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GEGENWIND/794: Buchvorstellung - "10 Tage der Morgenröte", Erinnerungen an Teheran 1979


Gegenwind Nr. 366 - März 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

"10 Tage der Morgenröte"
Erinnerungen an Teheran 1979

von Günther Stamer


Ein Rückblick auf Ereignisse des Jahres 1979 eröffnet dem heutigen Betrachter interessante Erkenntnisse, die helfen können, eine sehr Deutschland zentrierte historische Sichtweise (100 Jahre Novemberrevolution / "Mauerfall" vor 30 Jahren) zumindest zu erweitern. Eine Reihe von Ereignissen von vor vierzig Jahren haben nämlich politische Prozesse in Gang gesetzt, die nachhaltig unsere Gegenwart prägen.


Stellvertretend seien zumindest vier genannt: Mit dem Wahlsieg Margret Thatchers 1979 wurde der "Neoliberalismus" erstmals in einem Land Europas politische Staatsdoktrin und entpuppte sich seither - je nach Sichtweise - als Vor- oder Schreckensbild für politisches Handeln.

8.000 km östlich wurde in der Volksrepublik China auch eine neue ökonomische Doktrin beschlossen. Dort setzte Deng Xiaoping grundlegende Reformen durch, öffnete die chinesische Wirtschaft für den "Westen" und legte damit den Grundstein für Chinas Aufstieg zur größten Exportnation des 21. Jahrhunderts.

Mit der Revolution in Nicaragua begann zwanzig Jahre nach Kuba ein Aufschwung linker Ausbruchsversuche aus der ökonomischen Bevormundung durch den US-Imperialismus in einer ganzen Reihe von Ländern in Lateinamerika. Dass damit allerdings kein unumkehrbarer Prozess in Gang gesetzt wurde, macht ein Blick auf die derzeitige Situation deutlich.

Und nicht zuletzt veränderte sich mit der Revolution im Iran - der Vertreibung des Schahs, der Rückkehr Khomeinis und der Ausrufung der Islamischen Republik - nicht allein die politische Architektur im nahen und mittleren Osten. Im Herbst und Winter 1978 waren an manchen Tagen landesweit bis zu neun Millionen Demonstranten auf der Straße. Zugleich breiteten sich Streiks in zentralen Bereichen der Wirtschaft aus. Historiker gehen davon aus, dass sich noch nie zuvor ein so großer Teil der Bevölkerung direkt an einer Revolution beteiligt hatte. Weder die landesweite Verhängung des Kriegsrechts noch die Ernennung des sozialdemokratisch orientierten Oppositionspolitikers Bachtiar zum Premierminister einer Zivilregierung Anfang 1979 halfen dem Monarchen. Zwei Wochen später floh der Schah Richtung Ägypten und am 1. Februar kehrte Khomeini aus seinem Pariser Exil nach Teheran zurück.

Iranische Revolution aus der Sicht "einfacher Leute"

Über diesen historischen Abschnitt, beginnend mit den "10 Tagen der Morgenröte" - so die Bezeichnung in der gegenwärtigen iranischen Geschichtsschreibung -, die mit der Heimkehr von Ajatollah Khomeini am 1. Februar 1979 begannen, hat der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan jetzt ein Augenzeugenbericht veröffentlicht.

Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, erlebte die Revolution als 22-jähriger Student an der Teheraner Universität. In seinem aktuellen Buch schildert er die iranische Revolution 1978/79 aus der Perspektive "einfacher Leute" in einem Teheraner Wohnviertel. Dabei ist eine Mischung aus Roman, Dokumentation, Erinnerung und Sachbuch entstanden. Wer einen "Revolutionsroman" herkömmlicher Art mit "Guten" und "Bösen" erwartet, wird allerdings nicht auf seine Kosten kommen. Die agierenden fiktiven Figuren treten eindeutig hinten den dargestellten Fakten zurück, sodass über weite Strecken des Buches eine Chronologie der Ereignisse dominiert.

"Für Herr Firuz begann die Islamische Revolution im Iran am 5. November 1978, als sein Sohn Homajun und ein paar Mitstreiter sein Spirituosengeschäft stürmten und Homujan persönlich den ersten Stein in das über die gesamte Breite des Ladens reichende Schaufenster warf. Als Kopf einer Gruppe von Aktivisten fand er sich an jenem Tag, nachdem er reihum in der Nachbarschaft schon die Scheiben aller Bankfilialen zertrümmert hatte, plötzlich mit einem großen Stein in der Hand vor seines Vaters Laden wieder."

Damit beginnen Cheheltans Erinnerungen und sie enden mit der Besetzung der US-Botschaft durch iranische Studenten im November 1979. Über dieses eine Jahr lässt der Autor den Leser an den revolutionären Ereignissen - mal auf der großen politischen Bühne - mal im Kleinen, im Stadtviertel des Autors, teilnehmen.

Auf der großen politischen Bühne fällt ins Auge, dass manches durchaus dem glich, was vor hundert Jahren in Deutschland während der Novemberrevolution auf der revolutionären Tagesordnung stand: So bildeten sich auch im Iran allerorten Räte: Betriebliche Räte, Räte von Arbeitslosen, Räte von Obdachlosen. Insbesondere die Bewegung der Arbeitslosen war im Stadtbild durch Demonstrationen permanent präsent. Anfang Mai demonstrierten dort 500.000 Menschen für Arbeit und Arbeitslosenunterstützung. Im Herbst begann von Seiten der politischen Führung die Diffamierung dieser Bewegung; ihre Anführer wurden als ketzerische Kommunisten und Unruhestifter bezeichnet und ihre Versammlungen attackiert.

Zum anderen traten in neuer Qualität die Frauen auf der politischen Bühne in Erscheinung. Am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, demonstrierten in Teheran bei bitterer Kälte und Schneefall tausende unverschleierte Frauen für ihre Rechte. Aber auch diese Frauenbewegung sah sich bald zunehmenden Angriffen ausgesetzt. "Schleier auf den Kopf, oder Schläge auf den Kopf" lautete die Parole der Gegendemonstrantinnen und sollte bald iranische gesellschaftliche Realität (bis in die Gegenwart) werden.

Als erfreuliches Resultat der Revolution konstatiert der Autor: "Man las wieder Romane und Gedichte, lesehungrige Menschen kauften Bücher. An allen erdenklichen Orten sah man Menschen, die Bücher tütenweise heimwärts trugen. (...) Bücher und Schriften, die zweieinhalb Jahre später massenhaft entsorgt wurden. Werke, deren Eigentümer vielleicht noch keine Gelegenheit gehabt hatten, sie zu lesen."

Der standhafte Papagei

"Unser Stadtviertel nahm Anteil an Ereignissen in der ganzen Stadt, erlebte selbst aber auch Dinge, die sich nirgends sonst hätten zutragen können. Eines Tages tauchte plötzlich ein komischer Papagei bei uns auf. Ein seltsamer Papagei? Ich fragte mich, was so einen komischen Vogel wohl auszeichne. Die Antwort: Er sagt ständig 'Lang lebe der Schah'". Es folgt im Buch nun die Schilderung, wie versucht wird, den Papagei auf die Losung "Es lebe die Islamische Revolution" umzuprogrammieren. Leider offensichtlich, trotz vielfältigster Bemühungen, ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Papagei entzieht sich schließlich der Umerziehungs-Tortur durch die selbstgewählte Flucht in den Tod.

Warum gerade Ajatollah Khomeini?

Amir Hassan Cheheltan beschränkt sich in seinem Buch auf die Schilderung der damaligen Ereignisse im Iran und deutet nur in wenigen Hinweisen auf die gegenwärtige Situation in seinem Land hin.

Die Antwort darauf, warum gerade der Ajatolla nicht nur religiöser, sondern auch politischer Führer einer beispiellos breiten Volksrevolution geworden war, muss der Leser aus anderen Quellen zu ergründen suchen. Am 30. und 31. März 1979 fand ein Referendum über die inhaltliche Neubestimmung und formale Umbenennung Irans als "Islamische Republik" statt. Angeblich stimmten sagenhafte 98,2 Prozent der Vorlage zu. Neben dem Amt des obersten geistlichen und politischen Führers sieht die Verfassung einen paritätisch mit geistlichen und weltlichen Juristen besetzten Wächterrat vor, der die Übereinstimmung der vom Parlament verabschiedeten Gesetzte mit dem Islam gewährleisten soll.

Bereits im ersten Jahr der Revolution ging die religiöse Führung zunehmend repressiv gegen liberale und linke Organisationen vor und verbot populäre Zeitungen. Demonstrationen dagegen wurden von militanten Anhängern Khomeinis angegriffen, die Organisatoren in Haft genommen, Büros der Linken gestürmt und verwüstet. Anfang 1980 griff der Irak den Iran an (Erster Golfkrieg). Den Krieg nutzte Khomeini, die gesellschaftlichen Widersprüche im Land zu verdecken und die nationalen und religiösen Energien gegen den sunnitischen, arabischen Feind zu richten.

Amir Hassan Cheheltan

Amir Hassan Cheheltan, in Teheran gebürtig, absolvierte ein Studium der Elektrotechnik in Großbritannien, nahm anschließend als Soldat am Ersten Golfkrieg teil (Anfang der 80er Jahre). Von 2001 bis 2004 gehörte er dem Vorstand des Iranischen Schriftstellerverbands an. 2009/2010 lebte Amir Hassan Cheheltan in Berlin, seither wieder in Teheran. Bekannt geworden ist Cheheltan durch seine "Teheran Trilogie", auf deutsch zwischen 2009 und 2012 veröffentlicht (Teheran, Revolutionsstraße / Amerikaner töten in Teheran / Teheran, Stadt ohne Himmel). Im Iran erschienen ist bisher nur der letztgenannte Roman in einer stark zensierten Version.


Amir Hassan Cheheltan, Der standhafte Papagei.
Erinnerungen an Teheran 1979.
Matthes & Seitz, Berlin 2018, 197 Seiten, 22,00 EUR

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Quelle:
Gegenwind Nr. 366 - März 2019, Seite 62 - 63
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2019

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