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GEGENWIND/483: Einwanderung - Leben in der Illegalität


Gegenwind Nr. 274 - Juli 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

EINWANDERUNG
Leben in der Illegalität

von Jan Ismet Ramm


Normalerweise kann kein Mensch auf dieser Erde illegal sein, wie denn? Dürfen sich Menschen denn ihre Eltern und Geburtsorte aussuchen? Werden wir denn alle illegal geboren? Illegalität wird als Verstoß gegen geltendes Recht, egal ob durch den Bürger oder den Staat definiert. Wenn ein Verstoß gegen die Legalität durch Gesetz als besonders ächtungswürdig festgelegt wird, wird strafbar gehandelt, so beschreibt Wikipedia den Begriff. Geburt vollzieht sich ohne Selbstbestimmung des Betroffenen und Freiheit eines Geborenen den Geburtsort selbst zu bestimmen. Nur das Recht auf Mobilität ist zum Teil selbst zu bestimmen. Diese Bestimmung zum Recht auf Bewegungsfreiheit unterliegt allerdings in der Regel den gesetzlichen Regelungen eines Staates.


Die Politik aller Staaten besteht naturgemäß darin, mit aller Kraft erst ihre Existenzgrundlage zu sichern und dann das Wirtschafts- und Sozialsystem in ihrem Sinne zu schützen und zu maßregeln. Gesetze werden dementsprechend entworfen und in Kraft gesetzt. Gesetze entstehen, um das Leben der Bürger zu regeln und bestens zu optimieren. Das heißt aber auf der anderen Seite desto weniger Handlungsfreiheit für die Bürger je mehr Gesetze verabschiedet werden. Zu den Vorgaben dieser restriktiven Gesetze eines Staates gehören auch störende Elemente in seinem Sinne von außen sowie von innen zu bekämpfen. Die öffentliche Meinungsbildung zur Bekämpfung nach außen ist weniger problematisch als nach innen, da das zu bekämpfende Feindbild klar definiert ist. Man definiert sie über die Ausgrenzung und untermauert sie durch Gesetze und erklärt alle, die nicht dazu gehören zu Unerwünschten beziehungsweise Illegalisierten. Darunter fallen in der Migrationspolitik eines Staates, selbstverständlich unwillkommene Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen ohne Aufenthaltsrecht. Nach innen aber sind die Feindbilder Terroristen, Extremisten und Andersdenkende aus den Reihen der eigenen Staatsbürger. In der nun globalisierten Welt ist die Grenzziehung zwischen den Feindbildern fließender denn je. Inzwischen kann man den Terrorbegriff beliebig auf alle störenden Elemente anwenden. Die berechtigte Existenz von mehr oder weniger demokratisch funktionierenden Rechtsstaaten ist jedoch darin zu begründen, durch großzügige und inklusive Gesetzgebung allen Menschen Sicherheit, Versorgung und Wohlstand zu ermöglichen.

Heutzutage ist es den Menschen in den wohlhabenden westlich geprägten Staaten jedoch nicht mehr bewusst, dass der Wohlstand und die Sicherheit, wie wir sie kennen, für den Rest der Welt nicht zugänglich ist. Dass der Wohlstand des Einen generell auf der Ausbeutung des Anderen beruht, wird Infolge der Komplexität der globalisierten Welt von keinem so richtig bewusst wahrgenommen. Die westliche Welt, die am meisten vom Wohlstand profitiert und ihn nach außen als Eigenverdienst präsentiert, wird eigentlich im Inneren durch einen unaufhörlichen Interessenkampf sozialer Schichten bestimmt. Diese äußerlich heile Welt im Westen scheint zurzeit für die Verzweifelten draußen von einer unüberwindlichen Schutzmauer umgeben zu sein.

Mit diesem Artikel möchte ich eigentlich auf die Situation der Menschen Bezug nehmen, die versuchen in der vermeintlich wohlhabenden Gesellschaft im Westen Überlebensnischen zu finden. Ich werde insbesondere auf diejenigen eingehen, die nach der deutschen Staatsrechtsdefinition kein Aufenthaltsrecht haben, aber ein Recht darauf haben, zumindest nach dem Grundgesetz menschenwürdig zu leben. Im Mittelpunkt dieses Artikels steht die Situation in Schleswig-Holstein, also Rahmenbedingungen und Konsequenzen illegaler Migration für die Mehrheitsgesellschaft und für die Migranten, die ohne die dafür erforderliche Genehmigung oder Duldung leben. Dabei wurden zentrale Ergebnisse der diakonischen Forschung einbezogen.

Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland 500.000 bis zu 1.000.000 Millionen Menschen leben, die über kein Aufenthaltsrecht verfügen. Auf Grundlage von Interviews sind laut der Studie von Diakonie für das Jahr 2009 Kontakte der Beratungsstellen zu mindestens 282 Personen in Schleswig-Holstein ohne Aufenthaltsrecht festgestellt worden. Wegen der Tendenz von Menschen ohne Aufenthaltsrecht, sich zu verbergen, ist die exakte Anzahl wissenschaftlich prinzipiell nicht feststellbar. Die Daten der Studie geben aber Anlass zu der Feststellung, dass es sich um ein Mehrfaches von 282 Personen handelt und die Zahl insgesamt im vierstelligen Bereich liegt. Aus den Befunden der Studie kann gefolgert werden, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht in Schleswig-Holstein keine Einzelfälle sind. Allein im Jahr 2010 wurden 309 Personen ohne Aufenthaltsrecht in der Abschiebehaft Rendsburg inhaftiert. 180 Personen wurden in ein europäisches Drittland, 66 Personen ins Herkunftsland abgeschoben.

Die illegale Migration wird häufig diskutiert, und vielfach wird angenommen, dass hier schwerwiegende Probleme vorliegen, die politisches Handeln erfordern. Allerdings bestehen aktuell auf Seiten der herrschenden Politik keine durchdachten und Erfolg versprechenden Konzepte. Bislang wurden auch kaum Anstrengungen unternommen, das Thema zum Umgang mit der Illegalität anzugehen.

Es gibt nach dem geltenden Gesetz die unterschiedlichsten Gründe über den fehlenden Aufenthaltsstatus. Ausreisepflichtige Flüchtlinge, deren Asylverfahren beendet ist, die jedoch Deutschland nicht verlassen. Flüchtlinge, die keinen Asylantrag stellen, weil sie befürchten, dass das Verfahren sowieso keine Erfolgsaussichten hat. Migranten, die ursprünglich einen Aufenthaltstitel hatten, deren Aufenthalt jedoch nicht verlängert worden ist. Touristen, die mit einem Visum eingereist sind, deren Visum jedoch keine Gültigkeit mehr hat. Personen, die zu Familienangehörigen einreisen, deren Antrag auf ein Visum zwecks Familienzusammenführung vorher abgelehnt worden ist. Personen, die einreisen, um eine Arbeit aufzunehmen, ohne hierfür ein Visum zu haben. Personen, die durch falsche Versprechungen z.B. im Kontext von Frauenhandel nach Deutschland gelockt wurden. All diese Gruppen gehören zu dem Kreis der Illegalisierten. Ein weiterer Grund für die ansteigende Zahl von Illegalisierten in Deutschland und insgesamt in Europa, sind die Einschränkungen bei der legalen Einreise. Behördlich existieren illegale Personen nicht. Diese Rechtlosigkeit wegen Illegalität hat die Erpressbarkeit und Ausbeutung zur Folge. Inanspruchnahme institutioneller Einrichtungen zur Hilfe ist vor dem Hintergrund, dass der Status aufgedeckt werden könnte, ist sehr gering. Schwerer Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen wegen Gefahr zur Identifizierung, diesbezüglich ist das Risiko zur Abschiebung höchstwahrscheinlich. Erschwerter Zugang zur Gesundheitsversorgung. Gravierende Gesundheitsprobleme, fehlender Zugriff auf Bildungs- und Integrationsangebot sind Hürden, denen Illegalisierte ausgesetzt sind.


Wer kümmert sich in Schleswig-Holstein darum?

Am 27. Februar 2002 wurde in Kiel die landesweite Arbeitsgemeinschaft "Illegalisierte Menschen in Schleswig-Holstein" ins Leben gerufen, die sich den Problemen von Menschen ohne Aufenthaltsrecht, sogenannten sans papier, Menschen ohne Papiere, widmen will. Der Vormundschaftsverein "Lifeline" im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. kümmert sich seit 2004 um die minderjährigen Flüchtlinge.


Wie sehen die Lebensverhältnisse aus?

Für Menschen ohne Aufenthaltsrecht bedeutet eine schwere oder chronische Krankheit oder Operation eine finanzielle Krise. Viele Erkrankungen entstehen durch die besondere Lebens- und Arbeitssituation der Illegalisierten. Sie werden begleitet durch die Angst, festgenommen zu werden; Depressionen durch Lebenssituation; Traumatisierungen im Herkunftsland oder auf der jahrelangen Flucht; auch Angst vor Abschiebung bzw. Illegalität bei legalen Migranten mit vorübergehendem Aufenthaltsrecht; Sorge um Zukunft, Angst vor Altersbeschwerden. Es fehlen Kostenträger für Behandlungen, kostenfreie Angebote und Selbsthilfemaßnahmen. Eine Vermittlung zu Ärzten oder Ärztinnen durch private Kontakte ist nur gegen Barzahlung möglich. Um im Falle einer Erkrankung dennoch eine Diagnose und entsprechende Medikamente zu bekommen werden Versichertenkarten getauscht, Versichertenkarten auch gegen Geld verliehen, Freunde oder Bekannte zum Arzt geschickt, damit sie die Symptome beschreiben und als ihre eigenen ausgeben. Betroffene versuchen, sich auch selbst mit Hilfe von Hausmitteln zu heilen oder bekommen diese von Mitarbeitenden der Beratungsstellen oder der Projekte.

Menschen in der Illegalität müssen schlechtere Arbeitsbedingungen, z.B. lange Arbeitszeiten, kein ausreichender Schutz vor gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Situationen und niedrigeren Lohn als legal angestellte Kollegen und Kolleginnen akzeptieren. Betroffene machen die Arbeit, die Einheimischen nicht machen wollen (z.B. zu dreckig oder gefährlich, körperlich anstrengend, geringes soziales Ansehen). Gastronomie, Prostitution und Beschäftigung in Privathaushalten sind die mit Abstand häufigsten Einnahmequellen.

Wenn illegale Menschen Wohnraum nutzen, der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird, verstärken sich Abhängigkeiten und soziale Isolation. Angepasstes und unauffälliges Wohnen ist nur mit Wissen über Kultur und Sprache sowie gute soziale Netzwerke möglich. Nicht aufzufallen ist ein erstrebenswertes Ziel. Wenn Betroffene sich wie Einheimische geben, würden sie nicht weiter auffallen. Sie trauen sich häufig nicht, die Wohnung zu verlassen. Betroffene sind also angewiesen auf andere, die z.B. für sie einkaufen gehen. Nachbarschaftliche Kontrolle in ländlichen Gebieten ist hoch und erschwert ein Leben in der Illegalität.

Betroffene Kinder können nicht an Schulen angemeldet werden, weil damit der Status der Kinder und Eltern aufgedeckt würde. Sie können private Kindergärten und Schulen besuchen, wenn eine Finanzierung möglich ist. Jugendliche mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität haben in der Regel wegen fehlender Arbeitserlaubnis keinen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt und folglich keine Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu beginnen. Es gibt Schwierigkeiten in Zusammenhang mit Ehen. Durch den "ehegattenabhängigen Aufenthalt" sind Frauen besonders von Illegalität bedroht. Wenn Frauen ein Aufenthalt aus familiären Gründen gewährt wird (§§ 27 f. AufenthG), ist dieser gebunden an eine Ehe mit einem deutschen Mann oder einem ausländischen Mann mit Niederlassungserlaubnis, einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG oder einer Aufenthaltserlaubnis. Hat die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mindestens zwei Jahre bestanden, wird der Frau in der Regel kein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, wenn durch die Rückkehr eine erhebliche Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange drohen, oder durch das Festhalten an der Ehe schutzbedürftige Belange der Frau oder auch eines Kindes gefährdet wären (§ 31 Absatz 2 AufenthG). Frauenhandel, Zwangsprostitution und sexueller sowie häusliche Gewalt, Zwangsheirat und männliche Kontrolle über den Zugang zu Informationen gegen Frauen ohne Aufenthaltsrecht sind die Folgen der Rechtlosigkeit.


Wie kann man die Lage der Betroffenen verbessern!

Man muss die menschlich dramatische Situation dieser schutzlosen Personen, unter ihnen auch viele Kinder, in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Grundrechte sowie einfache Menschenrechte, wie beispielsweise das Recht auf Arbeit, Bildung und Wohnen, Gesundheitsversorgung etc. müssen auch für Illegalisierte gelten, daher muss die Forderung nach einem humanen Umgang mit den Betroffenen stärker denn je zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass ein Rechtsrahmen zur Legalisierung geschaffen wird. Es ist von zentraler Bedeutung, dass humanitäre Hilfe für den betroffenen Kreis nicht unter Strafe gestellt wird. Die gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen, am besten mit einem gesicherten Bleiberecht, muss ermöglicht werden. Das Recht auf Schulbesuch für alle Kinder von illegal in Deutschland lebenden Migranten muss gewährt werden. Mit Blick auf das Kindeswohl ist es wichtig, dass Neugeborene illegal im Land lebender Eltern eine Geburtsurkunde erhalten. Modalitäten und rechtliche Aspekte hierzu können im Rahmen der Legalisierung beraten und geregelt werden. Denn die Ausstellung einer Geburtsurkunde bedeutet sinngemäß einen Schritt vorwärts zur Legalisierung und öffnet zugleich zu Beginn gute Perspektiven im Hinblick auf die Chancengleichheit. Eine Geburtsurkunde, die künftig im Rahmen der Legalisierung als Kriterium für staatsbürgerliche Rechte berücksichtigt werden soll, würde entscheidend die gesellschaftliche Teilhabe am politischen und sozialen Leben erleichtern. Damit räumt sie faktisch die institutionelle und strukturelle Ausgrenzung aus dem Weg.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 274 - Juli 2011, S. 57-59
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2011