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GEGENWIND/629: U-Boot-Besetzung für ein rüstungsfreies Kiel


Gegenwind Nr. 318 - März 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

KRIEG & FRIEDEN
U-Boot-Besetzung für ein rüstungsfreies Kiel

Von Interventionistische Linke Kiel, Avanti


Am 4. September 1982 besetzten AktivistInnen des Arbeitskreises Chile Solidarität ein Schwimmdock von HDW, um den geplanten Verkauf zweier U-Boote an die chilenische Militärjunta zu stoppen. Dies war Teil einer bundesweiten Kampagne. Zwar konnte das Ziel nicht erreicht werden, doch setzte die Aktion umfangreiche Debatten über alternative Produktion in Gang. Inzwischen sind einige Umstrukturierungen bei HDW erfolgt, die aber die Rüstungsproduktion mit dem Schwerpunkt U-Boote zementierten. An den menschenmordenden Situationen in vielen Käuferländern hat sich nichts geändert, trotzdem laufen Rüstungsexporte fast wie geschmiert.


Höchste Zeit, dem Thema die damalige Brisanz zurück zu geben! Dazu soll eine Informations- und Diskussionsveranstaltung dienen, in der einerseits Hergang und Rahmenbedingungen der damaligen Besetzung von den AktivistInnen authentisch berichtet werden. Andererseits wird die heutige Situation in der Betriebsstruktur, den Exporten und den Empfängerländern beispielhaft angerissen. Welche Impulse kann die damalige Besetzung heute antimilitaristischem Widerstand geben? Dieser Frage sollen sich danach einige Thesen mit anschließender Diskussion widmen.

Begleitend zur Veranstaltung stellt dieser Artikel einige Stationen der Entwicklung bei HDW und einigen Käuferländern zusammen:


HDW - Tradition im Rüstungsgeschäft

1838 gründeten der Händler und Aktienreeder Johann Schweffel sowie der Ingenieur August Ferdinand Howaldt eine Maschinenfabrik und Eisengießerei in Kiel. In Schweffels Schiffswerft entstand das Dampfschiff Löwe, das er nach 1848 an die gerade entstehende deutsche Marine verkaufte.

1849 lieferte die Maschinenfabrik Howaldt und Schweffel die Schiffsschraube für ein Kanonenboot, das die Regierung Schleswig-Holsteins für den Krieg gegen Dänemark einsetzte.

1850 wurde der Brandtaucher fertiggestellt, eines der ersten U-Boote der Welt. Wilhelm Bauer konstruierte den Taucher als von Menschenkraft betriebenes 2-Mann-Boot, um an feindlichen Schiffen unter See Sprengladungen anbringen zu können. Es sank aber auf seiner zweiten Fahrt.

1910: Da es keine nennenswerten Aufträge im Handelsschiffbau gab, hielt Howaldt sich an die Aufrüstungsaufträge der Kaiserlichen Marine. Auf der Werft arbeiteten 3700 Menschen. In den Jahren 1908, 1910 und 1913 kam es zu weiteren, z. T. wilden Streiks für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen sowie für bezahlten Urlaub, und auch gegen die Diskriminierung sozialistischer Gesinnung in den Betriebssozialkassen.

1914: Howaldt baute kleine Kreuzer, Torpedoboote, Versorgungsschiffe und das Linienschiff Bayern. Die schlechte Lebensmittelversorgung führte ab 1917 zu Streiks, denen sich die Arbeiter der Germaniawerft, der Kaiserlichen Werft und der Torpedowerkstatt Friedrichsort anschlossen und die über die Kriegsbeendigung hinaus Reformen beim Wahlrecht und im Erziehungswesen forderten.

1918: Durch Streiks und Demonstrationen unterstützten die Kieler Werftarbeiter den Kampf der Matrosen für die Beendigung des Ersten Weltkrieges und die Novemberrevolution, die schließlich den Kaiser zum Abdanken zwangen. Unerreicht blieb die dauerhafte Friedensproduktion auf den Werften, denn die maßgeblichen Sozialdemokraten (Noske) standen auf der Seite der Kapitalisten.

1936: Alle Beschäftigten der Deutschen Werke mussten eine Erklärung über ihre "arische" Abstammung abgeben.

1937: Die Kaiserliche Werft hieß in der Weimarer Zeit Reichswerft, später Deutsche Werke. Diese wurde nun mit Howaldt zu Howaldt Deutsche Werke vereinigt und zwei Jahre später der Marine unterstellt: Bis zum Kriegsende entstanden hier 31 U-Boote. In ihrer Heimat von der deutschen Besatzungsmacht zwangsweise ausgehoben wurden immer mehr sogenannte "Ostarbeiter" auf der Werft ausgebeutet. Ostersehlte schreibt weiter: "Ein Einsatz von KZ-Häftlingen bei den Howaldtswerken ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu beweisen, aber auch nicht völlig auszuschließen. Auch aus anderen Städten wie Rendsburg wurden Arbeiter herangeschafft und mussten unter enormem Druck arbeiten: Es entstanden ein Flugzeugmutterschiff, ein großer Tankdampfer für die Marine, acht große Zerstörer, acht Flottengeleitboote und U-Boote.

1946: Der Kieler SPD-Bürgermeister Andreas Gayk erklärte im Mai: "Was heute jeder Kieler Bürger begreifen müsste, ist dies: Es gibt keine gesunde, krisenfeste Wirtschaft in Kiel ohne eine radikale Abkehr von jeder Rüstungspolitik. Es gibt keine gesunde, krisenfeste Wirtschaft ohne ein Bekenntnis zu einer echten Friedenswirtschaft. Diese Friedenswirtschaft wollen wir Schritt für Schritt, aber zielbewusst aufbauen." So zu lesen auf der Internetseite der Stadt Kiel: www.kiel. de/kultur/stadtarchiv/erinnerungstag.

1956: Über 13.000 Menschen arbeiteten bei HDW.

1961: Im Zuge der Wiederaufrüstung begannen auch die Howaldtwerke wieder mit militärischer Produktion: Das erste Nachkriegs-U-Boot lief vom Stapel.

1969-75: U-Boote der Klasse 206, für die Bundesmarine und abgeändert auch für Israel.

1981: 6 FS-1500-Fregatten werden für Kolumbien und Malaysia gebaut.

1990: Der Jahresumsatz lag bei einer Mrd. DM, 2/3 der Investitionen flossen in den Marineschiffbau, dort wiederum zu 2/3 in U-Boote.

2005: Thyssen-Krupp übernimmt 3/4 der Eigentumsanteile: HDW bildete jetzt zusammen mit den anderen beiden großen Kriegsschiffbauern Blohm + Voss Hamburg sowie den Thyssen Nordseewerke Emden die Thyssen-Krupp-Marine-Systems.


Positionierung gegen Militär und Rüstung

1917: Im März versammelten sich Howaldt-Arbeiter in Dietrichsdorf, entzogen dem Werftausschuss das Vertrauen und kündigten eine Lebensmittelkommission an, die mit dem Magistrat der Stadt verhandeln sollte. Tags drauf traten 1500 Arbeiter der Werft in den Streik, gefolgt von 4000 Kollegen der Germania-Werft, bis schließlich 17.000 Arbeiter in Kiel streikten. Hier wurden bereits Forderungen nach Frieden und politischen Veränderungen laut.

1936: Die Deutsche Werft baute das Schlachtschiff Gneisenau. Die Schweißer füllten eine Kielschweißnaht einfach nur mit Schweißdraht auf.

Beim Stapellauf rauschte das Mordgerät quer durch den Hafen und rammte sein Heck in die Kaimauer am Strandweg; es konnte erst verspätet fertiggestellt werden.

1943: Ein französischer Zimmermann und ein italienischer Maurer sabotierten den Bunkerbau für die U-Boote auf der Kriegsmarinewerft: Sie ließen den Zement beim Betonmischen weg. (Ostersehlte, S. 369)

1955: Auch mit der Wiederbewaffnung der BRD und der erneuten Rüstungsproduktion bei HDW (1961) gab es Grund genug gegen diese Politik und Geschäfte aktiv zu werden: In HDW-Werkszeitungen kritisierten KPD-nahe Gruppen den U-Boot-Bau als menschenfeindlich und gegen die Interessen der Beschäftigten gerichtet. Mit KPD-Verbot und Kündigungen wird ihr Einfluss jedoch zurückgedrängt.

Immerhin einer der Werftkapitalisten tanzte aus der Reihe: Familie Blohm lehnt für die Hamburger Werft Blohm und Voss den Kriegsschiffbau grundsätzlich ab. Anlässlich des Auftrages für das Segelschulschiff Gorch Fock 1957 erklärt Georg Blohm diesen zur Ausnahme, Kampfschiffe würde man nicht wieder in Auftrag nehmen. Erst 1966, mit dem Kauf der Stülcken-Werft und dem Ende der Blohm-Ära beginnt der Kampfschiffbau erneut.


Die U-Bootbesetzung 1982

Am 4. September 1982 besetzten AktivistInnen des Arbeitskreises Chile-Solidarität ein Schwimmdock von HDW, um auf den Verkauf zweier U-Boote an die chilenische Militärjunta unter Augusto Pinochet hinzuweisen. Die Forderungen lauteten:

* Keine Umwandlung der HDW in eine Kriegswerft!
* Keine Entlassungen im zivilen Schiffbau!
* Verbot des Rüstungsexports!
* Keine U-Boote für Chiles Faschisten!

Vorangegangen war ein Versteckspiel der Bundesregierung: Nachdem der öffentliche Druck gegen das Rüstungsgeschäft mit der südamerikanischen Diktatur stetig angewachsen war, bemühte sich die sozialliberale Bundesregierung unter Helmut Schmidt, andere Staaten als Abnehmer der Kriegsgeräte zu gewinnen.

Diese Strategie erwies sich als erfolgreich. Die Regierungen von Indien und Norwegen übernahmen zwar nicht die "chilenischen" U-Boote, gaben aber eigene Boote in Auftrag - selbstverständlich bei HDW. Mit der Bildung der Regierung Kohl - Teile der Unionsparteien standen der chilenischen Militärdiktatur von Beginn an wohlwollend gegenüber - stand der Abwicklung des Rüstungsgeschäfts schließlich nichts mehr im Wege. Die zukünftige Besatzung hielt sich bereits in Kiel auf, im März 1983 erteilte die Kohl-Regierung die Ausfuhrgenehmigung. Den Protesten gegen die Kriegswaffenlieferungen an Chile begegnete die Geschäftsleitung mit verschärftem Druck auf die Belegschaft: Allein die U-Boote für Chile sicherten angeblich tausend Arbeitsplätze. Dieses Totschlag-Argument erwies sich schon damals als wirkungsmächtiges Drohinstrument, das in seiner Substanz aber hohl war. Waren 1980 noch 1000 WerftarbeiterInnen für den U-Boot-Bau und gegen den drohenden Widerruf der Exportgenehmigung in einen Kurzstreik getreten, setzte drei Jahre später ein massiver Arbeitsplatzabbau ein. Im Zuge der umfassenden "Sanierung" von HDW wurden in Hamburg und Kiel 3600 Mitarbeiter entlassen, die Kapazitäten im Handelsschiffbau drastisch herabgesetzt.


Der Blaupausenskandal

1983: Weitere Brisanz erhielt die öffentliche Diskussion mit dem sogenannten Blaupausen-Skandal (1983-89). Die damalige Kohl-Genscher-Regierung setzte sich heimlich über internationale Abkommen zur Achtung des Apartheid-Regimes in Südafrika hinweg. Baupläne und Know-how für mehrere U-Boote wurden von HDW und dem Ingenieurkontor Lübeck (IKL) an Südafrika geliefert, Behörden und Politiker bestochen. Der Skandal setzte sich fort, als die Bundesregierung mit Hilfe des damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, die Ermittlungen behinderte und alles zu vertuschen versuchte.

2004: Am 24. September demonstrierten 5000 Menschen in Kiel gegen die Fusionspläne von Thyssen-Krupp, die den zivilen Schiffbau bei HDW zum Lückenbüßer für U-Boot-Aufträge machten.


Riesen-U-Boote - Riesenwahnsinn!

Als Weiterentwicklung der Brennstoffzellen-Boote 212 und 214 ist nun ein Typ 216 geplant:

"HDW 216" soll um die 90 Meter lang und 4000 Tonnen schwer sein, mehr als 60 Soldaten sollen zur Besatzung zählen. Marschflugkörper, Mini-U-Boote für Kampfschwimmer oder Drohnen sind bei dem neuen Typ in der Ausrüstung möglich. Der Stückpreis soll bei mehr als 500 Millionen Euro liegen," schwärmt Frank Behling in der "Kieler Nachrichten" vom 10. Oktober 2014. Dort verrät uns auch Dieter Hanel, Vorsitzender des AK Wehrtechnik SH: "Der U-Boot-Bau ist ein Wachstumsmarkt, an dem auch die Marinetechnik in Schleswig Holstein in hohem Maße partizipiert".


Fregatten nach Algerien - Milliarden auf dem Rücken der algerischen Bevölkerung!

Was dem Rüstungsgiganten Rheinmetall recht ist, soll nun HDW billig sein: Der eine wie der andere Konzern bereichern sich an der korrupten algerischen Wirtschaft: Der eine mit einer Panzerfabrik, der andere nun mit 2 Fregatten für über eine Milliarde Euro!

Die "Aktion Aufschrei - stoppt den Waffenhandel!" schreibt dazu: "Betrachtet man Algerien im Licht der Kriterien des EU-Verhaltenskodex, dürften Ausfuhrgenehmigungen dorthin gar nicht erteilt werden. Denn wie dem aktuellen Menschenrechtsbericht der Bundesregierung zu entnehmen ist, ist zum Beispiel die Menschenrechtslage in Algerien bis heute kritisch zu bewerten, vor allem was die Lage der Frauen, die sexuelle Freiheit (Homosexualität wird mit Gefängnis und Geldstrafe geahndet) und die Pressefreiheit betrifft. Hinzu kommt, dass in Algerien nach wie vor zwischen islamistischen Gruppierungen und der Algerischen Regierung ein Bürgerkrieg herrscht. Ganz abgesehen davon, dass Algerien mit Nachbarn wie Libyen und Mali in einer höchst instabilen und konfliktträchtigen Region liegt."

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Quelle:
Gegenwind Nr. 318 - März 2015, Seite 14-16
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2015

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