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GEGENWIND/593: Protestaktionen gegen Hartz IV und Sozialabbau feiern


Gegenwind Nr. 307 - April 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Protestaktionen gegen Hartz IV und Sozialabbau feiern
Berechtigte Forderungen bisher nicht erfüllt, doch das Durchhaltevermögen ist einzigartig

Von Klaus Peters



Ende August dieses Jahres werden in fast allen größeren Städten Deutschlands wie an jedem Montag, wie dann seit 10 Jahren, wieder kleine und größere Gruppen auf Straßen und Plätzen friedliche Demonstrationen oder Kundgebungen gegen Hartz IV und Sozialabbau durchführen. In diesen Monaten werden engagierte Bürger vielfach bereits die 500ste Demonstration oder Kundgebung durchführen. Dieses Engagement und Durchhaltevermögen ist bislang ohne Beispiel. Anders als etwa in der Ukraine sind alle Veranstaltungen friedlich und natürlich nicht mit Unterstützung unserer politischen Elite durchgeführt worden.


Die Geschichte der bundesweiten Montagsdemonstrationen begann mit spontan organisierten massenhaften Protesten gegen die 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit der Unterstützung der Opposition von CDU/CSU und FDP durchgesetzte Agenda 2010 und die sogenannten "Hartz-Gesetze". An den ersten Montagsdemonstrationen nahmen in manchen Städten mehrere Tausend Bürger - und nicht nur potenziell Betroffene - teil. Auch die Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen beteiligten sich, wie die gerade gegründete Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) oder Attac. Zur Anmeldung und Organisation der Demonstrationen hatten sich oft einzelne oder wenige Betroffene spontan entschlossen. Den Demonstrationen schlossen sich bald Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Zusammenhängen an, manche ergriffen auch gern die Möglichkeit, sich als Moderator oder Redner zu betätigen oder sich mit Diskussionsbeiträgen zu beteiligen. Selbstverständlich berichteten zunächst auch die Medien über die größeren Demonstrationen. Da jedoch spontane Erfolgen ausblieben, nahm das Interesse nach einigen Wochen deutlich ab, obgleich auch frühzeitig neue kreative Ansätze ausprobiert worden waren. Die Montagsdemonstranten unterstützen Streiks oder Aktionen anderer Bürgerbewegungen, um gleichzeitig natürlich auch auf die von Hartz IV und Sozialabbau Betroffenen aufmerksam zu machen. Nach einigen Monaten zeigte sich jedoch, dass ein ausgeprägtes Durchhaltevermögen nur bei einem harten Kern von einigen Dutzend Betroffenen und Sympathisanten vorhanden war. Andere gesellschaftliche Gruppen wie Studenten, Flüchtlingsorganisationen, Friedensaktivisten oder Gewerkschaften konzentrieren sich üblicherweise dauerhaft, auf ihre spezifischen Aufgaben und Interessen, auf einzelne Aktionen.


Gründe für die anhaltende Präsenz

Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und Sozialabbau konnten vermutlich nur so lange durchhalten, weil die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) die Chance und die Notwendigkeit erkannte, diese Demonstrationen zu unterstützen. Dies geschieht nun durch Präsenz, oft durch Bereitstellung von Mikrofonen und Verstärkern und durch die Beteiligung an der Organisation. An einigen Montagen sind Vertreter der Linkspartei, bei besonderen Anlässen auch Vertreter anderer kleinerer Parteien, wie beispielsweise der Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP), vertreten. Behinderungen und Irritationen blieben nicht aus, konnten aber souverän überwunden werden: erzwungener Standortwechsel wegen des Quartiers einer Fußballnationalmannschaft, Beschwerden eines Supermarktbetreibers, Verweigerung des Betriebs einer Verstärkeranlage wegen zu geringer Teilnehmerzahlen oder besonders Kurioses, wie die polizeiliche Feststellung und Untersagung einer nicht angemeldeten Kundgebung in einer angemeldeten Kundgebung.


Vielfalt präsentieren und Solidarität üben

Die bisherige Entwicklung der Montagsdemonstrationen ist außerordentlich vielfältig und bürgernah. Teilnehmer und interessierte Gruppen haben die Möglichkeit, sich vorzustellen und auf ihre Probleme aufmerksam zu machen oder für Projekte zu werben. Interessierte Bürger können sich informieren und natürlich auch teilnehmen. Diese Möglichkeiten sind ausgiebig genutzt worden. Auch die Presse (Spiegel, taz, junge Welt, überregionale bürgerliche Zeitungen) hat immer wieder einmal über die örtlichen, gelegentlich auch über die überregional stattfinden Veranstaltungen berichtet. Einmal im Jahr findet, in der Regel in Kassel, ein Delegiertentreffen statt. In jedem Herbst wird in Berlin eine "Großdemonstration gegen die Regierung" mit mehreren Tausend Teilnehmern durchgeführt. Hinzu kommen Regionaltreffen, Besuche von Teilnehmern anderer Montagsdemonstrationen, gelegentliche politische Fortbildungsveranstaltungen. In den Kundgebungsstädten finden in der Regel nach den Veranstaltungen häufig Treffen der Organisatoren und Interessierter statt. Einige Montagsdemonstrationen werden regelmäßig durch Musiker oder sogar Musikgruppen unterstützt. Gelegentliche andere künstlerische Darbietungen gehören ebenfalls dazu.

In Hamburg und Lübeck fanden wie in den anderen Bundesländern Demonstrationen und Kundgebungen wöchentlich und nahezu ohne Unterbrechungen statt. Wesentliche Protestaktionen anderer gesellschaftlicher Gruppen sind aufgegriffen worden, die Montagsdemonstrationen boten diesen Gruppen ein Forum, unterstützen sie auch durch Engagement für deren Sache. Zu nennen sind: S21-Gegner, Streikende aus dem öffentlichen Dienst oder bei Airbus, Proteste der Hafenarbeiter, der Studenten, von Schülern, Proteste der "Lampedus-Flüchtlinge", Streikende der Firma Neupack, Occupy-Gruppen, Proteste gegen Fracking und Massentierhaltung, Anti-AKW-Proteste, Proteste gegen Vattenfall und die HSH-Nordbank, Proteste südafrikanischer Minenarbeiter und brasilianischer Umweltschützer. Unterstützt wurde selbstverständlich auch Inge Hannemann, die wegen kritischem Verhalten vom Dienst suspendierte Mitarbeiterin eines Hamburger Jobcenters. Genauso selbstverständlich beteiligen sich Montagsdemonstranten an den Ostermärschen und an den Demonstrationen zum 1. Mai, aber auch zum Weltfrauentag am 8. März. Zehntausende, vielleicht auch Hunderttausende Flugblätter gelangten in die Hände interessierter Bürger.


Aufklärung und politischer Kampf

Neben der politischen Aufklärungsarbeit erhalten einzelne Betroffene auch eine punktuelle Unterstützung bei persönlichen Schwierigkeiten. Für viele Teilnehmer sind die Gruppen, die die Montagsdemonstrationen bilden, zu einer zweiten Heimat, zu einem für sie persönlich wichtigen Kommunikationsforum geworden. Vertreter der politischen Klasse haben sich auf Einladung (vor den Wahlen) auch schon einmal auf den Kundgebungen blicken lassen, doch konkrete Hilfen gibt es nicht, und der politische Wille, grundlegende Verbesserungen durchzusetzen, ist bei den bürgerlichen Parteien nicht vorhanden [*]. Manch Betroffener mag sich damit trösten, dass die Verhältnisse sich nicht noch erheblich weiter verschlechtert haben. Dies könnte auch auf die anhaltenden Proteste zurückzuführen sein. Die überwiegende Zahl der Betroffenen hat sich durch die Herrschenden offensichtlich in die Resignation treiben lassen, bei den Montagsdemonstrationen sind unmittelbar Betroffene jedenfalls zu gering vertreten.

Als einzige in Landtagen, im Bundestag und im Europaparlament vertretene Partei hat die Linkspartei die Mindestforderungen der Montagsdemonstrationen zwar prinzipiell übernommen, doch die Mehrheit der Bevölkerung ist erschreckend desinteressiert, obgleich sie vom Sozialabbau auch betroffen ist oder sein könnte.


Wie geht es weiter?

Der harte Kern der Montagsdemonstrationen wird weiter aktiv sein, zahlreiche andere Themen, die über den Sozialabbau hinausgehen oder mit diesem verbunden sind, werden diskutiert und transportiert. Die aktuelle Tagespolitik, die politischen Ereignisse der letzten Woche bieten (leider) immer wieder nicht nur Gesprächsstoff, sondern auch Anlass zu Wut und Empörung. Die auf Verwirrung, Lügen, auf die Sicherung von Macht und Einfluss des Finanzkapitals und der Eliten ausgerichtete Berichterstattung von Mainstreammedien ist aufzudecken. Politiker, die ebenfalls die Unwahrheit verbreiten und vor allem ihre privilegierte Position sichern oder die wieder einmal in einen Skandal verwickelt sind, müssen benannt und gegebenenfalls angeklagt werden.

Es ist zu hoffen, dass in den Ländern, in denen die Partei Die Linke stark ist, Verbesserungen eingeleitet werden oder dass Landräte und Bürgermeister der Linkspartei Zeichen setzen, um die Lage der Betroffenen und die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend zu verbessern.


Wesentliche Forderungen der Montagsdemonstrationen:
Hartz-Gesetze müssen vom Tisch.
ALG II kurzfristig auf 500 Euro anheben.
10 Euro Mindestlohn.
30-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich.
Keine Umverteilung von unten nach oben.
Schutz der natürlichen Umwelt und der Lebensgrundlagen der Menschheit.
www.bundesweite-montagsdemo.com


ANMERKUNG
[*] Siehe auch: Michael Hartmann: Soziale Ungleichheit - kein Thema für die Eliten?

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Quelle:
Gegenwind Nr. 307 - April 2014, Seite 14-16
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2014