrang hat zunächst offenbar wieder der Straßenbau mit dem geplanten Ausbau der B 5 im Abschnitt Tönning/Husum. Diese Maßnahme erfolgt allerdings nicht vorrangig um Unfallschwerpunkte zu beseitigen, sondern um den Straßenverkehr zu beschleunigen(1).)

In den späten Abendstunden müssten in den ländlichen Regionen Linientaxen zur Verfügung stehen, die Fahrgäste von den größeren Bahnhöfen in die Orte bringen, die mit der Bahn nicht mehr zu erreichen sind. Ein solches Angebot erhöht nicht zuletzt auch die Straßenverkehrssicherheit.

Bedauerlicherweise haben prinzipiell alle politischen Parteien trotz gelegentlich anders klingenden Erklärungen, abgesehen wiederum von Ausnahmen wie Stuttgart 21, nachhaltige Mobilität für alle Regionen, insbesondere für den ländlichen Raum, noch nicht zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht.



Anmerkungen

(1) An manchen Straßen stehen Straßenbäume eng am Fahrbahnrand, ungeschützt sogar am Ausgang von Kurven.


Quellen:

Agentur BahnStadt: 18. Qualitätskontrolle an den Bahnstationen in Schleswig-Holstein, Ergebnisbericht 2010, Agentur BahnStadt, Berlin, www.bahnstadt.de

Bund, Kerstin und Claas, Tatje: Neben der Spur, DIE ZEIT Nr. 5 vom 27. Januar 2011, S. 19/20

Husumer Nachrichten vom 11. September 2010, S. 5: Auto zerfetzt: Zwei junge Männer tot

www.bahn-fuer-alle.de

www.parkschuetzer.de

www.k-21.de


Die Bahn soll jährlich 500 Millionen an den Bund abführen. Das Wagenmaterial ist unzureichend, ebenso wie der Zustand von Weichen, wie diverse Schwierigkeiten in diesem Winter zeigten. Auch im Bereich der Sicherheit gibt es auf bestimmten Strecken erhebliche Defizite, auf die auch der schwere Unfall im Januar in Sachsen-Anhalt zurückzuführen ist. Das Projekt Stuttgart 21, in Teilen auch ein großes Privatisierungsprojekt, verschlingt, wenn es denn realisiert werden sollte, mehrere Milliarden Euro. In Hamburg droht die Aufhebung des Kopfbahnhofs Altona, der ebenfalls mit dem Verkauf von Grundstücken und der Errichtung von profitablen Immobilien verbunden sein würde. Der Profit- und Privatisierungswahn trifft die Menschen überall, wenige machen die großen Gewinne. Und wenn Immobilien noch nicht in Profit umzusetzen sind, werden sie dem Verfall preisgegeben. Diese Beobachtungen lassen sich gerade im Umfeld von Bahnhöfen oder Bahnstrecken machen, z.B. im Umfeld des Bahnhofs Altona, an der Strecke Hamburg-Berlin, aber auch in Schleswig-Holstein.

Die Privatisierungen von Leistungen der Bahn erfolgten nicht nur im Zusammenhang mit der Regionalisierung und dem Verkauf von Immobilien. Verschiedene Leistungen wie Reinigungsaufgaben, Catering oder Kontrollaufgaben sind an Private vergeben worden. Das Unternehmen BahnStadt erhielt beispielsweise von der LVS, der Landesverkehrsgesellschaft Schleswig-Holstein GmbH, den Auftrag, zweimal jährlich den Zustand der Bahnstationen zu bewerten.

Dabei spielt allerdings die Frage, ob beispielsweise ein Warteraum vorhanden oder geöffnet ist, keine besondere Rolle. Trotz teilweise erheblicher Mängel erhielten die 170 bewerteten Bahnstationen im Durchschnitt die Note 2,49! Zur Behebung der Mängel gibt der Bericht keine Auskunft. Auch die LVS äußert sich in ihrer Presseerklärung zum Bericht nicht dazu. Bei verkauften oder vermieteten Gebäuden sind offensichtlich ohnehin nur noch die neuen Besitzer (Gemeinden) oder Mieter zuständig. Das Bahnhofsmanagement der DB sucht zur Ergänzung der Inspektionen inzwischen auch freiwillig Bahnhofsspaten!


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Quelle:
Gegenwind Nr. 270 - März 2011, Seite 19-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2011