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GEGENWIND/678: Familie Mann mit Ernst Toller und Willy Brandt im Spanischen Bürgerkrieg


Gegenwind Nr. 336 - September 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

GESCHICHTE
"Was bleibt? Hilfe für Flüchtlinge" und Kampf "für eine bessere, gerechtere und menschliche Ordnung"

Die Familie Mann mit Ernst Toller und Willy Brandt im Spanischen Bürgerkrieg (*)

Von Jörg Wollenberg


Heinrich Mann forderte am 7. August 1936 in der linksliberalen deutschen Exilzeitung die Demokraten der Welt auf, gegen "den Schlucker Franco" ... für die "spanische Freiheit zu kämpfen" (Pariser Tageszeitung, PTZ). Und als Präsident des Internationalen Schriftstellerkongresses lud er im Juli 1937 zum II. Kongress "Zur Verteidigung der Kultur" nach Spanien ein. Sein Bruder Thomas verfasste 1937 einen Aufruf für das Schweizer Arbeiter-Hilfswerk gegen die, die sich 'Nationalisten' nennen und alles daran setzen, mit Franco "einem Gesinnungsgenossen zur Macht zu verhelfen... Es ist empörend, verbrecherisch und widerwertig" (Spanien. Menschen in Not, hrsg. von Anna Siemsen, Zürich 1937)


Seine Kinder, Erika und Klaus Mann, reisten als Berichterstatter der PTZ vom 2. Juli bis zum 18. August 1938 nach Spanien. Erika berichtete über Spaniens Kinder: "Das Schreckliche und das Ergreifende der spanischen Situation - nirgends wird es deutlicher als angesichts der Kinder. Die Tragödie des überfallenen Volkes, in den hungrigen Gesichtern der Kinder steht sie zu lesen, - aus ihren zerlumpten Kleidchen spricht sie, und sie bestürmt unsere Herzen..." Klaus Mann kam in Kontakt mit gefangenen deutschen Fliegern der Legion Condor und hielt in seinem Spanischen Tagebuch fest: "Wie fremd sind uns unsere Brüder geworden! - empfand ich mit Schmerz." (PTZ)

Ihr gemeinsamer Freund und Mitstreiter Ernst Toller fügte seinem Tagebuch ab Ende Juli 1938 in Barcelona "Stichworte eines Scheiterns" hinzu: "Was bleibt? Hilfe für Flüchtlinge. 400.000 in Frankreich. Traum und Wirklichkeit." Als seine verzweifelten, rastlosen Bemühungen um eine Hilfsaktion für Spanien mit Hilfe der demokratischen Staaten in Europa zu scheitern drohten, nahm sich der engagierte Gegner des Faschismus am 22. Mai 1939 in New York das Leben. Zu denen, die trotz aller Enttäuschungen weiter für die Freiheit in Spanien kämpften, gehörte Willy Brandt. Der damals 24Jährige Lübecker hielt sich ab Februar 1937 in Barcelona auf, wo er als Verbindungsmann der SAP den Kontakt zu den Linkssozialisten der Partei der marxistischen Einigung (POUM) pflegte. Zusätzlich arbeitete er als Beauftragter der norwegischen Spanienhilfe und als Korrespondent für die norwegische Presse in Spanien. Nach der von den Kommunisten im Mai/Juni 1937 initiierten Verhaftungswelle der als Trotzkisten diffamierten POUM-Anhänger reiste Brandt nach Paris, um vor der erweiterten SAP-Parteileitung über die Situation im Spanischen Bürgerkrieg zu berichten. Brandt warnte davor, wegen der blutigen Maiwoche von 1937 in Barcelona und der Moskauer Säuberungen die Einheitsfront der Linken zu ändern: "Jetzt erst recht müssen wir zum vordersten Bannerträger der Einheit werden".

Brandt griff dabei auf seine Erfahrungen in Deutschland zurück. Denn ab Mitte September 1936 hatte er sich illegal für drei Monate in Berlin aufgehalten - als Student getarnt mit einem norwegischen Pass auf dem Namen Gunnar Gaasland. Unter dem Berliner SAP-Decknamen "Martin" schrieb Brandt im November 1936 nach Paris: Die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit und Einheit in Berlin seien gut, weil alte Abgrenzungen bereits abgetragen wären. Stärkste Gruppe bleiben die KP-Anhänger. Wichtig aber sei, das organisatorische Wachstum der Einheit und die Aufrechterhaltung innerer Demokratie weiter zu fördern. In der "Marxistischen Tribüne", dem Exilorgan der SAP, vom März 1937 fasste Willy Brandt die Erfahrungen der "illegalen Kampffront" in Berlin im Vergleich mit Spanien zusammen, um diese an die SAP-Kader im Exil weiter zu vermitteln. Die "Nüchternheit" der illegalen Arbeit im Inland konfrontiert er mit der Warnung vor der Überbetonung von "Ismen" unter den Exilvertretern: "Denkt immer daran, dass für den einfachen Menschen das Leben nicht nur aus 'Ismen' besteht, sondern aus Essen, Schlafen, Fußballspielen, Kanarienvögeln, Schrebergarten und anderen schönen Dingen. Und vergesst nicht, dass es Lenin war, der vorschlug, mit der Forderung nach 'Teewasser' Leben in den Betrieben auszulösen. Wir müssen lernen, nicht immer von der hohen Politik zu reden, sondern zu ihr den Weg durch das jeweilige Teewasser zu bahnen." (Berliner Ausgabe, Bd.I, 242-264)

Eine Minderheit um Paul Frölich und Walter Fabian folgte Brandts Analyse nicht. Sie verurteilten die Politik Stalins. Sie wurden aus der SAP ausgeschlossen und gründeten die Gruppe "Neuer Weg". Die Folgen des spanischen "Bürgerkriegs im Bürgerkrieg" (Broué) spalteten fortan die Anhänger der europäischen Volksfront gegen Hitler. Und das betraf auch prominente Kommunisten, die mit Willy Münzenberg verfolgt und ermordet wurden - als Folge der Konflikte im Spanischen Bürgerkrieg, dem "Säuberungen" in der UdSSR vorausgingen und die im "Hitler-Stalin-Pakt" kulminierten. Und es war zugleich die Tragödie der Antifaschisten jenseits der beiden Hauptrichtungen der Arbeiterbewegung, dass sie ab 1936 mit ihren Initiativen in Deutschland (unter erschwerten Bedingungen des NS-Terrors) und in Westeuropa (unter den besseren Voraussetzungen. Volksfront-Regierungen in Frankreich und Spanien) nicht nur an der Politik der Komintern scheiterten. Sie verzweifelten auch an der Politik der Exil-SPD und der Sozialistischen Arbeiter-Internationale. Und als die beiden "feindlichen Brüder" endlich arbeitsfähige Ausschüsse zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront eingerichtet hatten, mussten sie sich im Herbst 1936 neben dem Terror und der Kriegsvorbereitung der NS-Diktatur zusätzlich mit den "Moskauer Schauprozessen" auseinandersetzen; Prozesse, dem neben der Hinrichtung führender Köpfe der Gründergeneration der SU auch die Füsilierungen der als Trotzkisten diffamierten Mitglieder der POUM im Spanischen Bürgerkrieg folgten. Die mit ihnen kooperierenden Zwischengruppen der SAP oder KPO wurden erneut als Renegaten diffamiert. Und dann kam noch dazu das Abkommen der Todfeinde, der Nichtangriffspakt vom 23. August 1939, dem der "Freundschaftsvertrag", der Hitler-Stalin-Pakt vom 28. September 1939 folgte. Dazu schrieb der Altkommunist Hermann Duncker aus Moskau am 13. Oktobr 1939 an Frau und Sohn in den USA: "Ich bin entsetzt über die neuen Verhandlungen Hitler-Stalin! Nie hielt ich das für möglich! Das man auch das noch erleben muß! Bei aller 'Dialektik' kann ich nicht mehr mit. Nie und nimmer kann man einen Sozialismus auf den Hitlerismus aufbaue! Pfui Teufel! - Ich habe eine solche Wendung nicht für möglich gehalten. Dafür reicht mein Verstand nicht aus! Die Hitler-Pakt-Kommunisten von 1939 sind beinahe das Gegenstück zu den Regierungssozialisten von 1914. Aber noch viel monströser."

Bündnisse der Antifaschisten waren von nun an in der Regel nur noch jenseits der Parteizentralen und eher punktuell möglich. Denn welcher bürgerliche Antifaschist, Pazifist, Anarchist, Sozialist oder Sozialdemokrat sollte Zutrauen zum Bündnisangebot von Kommunisten haben, deren Zentrale in Moskau der freien Welt eine "Parteisäuberung" als Terror mit Massenexekutionen vorführte und politische Emigranten verfolgte, sie zu entblößender Selbstkritik veranlasste oder in den Selbstmord trieb?

Einer der umstrittensten Personen dabei war Walter Ulbricht. Er setzte den Führungsanspruch der Moskauer Gruppe auch gegen die eigenen Genossen um Franz Dahlem und Willi Münzenberg durch, den Sekretär des Pariser Vorbereitungsausschusses zur Gründung einer Volksfront. Selbst der vornehme Heinrich Mann charakterisierte den auf Liquidation der Volksfront orientierten Walter Ulbricht am 29. Oktober 1937 in dem Brief an Lion Feuchtwanger als "ein vertracktes Polizeigehirn". Er "sieht über seine persönlichen Intrigen nicht hinaus, und das demokratische Verantwortungsgefühl, das jetzt erlernt werden muss, ist ihm fremd".

Der durch Ulbricht entmachtete Willy Münzenberg hielt am 8. März 1938 seine Eindrücke über das Scheitern der Volksfrontbewegungen im Exil brieflich in einem Schreiben an die langjährige, in Ahrensbök geborene Lebensgefährtin von Heinrich Mann fest: "Nie war jedenfalls der Gegensatz zwischen deutschen Kommunisten und Sozialisten so groß wie jetzt. Obendrein schürt man täglich die Gegensätze. Glauben Sie mir, ohne menschliche Treue und ohne Wahrhaftigkeit geht es nicht. Die Deutschen müssen erst lernen untereinander die Treue zu halten, ehe sie dazu übergehen können, die Massen aufzurufen, ihnen treu zu sein. Ich befürchte, dass auf lange Zeit ernsthaft Einheitsbestrebungen unfruchtbar geworden sind. Ich sprach hier lange Zeit mit Feuchtwanger, der sich reizend benahm und mir jede Hilfe und Unterstützung anbot... Bitte schreiben Sie mir bald, welcher Tag Ihnen und Heinrich am besten passt, um das Glück noch einmal in Monte Carlo herauszufordern".

Auch das Glückspiel konnte von den verhängnisvollen Folgen dieser Politik bis heute nicht ablenken: Denn 1936/37 wurde in Spanien und in Moskau der "doppelte Dissident" geboren, der keinen Unterschied mehr zwischen Hitler und Stalin kannte.


(*) Bei dem obigen Artikel handelt es sich um einen Nachdruck des Resumees im Begleitheft zur Ausstellung "80 Jahre Spanischer Bürgerkrieg-Eine Spurensuche".


80 Jahre Spanischer Bürgerkrieg
Eine Spurensuche

AUSSTELLUNG
Eröffnung: Sa., 24. September um 18 Uhr.
In der Diele, Mengstraße 41, 23552 Lübeck
Mit dabei der Schauspieler Rolf Becker,
der Historiker Jörg Wollenberg
und das Musikerduo DosUlises aus Bremen

Öffnungszeiten: Mo.-Fr. 11-17 Uhr, Sa. 11-16 Uhr

Anschließend wird die Ausstellung in Gotha,
Göttingen und Nürnberg gezeigt.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 336 - September 2016, Seite 24-27
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2016

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