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GEGENWIND/529: Gemeinschaftliches Wohnen


Gegenwind Nr. 292 - Januar 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Gemeinschaftliches Wohnen
In Stadt und Land, im Quartier und auf dem Dorf

von Klaus Peters



Gemeinschaftliches Wohnen hat in den letzten Jahren ein zunehmendes Interesse gefunden, wie einige wichtige Veranstaltungen und Publikationen deutlich machen. Dieses Interesse hat verschiedene Gründe: demografischer Wandel, zunehmende Vereinzelung, neuere städtebauliche und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, Ansprüche und Vorschläge von Bürgern, die diese Wohnformen wollen, Rückbesinnung auf traditionelle Gemeinschaften und anderes mehr.


Der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatten Ende 2011 in der Hessischen Landesvertretung in Berlin einen Bundeskongress "Gemeinschaftliches Wohnen in Stadt und Quartier" durchgeführt, dessen Dokumentation inzwischen vorliegt. Das Themenspektrum der Veranstaltung machte deutlich, dass Gemeinschaftliches Wohnen mehr umfasst als Wohnen in einer Genossenschaft, gute Nachbarschaft oder Bauen und Wohnen mit und in einer Baugemeinschaft. Allerdings lässt sich feststellen, dass diese Wohnformen eine gute Basis für Gemeinschaftliches Wohnen sein können.


Philosophie und Praxis

Albrecht Göschel, Architekt und Soziologe in Berlin stellt in einem grundlegenden Beitrag Leistungen, Formen und Bedingungen des Gemeinschaftlichen Wohnens vor. Zehn weitere Autoren behandeln fundiert diverse Einzelaspekte auf der Basis bereits realisierter Projekte. Darunter befasst sich z.B. Wolfgang Börstinghaus, Stadt Flensburg, mit der Bestandsentwicklung in Flensburg-Mürwik, Nathalie Franzen stellt soziale Dorfentwicklungsprozesse vor, Alexander Grünenwald behandelt das Thema "Initiierung und Steuerung von Wohnprojekten". Eine zentrale Bedeutung hat der Beitrag "Öffentliche Räume: Design für Alle" von Markus Rebstock. Die Veranstalter appellieren insbesondere an die Kommunen, Gemeinschaftliches Wohnen zu fördern, schließlich könnten diese, Politik, Verwaltung und Einwohner, durch die Konzipierung und Realisierung entsprechende Projekte auch profitieren.

Göschel beschreibt das Gemeinschaftliche Wohnen, als Wohnen in einem Mehrgenerationenhaus, orientiert an historischen Vorbildern, ergänzt durch Aspekte ökologischer Nachhaltigkeit und abgegrenzt zu Wohngemeinschaften. Wohnungen müssten technisch so verbunden werden, dass das Gefühl von Gemeinsamkeit entsteht. Notwendig sei u.a. zwar eine detailliertere Hausordnung, eine Steigerung der Lebensqualität sei aber in jedem Fall zu erwarten. Eine altersgemischte Zusammensetzung sei zwar anzustreben, aber schwieriger zu erreichen als Gemeinschaft aus der gleichen Altersgruppe.

Ein wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaft sei die Geselligkeit, in ähnlicher Weise sonst nur in Vereinen und Verbänden zu finden. Konkret nennt der Autor gemeinsame Wanderungen, Garten- und Hoffeste, Zusammensitzen und Zusammenarbeiten. Als Problem könnte, gerade bei guten Gemeinschaften, die generell latent vorhandene Tendenz zur Abgrenzung gegenüber der weiteren Nachbarschaft im Quartier erweisen. Dieser Tendenz kann beispielsweise durch kommunalpolitisches Engagement entgegengewirkt werden. Auch durch Tauschbörsen kann die Gemeinschaft sich mit dem Quartier oder im Dorf vernetzen.

Wesentliche Voraussetzung für Gemeinschaftliches Wohnen ist die Wahl einer geeigneten Organisationsform wie einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR), einer Genossenschaft oder eines Vereins. Notwendig ist die Hinzuziehung von Experten, Kernbestandteile eines Gebäudes für Gemeinschaftliches Wohnen sind Gemeinschaftsräume und die Barrierefreiheit. Der Standort sollte über eine gute soziale und technische Infrastruktur verfügen. Eine grundsätzliche Voraussetzung für die Realisierung ist schließlich die einvernehmliche Festlegung eines Kostenrahmens. Sonderwünsche können die Kosten eines Vorhabens beträchtlich erhöhen.

Zu berücksichtigen sei, dass es eine normierte staatliche Förderung nur für Ehen und nicht für andere Lebens- und Wohnformen gibt. Von dem bisherigen. Projekte, konnten nur Modellprojekte gefördert werden. Die Inanspruchnahme von EU-Programmen sei prinzipiell möglich. Die Kommunen sollten Grundstücke für derartige Projekte zu Vorzugspreisen abgeben. Hinzukommen müsste ein flächendeckendes Beratungswesen.

Eine gewisse Vorbildfunktion erfüllt das Bielefelder Modell, das bereits in 70 Kommunen umgesetzt worden ist. Wesentlicher Bestandteile dieses Modells sind Servicestützpunkte und Nachbarschaftscafés.


Bestandsentwicklung im Stadtquartier

Für den Flensburger Stadtteil Mürwik, geprägt durch einen hohen Anteil an Einfamilienhäusern aus den 50er, 60er und 70er Jahren und einen relativ hohen Seniorenanteil von 30 %, im Zusammenhang mit dem jährlichen Wohnungsmonitoring ist von der Stadt erheblicher Handlungsbedarf erkannt worden. Im Rahmen der kommunalen Wohnungspolitik ist die generationsübergreifende Quartiers- und Nachbarschaftsentwicklung für diesen Stadtteil zum Schwerpunkt bestimmt worden. Mit einer Befragung ermittelte die zuständige Abteilung Stadtteilwicklung und Wohnraumförderung die konkreten Wünsche der Bewohner. Nach Vorarbeiten eines Expertenpools mit einer zusätzlichen Förderung des Landes wurden Informationsveranstaltungen angeboten und Beratungen durchgeführt. Die gewonnenen Erkenntnisse führten schließlich zur Durchführung einer Wohnbörse, zur Gründung eines Arbeitskreises und zur Gründung eines Vereins, der wiederum ein dauerhaft installiertes Beratungsbüro, die Lotsenstation eröffnete. Einen begleitende Forschung und eine Vernetzung mit anderen Städten des Landes konnten erreicht werden. Die Lotsenstation bietet einmal im Monat ein Forum an, um den generationsübergreifenden Ansatz der Quartiersentwicklung voranzubringen.


Soziale Dorfentwicklungsprozesse

Um die Entwicklung in dörflichen Gemeinden auf den richtigen Weg zu bringen, ist die Erstellung von Entwicklungskonzepten unerlässlich. In den Gemeinden selbst stehen durchweg keine fachlichen Kapazitäten zur Verfügung. Deshalb kann es auch bei der Auftragsvergabe zu einseitigen und deshalb problematischen Vorgaben kommen. In der Regel ist eine ganzheitliche Betrachtung der Kommune unter Berücksichtigung der Situation und der Perspektiven im weiteren Umland erforderlich. In dem Beitrag der Regionalberaterin, Nathalie Franzen, wird die moderierte Erstellung und Umsetzung eines Dorfentwicklungskonzeptes vorgestellt. Aus einer beachtlich große Zahl von Vorschlägen sind fast genauso viele Vorhaben entwickelt worden: Gründung eines Kulturtreffs mit Aktivitäten wie Theater- und Musikgruppe, Anlage und Pflege eines Lehrgartens, Gründung von Tauschbörsen, Freizeitangebote wie Treffs, Wanderungen, Spieleabende, Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten. Diese Angebote werden durch die Aktivitäten der traditionellen Vereine nicht abgedeckt.


Design für Alle

Markus Rebstock erklärt in seinem Beitrag, weshalb "Design für Alle" als zentraler Ansatzpunkt für gleichberechtigte Teilhabe unentbehrlich ist. Allzu häufig wird aus Unkenntnis, parteipolitischen Erwägungen oder aus Kostengründen ein sektoraler Planungsansatz gewählt, der zu kurz greift. Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Konzeptes gehören:

  • Entschleunigung,
  • barrierefreie Zugänglichkeit von Gebäuden und Wegen,
  • Ausstattung des öffentlichen Raum mit bequemen Sitzmöglichkeiten,
  • vom motorisierten Individualverkehr befreite Zonen,
  • Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus,
  • Sicherstellung wohnungsnaher Zugangsstellen zum öffentlichen Personennahverkehr,
  • Anwesenheit offiziellen Personals,
  • Gewährleistung wohnungsnaher Versorgung zur Deckung der Grundbedarfe,
  • Gewährleistung differenzierter Hilfs- und Betreuungsangebote,
  • Berücksichtigung von Ästhetik, Funktionalität, Verständlichkeit und Nachhaltigkeit.

Initiierung und Steuerung von Wohnprojekten

Alexander Grünenwald geht in seinem Beitrag einleitend auf das Zusammenwirken von institutionellem und informellem Engagement ein. Es können durchaus unterschiedliche und entgegengesetzte Interessen aufeinander treffen. Wichtig sei es, Interessen und Absichten klar zu erkennen zu geben. Es liegen inzwischen einige Arbeitshilfen zum Thema Gemeinschaftliches Wohnen vor, die auch von Laien genutzt werden können. Zusammengefasst bedeutet die Zukunftsaufgabe "Gemeinschaftliches Wohnen" für alle Beteiligten:

  • Kommunen und Wohnungswirtschaft müssen sich öffnen,
  • Beratung anbieten, Eigeninitiativen fördern,
  • Intensive Informationspolitik,
  • Einschaltung von Experten, kompetente und unabhängige Moderation.

Adressen:

Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V.
Bundesvereinigung, www.fgw-ev.de

ARGE-SH Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen, www.arge-sh.de

complan Kommunalberatung, www. complangmbh.de

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Quelle:
Gegenwind Nr. 292 - Januar 2013, Seite 19-21
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2013