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GEGENWIND/624: Sparen um jeden Preis? - Buchbesprechung


Gegenwind Nr. 316, Januar 2015

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Sparen um jeden Preis?

von Reinhard Pohl


Vieles ist über die Krise Europas und die Krise des Euro schon gesagt und geschrieben worden. Dennoch lohnt es sich, dieses Buch zu lesen, auch wenn es umfangreich und nicht gerade einfach ist.


Die Grundthese, die sich in der EU durchgesetzt hat oder durchgesetzt wurde, lautet, dass die Wirtschaftskrise 2008 und die Staatsverschuldung durch Einsparungen zu bekämpfen ist. Dieses Konzept wird nicht nur aus dem Zentrum, vor allem aus Deutschland, an den Rand weitergegeben und auch durchgesetzt: Irland, Portugal, Spanien, Italien und insbesondere Griechenland sollen die Staatsausgaben drastisch zurückfahren, sei es durch die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes, sei es durch das Senken des Mindestlohnes oder der Renten. Es strahlt auch über die EU hinaus, Beitrittskandidaten wie Bosnien, die Ukraine oder auch Island werden aufgefordert, diese Politik zu übernehmen, um die Voraussetzungen für einen Beitritt zu verbessern.

Die Politik, die dahinter steht, nennt sich "Austerität". Sie ist wirtschaftspolitisch das Gegenteil vom Keynesianismus, der dem Staat eine ausgleichende Funktion zuweist. Keynes ging davon aus, in der Krise müsste der Staat seine Aktivitäten ausweiten, um die Folgen zu mindern, und darüber hinaus die Wirtschaft beaufsichtigen und kontrollieren, um bestimmte Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Der Autor weist zunächst nach, dass die gegenwärtige Krise nicht auf eine Überschuldung der Staaten zurückzuführen ist. Die Schulden der Staaten sind in den letzten Jahren gesunken. Erst die Bankenkrise und die Durchsetzung einer Politik, diese Banken zu retten, haben die Bankenverluste in Form von Schulden auf die Staaten übertragen. Insofern ist nicht die allgemeine Ausgabenpolitik oder die Konstruktion des öffentlichen Dienstes oder der Rentenkassen "schuld" an der Krise, und die dortigen Änderungen heilen die Krise deshalb auch nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Umverteilung: Die Banken haben gezockt, verloren und holen sich jetzt das Geld von den Staaten, die wiederum solche Maßnahmen treffen, um für den Ausgleich andere zahlen zu lassen.

Der Autor nimmt Griechenland ausdrücklich aus. Hier haben eine Fehlkonstruktion der öffentlichen Verwaltung, verbunden mit einem völlig unzureichenden Steuerverwaltungssystem einen Großteil der Probleme geschaffen, die auch gelöst werden müssen. Dies gelte aber nicht für Portugal oder Irland, hier sind ganz andere Probleme aufgetreten, die auch anders gelöst werden müssen.

Die Austeritätspolitik wird von der Bundesregierung oft mit dem Hinweis auf die Erfolge dieser Politik in Deutschland der letzten zehn Jahre begründet. Unter Bundeskanzler Schröder ist das "Hartz-IV-System" eingeführt worden, die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld. Ihr gingen aber, heute wenig diskutiert, die Hartz-I- bis -III-Reformen voraus, die vor allem die Etablierung eines Niedriglohnsektors und des Systems von Leiharbeitsfirmen bedeuteten. Und diese Politik hatte zweifellos Erfolge. Die Lohnstückkosten sanken, weil die Reallöhne stagnierten, und der Export wuchs von Rekordergebnis zu Rekordergebnis. Diese Exportrekorde wurden allerdings zu zwei Drittel innerhalb der EU verwirklicht - die deutsche Strategie hält der Autor vor allem deshalb für ungeeignet für eine Übertragung, weil die anderen Ländern das nicht nachmachen können, haben sie doch für den deutschen Erfolg bezahlt. Mathematisch ist es nun mal unmöglich, dass alle EU-Mitgliedsländer im Binnenhandel gegenüber den anderen EU-Mitgliedsländern Überschüsse erzielen, da der Binnenhandel ein Nullsummenspiel ist.

Um zu zeigen, was Austeritätspolitik ist, greift der Autor weit zurück. Die Wirtschaftsgeschichte der großen Mächte der Erde werden von 1692 an nachgezeichnet, aufgeteilt in mehrere Epochen. Insbesondere geht er ausführlich auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg an, die dazwischen liegende Weltwirtschaftskrise, die ebenfalls Deutschland relativ schnell und gut überstand - gut waren die wirtschaftlichen Werte, gut war aber nicht die Politik. Denn diese bestand aus der Einführung einer Diktatur mit immenser Aufrüstung.

Eine "richtige" Lösung für die EU bietet der Autor nicht an, hält er doch die gesamte Konstruktion des Euro für falsch. Für ihn ist dies eine verkappte (und falsche) Maßnahme, die mit der Gold-Parität früherer Jahre vergleichbar sei, und die wäre eben auch falsch.


Mark Blyth: Wie Europa sich kaputtspart. Die gescheiterte Idee der Austeritätspolitik. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2014 (englisches Original: Oxford 2013), mit aktualisiertem Nachwort vom März 2014, 349 Seiten.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 316, Januar 2015, Seite 47
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2015

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