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GEGENWIND/595: Zynisches Doppelspiel in der Flüchtlingspolitik


Gegenwind Nr. 308 - Mai 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

FLUCHT & ASYL
Aus dem Landtag:
Zynisches Doppelspiel in der Flüchtlingspolitik

Von Angelika Beer und Johannes M. Wagner



Während die bundesdeutsche Außenpolitik sich auf die aktuelle Krise im Osten Europas fokussiert, nimmt der geopolitisch damit im Zusammenhang stehende Bürgerkrieg in Syrien ungebremst weiter seinen Lauf: Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist mittlerweile inner- und außerhalb des Landes aus ihren Wohnungen geflohen - nach Angaben des UNHCR handelt es sich bei der Hälfte der Flüchtlinge um Kinder und Jugendliche. Die Vereinten Nationen haben seit Anfang des Jahres die Zählung der Bürgerkriegstoten bei 130.000 eingestellt.


Die Debatte um die Lieferungen von Chemikalien durch deutsche Unternehmen an Assad scheint indes beendet, bevor sie überhaupt so richtig aufgekommen ist. Erst Mitte April kamen wieder ein Dutzend Kinder bei einem Giftgaseinsatz ums Leben. Die Welthungerhilfe beklagt derweil das zu niedrige Spendenaufkommen, das neben dem schlechten Zugang zu Hungernden deren ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln unmöglich macht.

Was das Kriegsgeschehen selbst angeht, so ist inzwischen kaum noch nachvollziehbar, in welcher Region nun wer gegen wen kämpft - der kurdische Nordosten jedenfalls verteidigt sich inzwischen verzweifelt gegen radikalsalafistische und regierungstreue Einheiten gleichzeitig, die miteinander eine unheilige Koalition gebildet zu haben scheinen.

Es gibt beileibe genug verheerende Nachrichten für die Menschen aus und in Syrien. Was tut sich also in der Landespolitik im Hinblick auf den Schutz der Opfer des nunmehr drei Jahre andauernden Bürgerkrieges? Immerhin wurden hierzulande Aufnahmeprogramme aufgelegt, die - wortreich als humanitäre Maßnahmen angekündigt - mehr als 10.000 Syrerinnen und Syrern einen legalen Flüchtlingsschutz in der Bundesrepublik bieten sollen. Doch wie viele von ihnen sind denn mittlerweile tatsächlich bei uns angekommen - und wie kümmert man sich um sie? Das wollten wir in einer Anfrage von der Landesregierung wissen. [1]

Die Antwort enttäuschte mehr als befürchtet. Auf die 118 Plätze für syrische Flüchtlinge aus dem Familiennachzugs-Kontingent wurden bis Ende Januar Anträge für 3.511 Menschen eingereicht - mehr, als alle Bundesländer zusammen nach Königsteiner Schlüssel aufnehmen werden. Die Anträge liegen auch Mitte April immer noch unbeschieden beim Bundesministerium für Flucht und Migration (BAMF), die Antragsstellenden selbst haben bis Redaktionsschluss keinerlei Antwort auf ihre Anträge erhalten. Die Landesregierung gibt außerdem an, keine belastbaren Schätzungen zur Zahl der tatsächlich nach Schleswig-Holstein kommenden Flüchtlinge machen zu können und rechnet weiterhin mit der illusorischen Zahl von 118. Der Abschiebestopp für syrische Staatsbürger wurde unterdes bis Ende September verlängert.

Es ist deutlich: Die beschlossenen Kontingente sind wirklich drastisch zu klein und die Organisation des Verfahrens ist zynisch langsam. Was passiert mit den Plätzen derjenigen Menschen, die mittlerweile schon gar nicht mehr am Leben sind? Die Regierung schreibt in ihrer Antwort lediglich trocken, dass eine medizinische Notverbringung syrischer Flüchtlinge in keinem Fall "notwendig" gewesen sei. Das täglich weitere von ihnen sterben, nimmt die hiesige Bürokratie dabei offenbar nicht zur Kenntnis.

Es muss endlich Schluss sein mit diesem zynischen Doppelspiel in der Flüchtlingspolitik! In Syrien tobt der Bürgerkrieg, Zehntausende sterben, und unsere Bürokratie diskutiert weiter über die 118 Plätze nach Königsteiner Schlüssel. Ist es nicht an der Zeit, diese unsägliche Minimal-Kontingentierung der syrischen Tragödie endlich zu beenden und der Humanität nicht nur in den Worten, sondern auch im Handeln Prioritäten einzuräumen?

Laut Paragraph 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ist der obersten Landesbehörde möglich, Ausländern aus bestimmten Staaten aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen - auch ohne Verpflichtungserklärung der Angehörigen für die Übernahme der anfallenden Kosten. Eine solche Öffnung der Grenzen, wie sie z.B. Schweden für syrische Flüchtlinge schon im letzten Jahr beschlossen hat, braucht im Falle Schleswig-Holsteins zwar das Einvernehmen des Bundesinnenministers - warum aber wird dies nicht einmal versucht?

Auch im Hinblick auf Flüchtlinge aus anderen Ländern hat das Jahr alles andere als positiv begonnen. Wenige Tage, nachdem sich der Landtag noch fraktionsübergreifend vom ausländerfeindlichen Populismus der CSU im bayrischen Kommunalwahlkampf distanziert hatte, versuchten die Behörden, drei Kinder und ihre armenischen Eltern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abzuschieben: Den Vater gefesselt und die Mutter mit einer aufgezwungenen Tablette ruhiggestellt, fuhr die Bundespolizei die Familie im Schlafanzug, nur mit Handgepäck ausgestattet und 15 Euro in der Tasche an den Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel, um sie ohne vorherige Ankündigung nach Armenien abzuschieben. In letzter Minute konnte dies durch einen Anwalt verhindert werden.

Nachdem die Härtefallkommission am 8. April ein Bleiberecht für die Familie durchgesetzt hat, steht nun hoffentlich eine gründliche Aufarbeitung des Vorfalls an. Es steht zu hoffen, dass das Innenministerium hier ein Zeichen setzt und umgehend deutliche Maßnahmen einleitet, um zu verhindern, dass so etwas wieder passieren kann.

Die von Kiel aus organisierte Sammelabschiebung von über 100 Menschen ebenfalls am 8. April, dem Internationalen Tag der Roma, bildete einen traurigen und hoffentlich vorerst letzten Höhepunkt des Doppelspiels der Landesregierung in der Flüchtlingspolitik: Die Mehrheit der von Hannover ins mazedonische Skopje abgeschobenen Personen waren ausgerechnet Angehörige der Minderheit der Roma, an deren Unterdrückung und Ermordung dieser Tag erinnern soll.


[1] Kl. Anfrage:
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/drucks/1700/drucksache-18-1769.pdf


Kasten
 
INNENMINISTERIUM WILL GELD AUSGEBEN

Aufgrund steigender Flüchtlingszahlen will das Innenministerium mehr Geld für Unterkünfte ausgeben. Die Mittel für die Renovierung und Ausbau von Flüchtlingsunterkünften wurden von 50.000 Euro (2013) auf 2 Millionen Euro (2014) erhöht. Mittel aus dieser Position können Kreise und Kommunen als Zuschuss bekommen.
Die Landesunterkunft in Neumünster hat zur Zeit 400 Plätze, also ungefähr so viele, wie monatlich Flüchtlinge kommen. Die Zahl der Flüchtlinge, die monatlich kommen, könnte in nächster Zeit auf 600 ansteigen. Deshalb soll die Kapazität der Landesunterkunft perspektivisch bis Ende 2015 auf 800 Plätze erhöht werden. Eine Projektgruppe im Innenministerium arbeitet an entsprechenden Plänen, die zum einen durch Hinzunahme anderer Gebäude in der Umgebung, andererseits durch die Aufstellung von Containern umgesetzt werden sollen. Außerdem will das Land die ehemalige Kaserne, jetzt noch im Besitz des Bundes, kaufen.
Das Innenministerium stellte ausdrücklich fest, dass zur Zeit der Ausbau der Quantität von Flüchtlingsunterkünften Vorrang vor der Qualität hat. Die Kreise wurden aber aufgefordert, zugewiesene Flüchtlinge nicht "nach Quote" auf die Gemeinden zu verteilen, sondern darauf zu achten, dass für neu ankommende Flüchtlinge Schulen und Beratungsstellen erreichbar bleiben.
Im Jahre 2015 sollen dann 20 Millionen Euro aus der Städtebauförderung für "gemeinsame Wohnformen für Flüchtlinge" an die Kreise und Kommunen gegeben werden.

Von Reinhard Pohl

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Quelle:
Gegenwind Nr. 308 - Mai 2014, Seite 19-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2014