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GEGENWIND/468: Anmerkungen zur finanziellen Situation Schleswig-Holsteins


Gegenwind Nr. 271 - April 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Anmerkungen zur finanziellen Situation Schleswig-Holsteins

Von Thomas Herrmann


Der Konsolidierungsbedarf des Landes und damit das strukturelle Defizit betragen nach Berechnungen des Finanzministers 1,25 Milliarden Euro, die innerhalb von zehn Jahren aus dem Landeshaushalt gekürzt werden sollen. Ein strukturelles Defizit liegt vor, wenn die "Normalausgaben" über den "Normaleinnahmen" liegen. 2008 betrug das strukturelle Defizit nach Aussagen des Finanzministers Wiegard noch 600 Millionen Euro.(1) Weiter sagte er im Dezember 2008 im Landtag: "Das strukturelle Defizit Schleswig-Holsteins beseitigen wir nur indem ... wir mit deutlich größerer Intensität als bisher - die Einnahmen auf einem relativ hohen Niveau stabilisieren und gleichzeitig eine wirksame Begrenzung bei Leistungsausgaben durchführen.(2)

Zur Erinnerung: zeitgleich zu diesen Worten erlebte die Bundesrepublik mit einem Minus von 5 Prozent gerade den stärksten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Es drohte ein Abwärtsstrudel aus abnehmender Nachfrage, nachlassenden Einnahmen bei Unternehmen und öffentlichen Händen, zunehmender Arbeitslosigkeit und wiederum nachlassender Nachfrage. Um die Wirtschaft nicht in die Depression stürzen zu lassen legte die Bundesregierung, wie alle anderen Industriestaaten auch, ein antizyklisches Konjunkturprogramm auf. Das ist nichts anderes als die Ersetzung der schwindenden Wirtschaftskraft der unsichtbaren Hand durch die sichtbare Kraft der öffentlichen Hand, um einen Wirtschaftsabsturz zu verhindern. Finanzminister Wiegard hielt einen solchen Absturz für die bessere Lösung und bemerkte im Landtag: "Ich spreche von einem Konjunkturprogramm auf Bundesebene in Höhe von 30 Milliarden Euro, das nach den bisherigen Regeln, von denen wir uns kaum befreien können, obwohl ich das Programm für falsch halte, auch von Ländern und Gemeinden zu tragen sein wird. Für Schleswig-Holstein bedeutet das einen Beitrag von 600 Millionen Euro und damit die Verdopplung der Neuverschuldung. Dies wäre so, sollte ein solches Programm gebastelt werden. Ich warne dringend davor; diesen Dingen Vorschub zu leisten."(3)

Dieses antizyklische Konjunkturprogramm wurde dann mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro realisiert. Der Erfolg dieses Programms führte zu Mehreinnahmen und zur Verbesserung der Haushaltslage. Immerhin befand sich die Wirtschaftsleistung Deutschlands zur Jahresmitte 2010 wieder auf dem Niveau des Jahreswechsels 2O06/2007.(4)

50 Milliarden Euro antizyklisches Konjunkturprogramm haben den Schleswig-Holsteinischen Haushalt mit rund einer Milliarde Euro belastet. Die Landesregierung hat dann diese Summe teils dem konjunkturellen und dem strukturellen Defizit zugeschlagen.

Der Ministerpräsident nutzte die herannahende Staatsschuldenkrise in Griechenland, Irland, Spanien und Portugal um "griechische Verhältnisse" zu beschwören. Dabei ist die Staatsschuldenkrise die unmittelbare Folge einer maßlosen Verschuldung von Privaten und der Abwendung ihrer Insolvenz durch die Staaten. Die Lage wurde so dargestellt wie in Tabelle A zu sehen.(5)


TABELLE A: Ermittlung des strukturellen Defizits 
 (Landesregierung August 2010)


2. Nachtragshaushalt 2010
(in Millionen Euro)
Finanzierungsdefizit
Konjunktureffekt
Strukturelles Defizit 2010
1.755
-500
                  = 1.255

Das heißt, man hat vom großen Finanzierungsdefizit in Höhe von 1.755 Millionen Euro einfach ein vermeintliches konjunkturelles Defizit abgezogen um dann ein strukturelles Defizit von 1,25 Milliarden zu errechnen. Das Finanzierungsdefizit war dann als Folge des Konjunkturprogramms, gegen das man ja war, weitaus geringer.

Nun fragt der geneigte Zeitgenosse, auf welch wundersame Weise es denn innerhalb von zwei Jahren zu einer Verdoppelung des strukturellen Defizits kommen konnte, ohne dass dauerhaft zusätzliche Zahlungsverpflichtungen eingegangen worden wären. Vielmehr wurde bereits im Haushalt 2009/2010 konsolidiert und der Finanzminister selbst hat die Ursachen des Defizites in seiner Haushaltsrede benannt.

Offensichtlich hat der Finanzminister die Kosten des einmaligen und zeitlich begrenzten Konjunkturprogramms einfach auf das konjunkturelle und strukturelle Defizit zugerechnet. Es handelt es sich bei den Kosten des Konjunkturprogramms aber nicht um ein zusätzliches strukturelles, sondern um ein temporäres, antizyklisches Defizit. Dieses ist auch kein konjunkturelles Defizit, denn das kommt allein durch Mindereinnahmen aus Steuern und erhöhte Ausgaben z.B. für Arbeitslosigkeit zustande. Entscheidend ist, dass ein konjunkturelles und ein antizyklisches Defizit hinzunehmen ist. Man nimmt das Defizit für die automatischen Stabilisatoren (passiv = konjunkturelles Defizit) und antizyklische Konjunkturmaßnahmen (aktiv)(6) in Kauf, um eine Depression abzuwenden. Man nimmt ja auch privat keinen Kredit auf, nur um ihn sofort zurückzuzahlen.

Die Berechnung des strukturellen Defizits muss die Kosten des temporären, antizyklischen Konjunkturprogramms in Höhe von 1.000 Millionen Euro in zwei Jahren mit einbeziehen. Bei einem Selbstfinanzierungsbeitrag von eins zu zwei bei einer Abgabenlast von 40 Prozent und Sekundäreffekten sind das 500 Millionen Euro. Das konjunkturelle Defizit ist, weil politisch gegriffen, in der Rechnung der Landesregierung entsprechend zu hoch angesetzt. Es liegt in der Höhe der Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung(7) bei 256 Millionen Euro. Das bedeutet, dass das strukturelle Defizit anders aussieht, als von der Landesregierung errechnet (siehe Tabelle B).


TABELLE B: Ermittlung des strukturellen Defizits
(Eigene Berechnung)

Ist 2010 in Millionen Euro
Tatsächliches Finanzierungsdefizit 2010
Konjunkturelles Defizit
Temporäres, antizyklisches Defizit
Strukturelles Defizit
1.307
-256
-500
                     = 551

Das tatsächliche Finanzierungsdefizit hat sich auf 1.307 Millionen Euro reduziert und liegt damit um über 400 Millionen Euro unter dem im 2. Nachtragshaushalt geplanten. In dieser Höhe fielen kumulierte Mehreinnahmen und Minderausgaben an. (8) Es liegt also "nur" ein jährliches strukturelles Defizit von 55 Millionen über zehn Jahre vor. Und das ist auch angesichts eines strukturellen Defizits von 600 Millionen Euro 2008 und fortgesetzter Konsolidierungsbemühungen in den Jahren 2009 und 2010 nachvollziehbar. Das wird zu gegebener Zeit in die politische Debatte einzubringen sein. Im Übrigen muss an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen werden, dass es nicht sinnvoll ist, Haushaltskürzungen zu vollziehen, während zeitgleich noch die Haushaltsdefizite durch Konjunkturmaßnahmen erzeugt werden. Eine solide Haushaltspolitik würde auch nicht schematisch an die Reduzierung des strukturellen Defizites gehen, sondern immer darauf achten, die soziale Wohlfahrt des Landes bei Einhaltung der Schuldenbremse und Motivverträglichkeit zu maximieren. Das heißt vor allem zu gegebener Zeit die Einnahmeseite in den Blick zu nehmen.

Aber höchstwahrscheinlich wird es darauf gar nicht mehr ankommen. Der große Finanzbedarf des japanischen Staates führt einem Abzug von Kapital aus ausländischen Anlagen. Es ist keineswegs sicher welche Folgen eine zusätzliche Verschuldung Japans bei einem Stand von 200 Prozent des Bruttosozialproduktes haben wird. Die aufwachsende Erwartungsunsicherheit nach den japanischen Atomkatastrophen, wird im Finanzsektor ein eher wirres Verhalten erzeugen, was den Grenzbanken das Leben schwer machen wird. Es wird eine Flucht in sichere Anlagen geben; die Zinsausgaben dürften für Schleswig-Holstein deutlich niedriger ausfallen als geplant. Die Industriepolitik hat in Japan eine teure Wette verloren und auf der anderen Seite steht niemand, der gewonnen hätte. Das ist der Stoff aus dem die nächste Runde der Wirtschaftskrise gemacht wird. Es wird Zeit die Kürzungspolitiken zu stoppen.

Thomas Herrmann ist Wissenschaftlicher Referent für Wirtschaft und Finanzen der Landtagsfraktion DIE LINKE



ANMERKUNGEN

(1) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 99. Sitzung - Mittwoch, 10. Dezember 2008, S. 7354.
(2) Ebenda, S. 7355.
(3) Ebenda, S. 7354.
(4) Jahresgutachten 2010/11, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, S. 111
(5) Vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 17/803, Finanzplan 2010-2014, S. 28.
(6) Wolfgang Scherf: Finanzpolitik zwischen Wirtschaftskrise und Schuldenbremse, in: Ifo-Schnelldienst 21/2009.
(7) RWI Projektbericht Ermittlung der Konjunkturkomponenten für die Länderhaushalte zur Umsetzung der in der Föderalismuskommission II vereinbarten Verschuldungsbegrenzung, Juni 2010, S. 6.
(8) Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 17/1812, S. 2.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 271 - April 2011, Seite 15-16
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2011