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GEGENWIND/643: Buchvorstellung - Krieg führen ohne Verluste


Gegenwind Nr. 325 - Oktober 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Krieg führen ohne Verluste

Von Reinhard Pohl


Der Traum ist so alt wie das Militär: Kann man Krieg führen, andere Menschen töten, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben? Eigentlich dient die gesamte Rüstung und Waffenentwicklung diesem Ziel. Um sich selbst vor dem "Gegenschlag" zu schützen, wurden der Schild und die Rüstung entwickelt. Bald entwickelte man Distanzwaffen: Pfeil und Bogen, Speer, Armbrust. Und schließlich das Gewehr, Geschütze, Panzer und Flugzeuge zum Bombardieren aus der Luft.


In diesem Buch geht es um Drohnen. Sie sind die logische Weiterentwicklung der genannten Distanzwaffen: Sie fahren, schwimmen und fliegen ohne Piloten oder Pilotin. Die oder der sitzt weit entfernt und lenkt. Drohnen können beobachten und filmen, messen und greifen, aber sie können oft auch schießen. Wenn sich die Beobachteten oder Angegriffenen wehren, können sie sich meist nur gegen die Drohne wenden - diejenigen, die die Drohne programmiert haben oder steuern, riskieren nichts.

Wenn heute über Drohnen diskutiert wird, das erkennt man gut an den entsprechenden Artikeln von Ralf Cüppers im Gegenwind, geht es meistens um unbemannte Flugzeuge. Die Entwicklung von Drohnen ist aber älter und vielfältiger als die Objekte dieser Berichte. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Unterwasser-Drohnen entwickelt, man kann auch sagen: unbemannte U-Boote. Sie sollten komplexer oder auch "intelligenter" als Torpedos sein, die zwar zum Teil auch Ziele selbst suchen bzw. im "richtigen" Moment explodieren können, aber nach dem Abschuss in der Regel nicht mehr korrigiert werden können.

Die ältesten Drohnen, die die deutsche Kriegsmarine im Ersten Weltkrieg in der Nordsee zum Einsatz brachte, waren relativ schwer zu bedienen. Es handelte sich um eine Mischung aus U-Boot und Torpedo. Sie wurden von einem Kriegsschiff aus ins Wasser gelassen, um sich den feindlichen Kriegsschiffen, in diesem Falle britischen Schiffen, zu nähern, ohne dass die Besatzung des deutschen Schiffes dieses Risiko eingehen musste und wollte. Sie hatten vorne einen Sprengkopf und hinten eine Kabelrolle. Während der Fahrt wickelten sie ein zwanzig Kilometer langes Kupferkabel ab, darüber blieben sie in Kontakt mit dem Mutterboot, wo ihr "Pilot" die Drohne steuerte. Ins Ziel gelenkt, wäre diese frühe Drohne explodiert, es handelte sich also um eine "Selbstmord-Drohne". Allerdings erfüllte sie die Erwartungen nicht, vor allem war das Kupferkabel von zwanzig Kilometer Länge zu schwer, um mit dem Unterwasserfahrzeug etwas Kriegsentscheidendes anzufangen.

Generell litten diese frühen Versuche an nicht vorhandenen Möglichkeiten, die Steuerung oder auch die Bilder per Funk zu übermitteln. So wurden auch im Zweiten Weltkrieg von Deutschland Panzer ohne Besatzung eingesetzt, "Goliath" genannt. Sie wurden per Kabel, aber auch per Funk ferngesteuert. Es handelte sich um relativ kleine Panzer, die Sprengladungen in die feindliche Stellung brachten, also ebenfalls "Selbstmord-Drohnen". Ähnliche Experimente machten natürlich alle Armeen, weil die Sehnsucht nach dem "risikofreien" Töten gerade während eines Krieges sehr groß ist. Den Soldaten selbst geht es um ihr Leben, den Kommandeuren um die teure Ausbildung.

Luftfahrzeuge, die als Drohnen bezeichnet werden können, wurden natürlich erst später konstruiert. Vorläufer waren Ballons, die Bomben ins Ziel brachten. Sie waren allerdings vom Wind abhängig und deshalb auch für die Absender nicht ungefährlich. Die ersten "echten" Drohnen wurden von den USA im Zweiten Weltkrieg eingesetzt, aber zunächst nur zu Hause. Es handelte sich um unbemannte Flugzeuge, die als "Zieldarstellungsflugzeuge" für die Ausbildung von Flak-Mannschaften dienten. Die britischen Flugzeuge waren schwarzgelb gestreift und hießen bei den Soldaten "Queen Bee", also Bienenkönigin. So kam wohl das US-Pendant zum Namen "Drohne". Diese Flugzeuge wurden gestartet, flogen in gerader Linie, und die Auszubildenden versuchten sie zu treffen. Entweder gelang dies, dann wurden die Drohnen zerstört, oder es gelang nicht, dann stürzten sie ab und gingen auch kaputt.

Von da aus war der Weg zur Idee, die Flugzeuge mit Sprengstoff zu beladen und Richtung Feind zu schicken, nicht mehr weit. Letztlich ist die VI eine Variante dieser Idee: Die "Flugbombe" wurde von Frankreich aus mit Katapulten Richtung England gestartet. Der Tankinhalt war so berechnet, dass der Sprit ungefähr über London ausging, damit die Bombe dort abstürzte. Der Erfolg war gering, kleine Orte kaum zu treffen, und die britischen Flugzeuge mit Pilot entwickelten schnell die Technik, weit vor London auf Parallelflug zu gehen und die Flugbombe mit einem Flügel des eigenen Flugzeuges kurz anzustupsen, so dass sie abstürzte und auf freiem Feld explodierte.

Die Sowjetunion entwickelte im Zweiten Weltkrieg auf der Basis des T-18- oder T-26-Panzers den TT-18 und den TT-26. Diese waren ohne Besatzung, wurden von einem zweiten Panzer per Funk gesteuert. Sie legten eine Sprengladung ab, die einen Zeitzünder hatten, und fuhren rückwärts zurück zu den eigenen Linien. Die Probleme waren, dass die ferngesteuerten Panzer keine Kamera hatten, die war so noch nicht erfunden, und der zweite Panzer zum Lenken durfte höchstens 1,5 Kilometer entfernt sein. Auch heute verfügt Russland über einen ferngesteuerten Panzer auf der Basis des T-72b, der von einem SIL-131-Lkw aus ferngesteuert wird.

Die ersten "echten" Vorläufer der heutigen Drohnen dienten der Aufklärung. Im Vietnamkrieg benutzte die US-Marine die DASH-QH-50 Drohne, eine Art ferngelenkten Hubschrauber. Er konnte fotografieren und die Bilder an die Artillerie schicken, damit diese gezielt schießen konnte. Eine andere Version konnte über dem Meer U-Boote entdecken und Torpedos abwerfen.

In den 50er Jahren entwickelten die USA ein unbemanntes Düsenflugzeug nahmens "Firebee" mit einer Reichweite von 1100 Kilometer. Es diente der Zieldarstellung zur Ausbildung von Kampfpiloten. Auf dieser Basis entstand das Spionageflugzeug "Firefly". Es flog ab 1964, dafür konzipiert, in Norwegen zu starten, um nach dem Flug mit Fotos in der Türkei zu landen. Die Weiterentwicklung flog unter dem Namen "Lightning Bug" vor allem über China, weil die USA Truppenbewegungen beobachten wollten, die auf ein Eingreifen in den Vietnamkrieg hindeuteten. Mehrere Drohnen wurden von China abgeschossen, eine auch 1965 öffentlich ausgestellt. US-Zeitungen berichteten kaum darüber, weil im Gegensatz zum sehr öffentlichkeitswirksamen Abschuss eines U2-Flugzeuges über der Sowjetunion im "Lightning Bug" kein Pilot saß. Insofern war das Kalkül der US-Regierung aufgegangen - mit Drohnen kann man Krieg führen, ohne dass sich die eigene Bevölkerung allzu sehr dafür interessiert, weil es keine Verluste an Menschenleben gibt.


Drohnen heute

Spricht man heute von Drohnen oder Kampfdrohnen, geht es meistens um mit Raketen bestückte Drohnen der USA oder Israels. Alle anderen Staaten, die solche Drohnen gerne hätten, namentlich Russland und China, sind technologisch noch nicht weit genug.

Diese Drohnen greifen "Feinde" an, meistens zielen sie in Pakistan, Afghanistan, Jemen, Somalia oder Gaza auf Mobiltelefone, sobald diese ihre Kennung senden. Die Zahl der "Feinde", die die explodierenden Raketen töten ist oft nicht bekannt - und es ist nicht bekannt, wie viele unbeteiligte Zivilisten getötet wurden.

Die USA haben eine Rechtsprechung entwickelt, in denen Militärrichter einen Feind "zum Tode verurteilen", und zwar nach Aktenlage und ohne Verhandlung. Sobald der Geheimdienst die Mobilnummer rausgefunden hat, kann die Drohne starten und schießen. Erklärt später ein Sender von al-Qaida, wie viele Frauen und Kinder getötet wurden, wird der heimischen Presse erklärt, das sei Propaganda. Wobei es natürlich auch Propaganda ist, allerdings genauso wie die eigenen Erfolgsmeldungen.

Unter Präsident Obama wurden die Truppen aus dem Irak und Afghanistan zurückgeholt, was der Stimmung in den USA gut entsprach. Gleichzeitig wurde die Kriegsführung durch Drohnen verzehnfacht, was in den USA, aber auch dem Rest der Welt weitgehend unbemerkt blieb. Der Grund ist einfach: Schon in den Jahrzehnten zuvor war die Aufmerksamkeit immer auf die Zahl der getöteten US-Soldaten, beim Afghanistan-Krieg auch der getöteten Bundeswehr-Soldaten gerichtet. Die in der Regel höheren Zahlen von getöteten Einheimischen spielten noch nie eine besonders große Rolle, das war schon im Vietnam-Krieg so. Das bedeutet aber: Wenn in einem Krieg keine US-Soldaten mehr getötet werden, findet dieser Krieg im Bewusstsein von Medien und Bevölkerung gar nicht statt.

In weiteren Kapiteln im Buch geht es um die Entwicklungsbemühungen anderer Staaten, um die ethischen und rechtlichen Fragen und schließlich um die Beschaffungs-Diskussionen der Bundeswehr.


Kai Biermann/Thomas Wigold:
Drohnen. Chancen und Gefahren einer neuen Technik.
Ch. Links Verlag, Berlin 2015, 224 Seiten, 18 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 325 - Oktober 2015, Seite 59-60
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2015

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