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GEGENWIND/525: Wohnprojekte, Baugemeinschaften, soziale Stadt und Ortsentwicklung


Gegenwind Nr. 291 - Dezember 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Wohnprojekte, Baugemeinschaften, soziale Stadt und Ortsentwicklung
10. Hamburger Wohnprojekt-Tage mit Akteuren und Projekten aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen

von Klaus Peters



Alle zwei Jahre organisiert die Stattbau GmbH, ein 1985 von drei gemeinnützigen Vereinen gegründeter alternativer Sanierungsträger, die Hamburger Wohnprojekt-Tage. Die 10. Wohnprojekt-Tage fanden am 21. und 22. September in den Räumen der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg statt. Da das Jahr 2012 auch als UN-Jahr der Genossenschaften benannt worden ist, lag es nahe, den Schwerpunkt der Veranstaltung auf die Wohngenossenschaften zu legen(1).


Rund 1000 Interessierte aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen kamen zu den angebotenen Vorträgen, nahmen an den Workshops, am Wohngruppenforum mit 27 Wohnprojekten teil oder besuchten den "Markt der Möglichkeiten" auf dem sich neben dem Veranstalter zahlreiche Initiativen, Wohnungsbaugenossenschaften, die Wohnungsbaukreditanstalt und auch Planer vorstellten. Die Teilnehmer der Veranstaltung erhielten einen umfassenden Überblick über neue Wohnformen mit Lebensqualitäten, die anderswo kaum zu finden sind, gleichzeitig wurde die Möglichkeit geboten, Objekte zu besichtigen und in konkrete Projekte einzusteigen.


Initiativen und neue Wohnformen als Reaktion auf Fehlentwicklungen

Die ersten Genossenschaftsgründungen erfolgten bereits im 19. Jahrhundert. Die erste Genossenschaft in Hamburg war die 1885 gegründete Schiffszimmerergenossenschaft. In den ländlichen Regionen sind im 19. Jahrhundert viele Meiereigenossenschaften gegründet worden. Eine zweite, starke Gründungsphase erfolgte dann in der Weimarer Republik Das Angebotsspektrum erweiterte sich auf die Bereiche Sparen, Bildung, Freizeit und Sport. In der Zeit des deutschen Faschismus kam es zum Stillstand und zur weitgehenden Zerschlagung des Genossenschaftswesens. Die Fehlentwicklungen in der Nachkriegszeit, vor allem in den siebziger Jahren, mit dem rücksichtslosen Abriss von Altbauten, dem Bau von durch Anonymität und Eintönigkeit geprägten Trabantenstädten einerseits und der massiven Förderung des Eigenheimbaus auf der grünen Wiese andererseits, führten dann zu einer neuen stärkeren Gründungsphase. Es entstanden auch kleinere Genossenschaften, bestehende Genossenschaften erweiterten ihr Aufgaben- und Angebotsspektrum. Darüber hinaus wird auch Wohneigentum zunehmend in eigener Regie durch Baugemeinschaften geplant, errichtet und verwaltet.

Die städtebaulichen Fehlleistungen haben zu schweren sozialen Problemen geführt, die kaum aufgefangen werden können: Anonymität, Vandalismus, Gefährdung, Einförmigkeit, Eintönigkeit und Unwirtlichkeit. Hinzu kommen oft unzureichende Angebote der Daseinsvorsorge. Genossenschaften und neue Wohnformen bieten die geeignete Form für gemeinsames Handeln, stabile Nachbarschaften, ein anregendes Umfeld für Familien, Kinder, Singles und ältere Menschen. Sie bieten Selbstverwaltung, Aktivitäten und Beteiligung. Zudem sind die Energie- und CO2-Bilanzen günstiger als bei Ein- oder Zweifamilienhäusern. Schließlich ist eine dauerhafte und spekulationsfreie Sicherung des Wohnraums gewährleistet.

Weltweit sind 800 Millionen, in der EU 120 Millionen, Menschen Mitglieder einer Genossenschaft. In Deutschland sind es 20 Millionen, davon 12 Millionen bei den Volks- und Raiffeisenbanken. Insgesamt sind in Deutschland 2.000 Genossenschaften aktiv. In Hamburg liegt beispielsweise der Gesamtbestand bei 800.000 Genossenschaftswohnungen, davon werden 130.000 Wohnungen von rund 50 Genossenschaften betreut, weitere 130.000 sind (noch) Wohnungen in der Hand öffentlicher Träger. Die größte Genossenschaft Hamburgs ist der Altonaer Spar- und Bauverein e.V. mit 13.000 Mitgliedern und 6.500 Wohnungen.


Städte und Gemeinden müssen Konzepte entwickeln oder die interessierter Bürger annehmen

Die Wohnungen der Genossenschaften werden in Hamburg und in anderen Städten, wie auch ein Teil der privat bzw. durch Bauträger erbauten Häuser und Wohnungen, häufig auf Grundstücken errichtet, die auf der Basis der Erbpacht vergeben worden sind. Die Genossenschaften unterliegen grundsätzlich einer Prüfpflicht durch den Genossenschaftsverband. Trotz längerer Planungszeiten und langandauernden, manchmal schwierigen Entscheidungsprozessen, ist das Leben in Wohnungen von Genossenschaften oder in Wohnungen von entsprechend organisierten Baugemeinschaften (Eigentümergemeinschaften) grundsätzlich eine attraktivere Alternative zur traditionellen Mietwohnung, dem Eigentum und dem Altersheim.

Für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen sind spezielle Modelle entwickelt worden, die traditionellen Wohnformen vorzuziehen sind. Es sind viele Sonderformen und Zusatzangebote des genossenschaftlichen Wohnens denkbar und auch schon realisiert worden.

Entscheidend ist zunächst, dass die Städte und Gemeinden entsprechende Konzepte für ihre Bürger entwickeln oder von diesen entwickelte Konzepte annehmen. Durch die Zunahme des Anteils älterer Menschen, sowohl derer, die lange aktiv sein wollen als auch derer, die Hilfe bedürfen, erhöht sich zwangsläufig der Bedarf an neuen Wohnformen. Genossenschaften können diese verschiedenen Wohnformen bereits anbieten oder deren Realisierung ermöglichen. Es kommt schließlich darauf an, die Menschen in den Regionen und in den Quartieren zu halten, um Wanderbewegungen, Geisterstädte und Vereinsamung zu vermeiden, ihnen in der bekannten Umgebung eine angemessene, bezahlbare Lebensqualität zu bieten.


Beispiele verschiedener Genossenschafts- bzw. Bau- und Wohnkonzepte:
  • Umwandlung ehemaliger Wohnungen der Neuen Heimat, später städtische Wohnungen, Übernahme in eine neu gegründete Genossenschaft
  • Genossenschaften, die autofreies Wohnen realisieren (Kompensation durch Car-Sharing, Fahrradgaragen, Bewohnertickets möglich)
  • Genossenschaft, die aus Hausbesetzungen hervorgegangen ist, berücksichtigt besondere ökologische Aspekte, betreut zudem Gartenlage
  • Bildung von Wohn-, Pflegegemeinschaften
  • Integration von Menschen mit Behinderungen
  • Kooperation mit Beschäftigungsgesellschaften
  • Festlegung besonderer Eigenleistungsanteile
  • Mehrgenerationenhäuser
  • Einplanung von Gemeinschaftseinrichtungen
  • Mietergenossenschaft, Eigentümer z.B. Stadt, Verwaltung durch Mieter

Besondere Funktionen im Ort, im Ortsteil oder im Stadtteil wahrnehmen

Den Mitgliedern der Genossenschaften oder Baugemeinschaften sollte klar sein, dass sie vergleichsweise privilegiert wohnen, wobei sie sich diese Privilegien in der Regel zwar weitgehend selbst erarbeitet haben, doch sie übernehmen damit auch Vorbildfunktionen. Das bedeutet gleichzeitig, nicht nur diese Wohnform nutzen und sich in die Wohngemeinschaft einbringen, sondern sich auch im Ort oder im Stadtteil engagieren. Berichte über eigene Erfahrungen und Unterstützung von Interessenten sind mögliche Aufgaben. Neue Wohnformen können also mit dem Engagement der Bewohner einen Quartier oder einen Ort erheblich aufwerten.

In Schleswig-Holstein sind knapp 20 Wohnungsbaugenossenschaften tätig, die vor allem Objekte und Projekte in den Städten und in einigen größeren Gemeinden im mittleren und östlichen Teil des Landes anbieten. Wohnungsbaugenossenschaften bieten trotz des hohen Selbstbeteiligungsanteils der Mitglieder auch interessante Arbeitsplätze und sind natürlich wichtige Auftraggeber für das Handwerk.


Akteure:

Agentur für Baugemeinschaften Hamburg
www.baugemeinschaften-hamburg.de

Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. ARGE Schleswig-Holstein,
www.arge-sh.de

Betriebs- und Projektberatung CONPLAN GmbH
www.conplan-gmbh.de

Bielefelder Modell: Wohncafé, Servicestützpunkt im Quartier, evtl. Gästewohnung

Bielefelder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH
www.bgw-bielefeld.de

Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen - GdW
www.gdw.de

Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V.
www.genossenschaftsgedanke.de

Forum gemeinschaftliches Bauen e.V.
www.fgw-ev.de

Genossenschaftsverband e.V.
www.genossenschaftsverband.de

GLS-Bank
www.gls.de

Interessenverband Wohnprojekte Schleswig-Holstein e.V.
www.wohnprojekte-sh.de

Koordinierungsrunde Baugemeinschaften Hamburg (KORB)
www.zusammen-bauen-lohnt.de

Mietshäusersyndikat GmbH (Sitz Freiburg, nicht kommerziell tätig) Erwerb von Häusern, die in selbstorganisiertes Gemeineigentum übergehen
www.sydikat.de

Stattbau Hamburg Stadtentwicklungsgesellschaft GmbH
www.stattbau-hamburg.de

Wohnen für jung und alt
www.wgja.de


Literatur/Schrifttum:

Britta Becher: 130 Jahre Genossenschaften, 20 Jahre selbstverwalteter und genossenschaftlicher Wohnprojekte in Schleswig-Holstein, in FREIHAUS Nr. 18, Informationsschrift, herausgegeben von Stattbau Hamburg GmbH, S. 19-20

Claus Bernet: Kultureinrichtungen der Bau- und Wohnungsgenossenschaften (2008)

id22 (Hrsg.): CoHousing Cultures, Handbuch für selbstorganisiertes, gemeinschaftliches und nachhaltiges Wohnen (2012)

Stattbau Hamburg (Hrsg.): Wohnprojekte Baugemeinschaften Soziale Stadtentwicklung, Das Stattbau-Buch (2002)

Bärbel Wegner, Anke Pieper, Holmer Stahnke: Wohnen bei Genossenschaften (2012)


Anmerkung:

(1) In Kiel fand am 20.08. der "Tag der der Wohngenossenschaften" statt. Informationen dazu in: Dokumentation "Genossenschaftliche und gemeinschaftliche Wohnprojekte in Schleswig-Holstein", Mitteilungsblatt August 2012, Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein und ARGE e.V. Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.


Einige Angaben zu den Voraussetzungen für die Gründung von Genossenschaften oder Baugemeinschaften

Genossenschaft:

  • 10 bis 20 Teilnehmer
  • ca. 3 Jahre Planungszeit, 3 Arbeitsgruppen
  • Planer hinzuziehen (z.B. Stattbau)
  • ggf. externe Mediation (bei großen Teilnehmerzahlen)
  • Anschluss an große, bestehende Genossenschaft (Dachgenossenschaft) möglich

Baugemeinschaft:
  • 3 bis 20 Teilnehmer
  • Planer hinzuziehen
  • Kooperationsvertrag abschließen, ggf. auch mit Genossenschaften

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Quelle:
Gegenwind Nr. 291 - Dezember 2012, Seite 48-50
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2012