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GEGENWIND/769: Schwanger ohne Papiere


Gegenwind Nr. 359, August 2018

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Schwanger ohne Papiere: Wenn aus guter Hoffnung Angst wird

von Germaine Adelt


Dass in Deutschland durch den "Nothilfeparagraph" jeder Mensch im Notfall medizinisch behandelt wird, ist bekannt. Dass eine Schwangerschaft und eine Geburt kein Notfall sind, ebenso. Zumindest sollte es nie so sein. Dafür gibt es die Vorsorgeuntersuchungen und Entbindungen unter medizinischer Betreuung.

Allerdings sieht dies für Schwangere ohne Papiere anders aus.


Jede werdende Mutter macht sich gelegentlich Sorgen, ob es ihrem ungeborenen Kind auch gut geht. Für Schwangere ohne Papiere ist es ungleich sorgenvoller. Denn sie können keine der empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Es sei denn sie tragen die Kosten selbst. Für eine planbare medizinische Untersuchung können sie vorab Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beantragen. Dazu braucht es einen Antrag beim Sozialamt, das wiederum den Aufenthaltsstatus der Person an die Ausländerbehörde weitergeben muss, so dass oft eine Abschiebung droht.

"Es ist fast unmöglich diesen Kreis zu durchbrechen", erklärt Germaine Adelt vom MediBüro Kiel. "Hier die Frau, die kein Anrecht auf medizinische Leistungen hat, dort die Schwangerschaft, die voranschreitet oder die Geburt, die dann eben irgendwann einmal naturgemäß los geht. Und so ist man immer in der Ambivalenz", so die Hebamme weiter, "die Unterstützung zu organisieren, ohne den Aufenthaltsstatus der Schwangeren zu gefährden. Oft ist es so, dass die ausländischen Papiere der Frauen in Deutschland erst anerkannt werden müssen oder ganz fehlen. Somit ist eine Krankenversicherung nicht ohne weiteres möglich."

"Das dauert seine Zeit. Wie wir aber alle wissen, hält sich die Natur nicht an diese Regularien", sagt Christoph Krieger aus dem MediBüro Kiel. "Das Kind wird geboren, wenn es soweit ist. Auch, wenn die Behörden für den Antrag noch Wochen oder gar Monate brauchen."

Bis zu sechs Wochen vor der Entbindung können die Frauen abgeschoben werden und dann wieder ab acht Wochen danach. Hinzu kommt auch die Tatsache, dass die Frauen nicht wissen, woher sie Hilfe bekommen können. So werden mögliche Erkrankungen nicht erkannt. Eine enorme Gefahr für Mutter und Kind.

"Nun sind wir hier in Kiel in der glücklichen Lage, die Voruntersuchungen unentgeltlich im hiesigen Gesundheitsamt vornehmen zu lassen", so Adelt, "auch unterstützt uns die Universitätsklinik sehr kulant, wenn es um sichere Geburten geht. Aber viele Frauen wissen das nicht und zudem existiert dieses Problem bundesweit."

Da der II. Bundeskongress aller MediBüros und MediNetze dieses Jahr in Kiel ausgerichtet wurde, nahm das MediBüro Kiel dies zum Anlass und hat als Auftaktveranstaltung eine öffentliche Podiumsdiskussion organisiert. Zu eben jenem Thema. Hochkarätige Gäste aus Politik, Wissenschaft und Praxis waren geladen.

"Ganz besonderes freuten wir uns das PICUM (Plattform for international cooperation on undocumented migrants) auch vertreten war", erzählt Krieger, "und aus europäischer Sicht zu diesem Thema berichtete, exemplarische Versorgungsmodelle, aber auch Hindernisse aufzeigte."

Der anschließende interne Bundeskongress diente dazu, sich vertiefend zu dem Podiumsthema auszutauschen. Aber auch in Workshops alle relevanten Schwerpunkte der bundesweiten Arbeit aller MediBüros und MediNetze zu vertiefen. Ob nun mit rechtlichen, medizinischen, politischen oder strategischen Inhalten. Aber auch um eine Resolution zu verabschieden, die alle Vertreter der anwesenden MediBüros und MediNetze unterzeichneten, um auf dieses Thema öffentlich aufmerksam zu machen.

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Abschlussresolution des 11. Bundeskongresses der Medibüros, Medinetze und Medizinischen Flüchtlingshilfen 2018


Zum 11. Bundeskongress der Medibüros, Medinetze und Medizinischen Flüchtlingshilfen vom 25. bis zum 27. Mai 2018 in Kiel wurde die medizinische Versorgung von Schwangeren ohne Papiere als Schwerpunktthema festgelegt und behandelt. Im Zuge der verschiedenen Veranstaltungen hat sich der Bundeskongress mit Vertreter *innen aus Politik und Praxis mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Basierend auf dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Zugang zur medizinischen Versorgung von Schwangeren ohne Papiere wurde folgende Resolution von den versammelten Medinetzen, Medizinischen Flüchtlingshilfen und Medibüros verfasst.


Die Versammlung stellt fest:
  • Viele der Menschen, die sich mit medizinischen Fragen an die Medibüros, Medinetze und Medizinischen Flüchtlingshilfen wenden, sind Frauen, die in der Schwangerschaft bezogen auf Vor- und Nachsorge sowie die Geburt nicht ausreichend versorgt sind.
  • In der Praxis sind die vom Gesetzgeber vorgesehenen Zugänge zur medizinischen Versorgung zur Vor- und Nachsorge, sowie zu einer adäquaten Entbindung ineffizient, da diese zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen führen können.
  • Frauen sind daher in besonderem Maße von den Restriktionen des Aufenthaltsrechtes bedroht und der Zugang zu den medizinisch erforderlichen Maßnahmen während und nach der Schwangerschaft ist in dieser Zwangslage nicht gesichert.
  • Durch die Unterzeichnung des "Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979" der Vereinten Nationen hat sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 2 und 12 dazu verpflichtet allen Frauen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Zugang zur essentiellen Gesundheitsversorgung im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt, falls notwendig kostenlos zu gewähren.
  • Die derzeitige Gesetzgebung führt dazu, dass Mütter ohne Papiere aus Angst vor Abschiebungen keine Geburtsurkunde für Ihr Kind ausstellen lassen. Dies gefährdet die familiäre Einheit von Mutter und Kind, da die elterliche Sorge nicht dokumentiert ist.

Die Versammlung stellt folgende Forderungen an die Politik:
  1. Die Bundesregierung wird aufgefordert die Gesetzgebung zur Meldepflicht (§ 87/88 AufenthG) von öffentlichen Stellen bis 2020 dahingehend zu überarbeiten, dass Menschen mit unabweisbaren medizinischen Bedarfen - insbesondere im Fall einer Schwangerschaft - ausgenommen sind.
     
  2. Die Bundesregierung muss durch gesetzliche Grundlagen gewährleisten, dass Mütter ohne Papiere ihre Neugeborenen angstfrei und ohne von Abschiebungen bedroht zu sein, beim Standesamt anmelden können.
     
  3. Die Landesregierungen in Deutschland werden aufgefordert, unabhängige Beratungsangebote und Clearingstellen zu schaffen, um Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität mögliche Wege zum Erwerb eines Bleiberechts und zur Integration in die gesundheitliche Regelversorgung aufzuzeigen.
     
  4. Die Kommunen sollen vorhandene wie auch neue Beratungsangebote im Gesundheitsbereich derart gestalten, dass diese anonymisiert oder pseudonymisiert von Menschen ohne Papiere wahrgenommen werden können. Damit soll generell ein Zugang zur Regelversorgung hergestellt werden.

Auf dem 11. Bundeskongress vertretene Medibüros, Medinetze und Medizinischen Flüchtlingshilfen:

Aachen, Berlin, Bonn, Bremen, Dresden, Essen, Freiburg, Gießen, Göttingen, Halle/Saale, Hannover, Jena, Kiel, Leipzig, Lübeck, Magdeburg, Mainz, Mannheim / Heidelberg, Marburg, Nürnberg, Oldenburg, Rhein-Neckar, Rostock, Würzburg.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 359, August 2018, Seite 20-21
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2018

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