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GEGENWIND/757: Nicht nur Ursachen, auch Verantwortliche


Gegenwind Nr. 357 - Juni 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Nicht nur Ursachen, auch Verantwortliche
Analyse mit ideologischen Lücken

von Reinhard Pohl


Mehr als 60 Millionen Flüchtlinge hat die UNO zur Zeit registriert - wie viele es wirklich sind, weiß man nicht, weil viele bei Freunden und Verwandten untergeschlüpft sind, wo sie sich aus guten Gründen nicht bei den Behörden melden. Sicher ist: Es sind mehr als noch vor ein paar Jahren, und es werden weiterhin immer mehr.

Der Autor will mit seinem Buch den Ursachen nachgehen, vor allem aber die Verursacher benennen. Dabei nimmt er sich die großen Regionen vor: Naher Osten (inklusive Afghanistan), den Balkan, Afrika sowie Süd- und Mittelamerika. Afrika wird nochmal unterteilt: Unter der Überschrift "Rückkehr der Klanstrukturen" werden die zerfallenen Staaten Libyen, Somalia und Südsudan vorgestellt, unter der Überschrift "Ausbeutung" andere afrikanische Staaten, in denen es eine Regierung als Ansprechpartner internationaler Organisation gibt.

Die Schwäche des Buches wird schon bei der ersten Region deutlich. Der Autor beschreibt die Destabilisierung von außen, die zunächst Afghanistan erlebte. Der Autor beschreibt das Aufpäppeln der Mudjaheddin und der Taliban im Krieg gegen die sowjetischen Truppen im Land, danach die Besetzung durch westliche Truppen ab 2001. Er beschreibt die Destabilisierung des Irak, wobei er den ersten Golfkrieg als Angriff Saddam Husseins auf den Iran im Auftrag der USA beschreibt. Danach schildert er Krieg, Sanktionen, schließlich die Besetzung und den Bürgerkrieg. Danach ist Syrien an der Reihe, wo die USA einen Stellvertreterkrieg initiiert haben, um Assad zu stürzen. Die wesentlichen Quellen des Autors sind Leukefeld und Lüders, also eine Autorin und ein Autor, die deutlich auf Seiten Assads und Putins stehen.

Eine Mitverantwortung der Sowjetunion oder Russlands blendet der Autor aus, für ihn wurde die Sowjetunion in den Einmarsch nach Afghanistan "gelockt", es war eine "Falle" der USA. Die Rolle Assads, des Verursachers der größten Flüchtlingswelle in der Geschichte der Menschheit, blendet der Autor komplett aus. Er sieht weder in Syrien noch im Rest der Welt irgend eine Opposition gegen Assads Diktatur, sondern nur von den USA gesteuerte Gruppen.

in Afrika beschreibt der Autor vor allem die Ausbeutung durch die westliche Welt, durch !IWF und Weltbank, die die einheimische Wirtschaft ruinierten und ruinieren. Er beschreibt die Überschwemmung der Märkte mit subventionierter Überschussproduktion aus der EU und die Deformierung der Wirtschaft durch die Freihandelsabkommen mit der EU. Außerdem beschreibt er das (oft unterschätzte) Problem des Landraubs, international "land grabbing" genannt. Leider lässt er auch hier die Rolle Chinas aus, die ebenfalls oft unterschätzt wird.

Hinsichtlich der zerfallenen Staaten beschreibt er ausführlich die Rolle der USA, verzichtet aber wiederum auf eine genauere Auseinandersetzung mit der Rolle, die Russland spielt: Russland stimmte erst der Intervention in Libyen zu, um anschließend den selbsternannten Militärdiktator Chalifa Haftar, einen ehemaligen Offizier von Gaddafi, zu unterstützen.

Beim Durchgang durch die Herkunftsländer in Mittel- und Südamerika konzentriert sich der Autor auf die mittelamerikanischen Länder, auch weil von dort die meisten Migrantinnen und Migranten kommen. Er listet nicht nur die lange Reihe von US-Interventionen auf, sondern geht auch ausführlich auf die heutigen Freihandelsabkommen ein. Ebenso behandelt er die Folgen der Klimaveränderungen, die zum Beispiel mehr Hurricanes in der Karibik produzieren - auch eine wichtige Fluchtursache, egal ob die Menschen vorher oder hinterher fliehen.

Eine gute und umfassende Darstellung der wichtigsten Fluchtursachen also. Nur bei den Verursachern gibt es wohl aus ideologischen Gründen ganz entscheidende Lücken, die man aber leicht in Gedanken ergänzen kann.


Georg Auernheimer:
Wie Flüchtlinge gemacht werden.
Über Fluchtursachen und Fluchtverursacher.
Papy-Rossa Verlag, Köln 2018, 283 Seiten, 17,90 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 357 - Juni 2018, Seite 62
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2018

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