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GEGENWIND/664: Integrationsgesetz - Mogelpackung von CDU und SPD


Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Mogelpackung von CDU und SPD
Integrationsgesetz hilft nicht bei Integration

Von Reinhard Pohl


Die Ankündigungen klangen sehr euphorisch, als im März die Pläne für ein Integrationsgesetz von der Bundesregierung nach außen getragen wurden: Endlich sollte es ein Integrationskonzept aus einem Guß geben, der zweite Schritt nach der Aufnahme von über einer Million Flüchtlinge 2015 sollte jetzt, im Jahre 2016 getan werden. Im Mai will das Kabinett den Gesetzentwurf beschließen und dem Bundestag zuleiten, im Herbst soll das Gesetz in Kraft treten.


Als der Entwurf aus dem Arbeitsministerium und dem Innenministerium kam, sah es schon äußerlich nicht mehr wie ein großer Wurf aus: Die Datei wurde am 29. April (Freitagabend!) an Wohlfahrtsverbände und ExpertInnen zur Stellungnahme verschickt, der Bearbeitungsstand in der Datei wird mit 15.39 Uhr angegeben. Einsendeschluss für Einwände und Kritik war Dienstag der 3. Mai. Formell war vier Tage Zeit, den 58-seitigen Entwurf zu analysieren und zu kritisieren. Wer aber am Freitagabend, immerhin dem Abend vor dem Wochenende rund um den 1. Mai, nicht mehr im Büro war, fand die Mail mit dem Anhang erst am Montag vor.

Artikelgesetz

Zunächst handelt es sich nicht um ein einheitliches Gesetz, sondern um ein Artikelgesetz. In 8 Artikeln werden acht Gesetze geändert, der 9. Artikel regelt das Inkrafttreten. Das bedeutet auch, dass man die Änderungen nur verstehen kann, wenn man die acht betroffenen Gesetze kennt und somit die Auswirkungen der Änderungen einschätzen kann.

Grundtendenz

Die Grundtendenz ist Misstrauen. Es geht vor allem darum, ein Instrumentarium zur Sanktionierung von Flüchtlingen zu schaffen, die bei 1-Euro-Jobs trödeln oder zum Integrationskurs nicht regelmäßig hingehen. Dass es für die meisten weder 1-Euro-Jobs noch Integrationskurse gibt, sie zum Teil aktiv davon ausgeschlossen werden, wird im Gesetz nicht thematisiert. Die zweite Grundtendenz ist die stärkere Reglementierung von Flüchtlingen. Bisher wurden sie schon verteilt und verwaltet, durften sich selbst weder Wohnort noch Zimmernachbarn aussuchen. Das galt teils für Jahre, bis zum erfolgreichen Abschluss des Asylverfahrens. Erst dann dürfen sie frei arbeiten, sich eine Wohnung in Deutschland suchen. Dies soll jetzt eingeschränkt werden: Auch nach der Anerkennung soll der Wohnort vorgeschrieben werden können.

Die dritte Einschränkung betrifft das Nachholen sonstiger Familienangehöriger, jetzt schon nur sehr eingeschränkt möglich, wenn jemand eine finanzielle Garantie (Verpflichtungserklärung) übernimmt, dem Staat alle Kosten der Unterbringung und Versorgung zu ersetzen. Bisher endete die Verpflichtung, wenn im Asylverfahren eine Aufenthaltserlaubnis gegeben wurde - das soll entfallen, die Verpflichtungserklärung soll in jedem Fall für fünf Jahre gelten.

Bafög

Formell erhalten Flüchtlinge "mit guter Bleibeperspektive" die Möglichkeit, Bafög zu beantragen, solange sie Asylbewerberleistungen beziehen. Das wird vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Eritrea und Iran betreffen. Allerdings bleibt es beim Bafög-Ausschluss im SGB, das nach 15 Monaten Aufenthalt greift. Was diese Flüchtlinge also in 15 Monaten studieren dürfen oder können, in der Zeit muss ja auch die Sprache erlernt werden, bleibt unklar. Vielleicht ergibt sich auf dem Weg zum endgültigen Gesetz noch eine intelligente Änderung.

"Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen" als Arbeitsmarktprogramm

Zeitlich befristet sollen für einige Jahren "Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen" eingerichtet werden, die Bundesregierung plant also, die Grenzschließungen aufrecht zu erhalten, sonst würde die zeitliche Befristung keinen Sinn ergeben. Gleichzeitig wird ins Asylbewerberleistungsgesetz eine Verpflichtung zur Teilnahme und Sanktionen in Form von Leistungskürzungen, die sich auf Essen und Trinken beziehen, eingebaut.

Da gleichzeitig die Integrationskurs-Berechtigung nicht erweitert wird, bedeutet das, dass Flüchtlinge in einen Niedriglohnsektor des Arbeitsmarktes hineingezwungen werden sollen.

Echte Integrationsmaßnahmen würden mit Sprachkursen und Ausbildungen sowie der Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen beginnen.

Leistungskürzungen

Leistungskürzungen sind nicht nur im Asylbewerberleistungsgesetz, sondern auch im SGB XII vorgesehen. Sie beziehen sich auf alle, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat der EU Schutz erhalten haben, die an angebotenen Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen nicht teilnehmen, die zum Integrationskurs nicht hingehen, die gegen die Residenzpflicht verstoßen oder die gegen Wohnsitzauflagen verstoßen. Problem für den Gesetzgeber ist, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil 2013 zum Asylbewerberleistungsgesetz gerade gesagt hatte, dass damit das Existenzminimum und damit die Menschenwürde des Artikels 1 der Grundgesetzes gewährleistet werden soll und damit Einschränkungen nicht möglich sind.

Der Gesetzgeber beugt da mit einem neuen § 11, Absatz 4 im Asylbewerberleistungsgesetz vor: Bei angeordneten Kürzungen, die bis zu 50 Prozent des Existenzminimums betreffen können, haben Widersprüche und Klage keine aufschiebende Wirkung.

Niederlassungserlaubnis

Bisher bekommen anerkannte Flüchtlingen zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Danach bekommen sie eine Niederlassungserlaubnis, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht widerspricht. Das würde es, wenn sich die Verhältnisse im Herkunftsland entscheidend verändert haben - eine Regierung gestürzt ist, ein Krieg beendet ist.

In Zukunft soll die Niederlassungserlaubnis nur gegeben werden, wenn (fast) alle Bedingungen erfüllt werden, wie sie für andere Ausländerinnen und Ausländer gelten, also ein sicherer Job, die Finanzierung des Lebensunterhalts für die ganze Familie aus eigenem Einkommen. Nur auf den Nachweis von fünf Jahren Einzahlung in die Sozialversicherungen soll verzichtet werden.

Auch das ist ein weiterer Schlag gegen die Integration, weil so das Gefühl vermittelt wird, dass man auch drei Jahre nach der Anerkennung - angesichts der langen Asylverfahren kann das fünf, sechs Jahre nach der Ankunft sein - der Aufenthalt immer noch nicht "endgültig" ist. Die Niederlassungserlaubnis enthält keinen Aufenthaltszweck mehr, bleibt also auch bestehen, wenn die Asylanerkennung aufgrund von Änderungen im Herkunftsland widerrufen wird.

Diese Änderung bedeutet auch, dass wieder stärker zwischen "nützlichen" und "nicht nützlichen" Flüchtlingen unterschieden wird - Rentner und Alleinerziehende können die Bedingungen nicht erfüllen.

Mit gestrichen wird ohne Begründung auch die Möglichkeit für Minderjährige, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu erhalten.

Wohnsitzzuweisung

In Zukunft soll es einerseits die Möglichkeit geben, anerkannten Flüchtlingen einen Wohnort zuzuweisen. Andererseits soll es die Möglichkeit geben, bestimmte Wohnorte zu verbieten.

Während behauptet wird, damit sollte die Integration erleichtert werden, läuft die parallele Diskussion umgekehrt: Geplant ist die Zuweisung von anerkannten Flüchtlingen in kleine Orte, in denen es viel leer stehenden Wohnraum gibt. Damit sollen die Städte entlastet werden. In den Städten gibt es aber ein weitaus vielfältigeres Angebot an Deutschkurse, meistens mit speziellen Kursen für Frauen, für Berufstätige, für Analphabeten ... Außerdem gibt es hier ein vielfältiges Angebot an Beratungsstellen.

Eine solche Wohnsitzzuweisung verstößt außerdem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und gegen die EU-Qualifikationsrichtlinie, ferner gegen Urteile des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes. Da müssen die Regierung und das Parlament noch nacharbeiten, um die Widersprüche zu beseitigen. Es fragt sich aber auch, warum das sinnvoll sein soll: Sicherlich ist die Wohnungssituation in vielen Städten angespannt. Das lässt sich aber durch Wohnungsbau lösen. Flüchtlinge aufs Land zu schicken sorgt für sehr viel längere Zeiten des Sozialhilfebezuges, weil es dort weniger Möglichkeiten der Qualifizierung und der Arbeitsplatzsuche gibt.

Integrationskurs

Der wichtigste Beitrag zur Integration wäre die Öffnung der Sprachkurse für alle. Dazu ist überhaupt nichts geplant, weder für UnionsbürgerInnen noch für Flüchtlinge im Verfahren. Sie dürfen bisher nur einzelne Anträge auf "Zulassung" stellen, und die wird nur "im Rahmen freier Plätze" genehmigt.

Das einzige, was die Regierung hier machen will: Die Zahl der KursteilnehmerInnen soll von 20 auf 25 erhöht werden. Das schafft zwar vorübergehend Luft auf der Warteliste, die alle Anbieter führen. Aber wie soll das die Integration fördern? Zu erwarten ist eher, dass dann weniger TeilnehmerInnen die Abschlussprüfung bestehen.

Größtes Problem ist außerdem die Finanzierung, weil viele Lehrerinnen und Lehrer kein ausreichendes Honorar erhalten. Deshalb müssen viele halbtags einer anderen Tätigkeit nachgehen, um nicht zu "Aufstockern" zu werden. Auch hier sieht der Entwurf keine Änderungen vor.

Verpflichtungserklärung

"Sonstige Familienangehörige" mit einem Visum herzuholen gelingt außerordentlich selten, es handelt sich zur Zeit im Wesentlichen um Landesprogramme, die sich nur auf syrische Flüchtlinge beziehen. Außerdem gibt es den § 36 im Aufenthaltsgesetz, der den Nachzug von "sonstigen Familienangehörigen" (außerhalb der Kernfamilie) erlaubt, allerdings selten zum Erfolg führt. In der Regel scheitert das Visum an der fehlenden Krankenversicherung, geht es doch häufig um Rentner, für die der Nachzug angestrebt wird.

Diese Verpflichtungserklärung gilt bisher, bis eine Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Grund erteilt wird. Das ist bei syrischen Familienangehörigen vor allem der erfolgreiche Asylantrag. Genau hier setzt die Änderung an: Die Verpflichtungserklärung soll für fünf Jahre gelten, auch wenn sich der Aufenthaltszweck ändert.

Dolmetschkosten

Möglicherweise ist diese Neuregelung teilweise positiv: In den Artikel 2 (SGB I) und Artikel 4 (SGB X) wird festgelegt, dass Kosten des Dolmetschens und Übersetzens "von dem für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger zu tragen" sind. Diese Kostenübernahme wird eingeschränkt auf diejenigen, die "ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit weniger als drei Jahren im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben".

Allerdings bleibt im Gesetz, dass die Betroffenen zunächst aufgefordert werden sollen, selbst einen Dolmetscher mitzubringen, womit wohl weiterhin ein "Bekannter" gemeint ist. Ausdrücklich sollen auch keine neuen Ansprüche geschaffen werden, so steht es in den Eckpunkten des Kabinettsbeschlusses.

Dennoch befürchten die Krankenkassen Mehrausgaben von 120 Millionen Euro. Ein großer Anbieter des "Videodolmetschens", die SAVD Videodolmetschen GmbH, stellte die Zahl in Frage, weil sie angeblich billiger liefern kann, ohne die Frage zu stellen, ob Videodolmetschen wirklich bei jeder Art von ärztlicher Behandlung geeignet ist.

Nicht diskutiert wurden von Krankenkassen oder Dolmetschfirma die Kosten der Nicht-Verständigung: Längere Liegezeiten im Krankenhaus, Ärztehopping, Fehldiagnosen oder verschleppte Erkrankungen mit später teurerer Behandlung spielen noch immer in dieser Diskussion keine Rolle.

Zudem ist die Begrenzung auf drei Jahre Aufenthalt künstlich: Es muss gedolmetscht werden, wenn Arzt und Patient sich nicht verstehen. Insofern wäre das SGB V der geeignete Ort für die Verankerung dieser Leistungen. Dort sind die Punkte aufgelistet, die der Arzt verordnet und die Krankenkasse bezahlt, und dazu sollten Dolmetsch-Leistungen gehören.

Fazit

Der weitere Weg des "Integrationsgesetzes" sollte also nicht nur beobachtet, sondern auch nach Kräften beeinflusst werden. Zur Ehrlichkeit gehört aber als erstes, den Namen zu ändern. Denn mit Integration hat dieses Artikelgesetz leider nichts zu tun.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016, Seite 18 - 20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2016

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