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GEGENWIND/808: Klimaneutral bis 2035


Gegenwind Nr. 368 - Mai 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Freitags für die Zukunft: Klimaneutral bis 2035

von Anna Luther


Mutig fordern die Aktivist*innen von "Fridays for Future" die Maßnahmen ein, die für die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens in Deutschland notwendig sind. Aber der Weg dahin ist nicht leicht: Selbst der Bewegung fällt es schwer, stark, bunt und geeint zu sein.


Und wieder ist Freitag. In Kiel vor dem Landtag versammeln sich am Morgen die ersten Menschen zur Mahnwache. Sie tragen dicke Jacken und Mützen auf dem Kopf. Auf den Stufen vor dem Regierungsgebäude steht ein Lautsprecher, der fast allen zur Verfügung steht. Die schon öfters da waren, kennen die Sprüche von "Fridays for Future" in Deutschland. In vielen davon geht es um den umweltschädlichen Kohleabbau und um die Energiewende.

Ein Junge mit Rucksack schnappt sich den Lautsprecher und ruft hinein:

"Kohlekonzerne!
Baggern in der Ferne.
Zerstören unsere Umwelt.
Nur für'n Batzen Geld.
Worin wir unsere Zukunft sehen?
Erneuerbare Energien!
Das war noch viel zu leise.
Drum wollen wir lauter singen."

Die anderen Menschen auf der Mahnwache singen ihm nach, schauen sich an, lächeln sich zu. Einige kennen sich bereits durch ihr politisches Engagement. Zwischen den Sprechchören entstehen genügend Pausen, um sich auszutauschen und Wissenslücken zu füllen. Ein Taxi fährt vor den Landtag. Eine Politikerin steigt aus und Stimmen werden laut. "Motor aus, Fahrrad fahren, nehmt doch lieber Bus und Bahn!", schreien sie. Sie schaut in die Gesichter und kommt auf die Menge zu.

Manche Politikerinnen und Politiker suchen das Gespräch bei der Mahnwache. Da "Fridays for Future" aber kein Sprachrohr für sie sein will, steht der Lautsprecher für sie nicht zur Verfügung. So finden Einzelgespräche statt. Nicht nur bei den Mahnwachen. Die Organisationsteams von "Fridays for Future" schätzen die Offenheit und treffen sich immer wieder mit Personen aus Politik und Wissenschaft. Sie wissen, dass ihr Weg lang ist. Eine Klimakrise bekommen wir nicht von einem Tag auf den anderen in den Griff.

Reaktionen aus der Politik

In der Politik aber wird der Schulstreik für das Klima nicht überall begrüßt. Der Bundesgesundheitsminister (CDU) Jens Spahn fordert die Schülerinnen und Schüler auf, sich in Parteien zu engagieren. In einem von ihm verfassten Artikel der "Zeit" (Ausgabe vom 28. März 2019) richtet er sich direkt an sie:

"Liebe 'Fridays for Future'-Schülerinnen und Schüler; man kann als junger Mensch etwas verändern und für politischen Fortschritt sorgen. Und ihr habt recht, dafür muss man auch mal laut werden. Aber langfristig reicht das nicht. Veränderung ist immer konkret. Unser Grundgesetz feiert dieses Jahr seinen 70. Geburtstag. Parteien werden dort explizit erwähnt. Ohne sie ist auch heute kein Staat zu machen - und Klimaschutz auch nicht. Macht mit, ihr werdet gebraucht - und seid herzlich willkommen. Bleibt politisch, aber werdet konkret!"

Hat Bundesminister Spahn recht? Sollen Schülerinnen und Schüler neben ihrem Protest auf der Straße, neben Hausaufgaben und Lernen sich auch in Parteien einbringen? Diese Erwartungshaltung könnte zu Überforderung führen. Schließlich macht es durchaus Sinn, dass die Arbeit in der Politik von Erwachsenen übernommen wird und sie bei Amtsantritt ihre vorige Beschäftigung niederlegen. Ein Bundesminister wie Spahn weiß, wie anstrengend und zeitaufwändig sein Job in einer repräsentativen Demokratie wie Deutschland ist. Kann er ernsthaft verlangen, dass Schülerinnen und Schüler seine Aufgabe übernehmen sollen?

Das Bildungsministerium in Kiel ist in seiner Stellungnahme zu Fridays for Future wesentlich vorsichtiger. Die Bildungsministerin Karin Prien ist in derselben Partei wie Jens Spahn Mitglied, nämlich bei der CDU. Zu den Klimastreiks äußerte sie sich wie folgt:

"Grundsätzlich ist das gesellschaftliche Engagement sehr zu begrüßen, und es ist ganz im Sinne einer demokratischen Kultur, dass Menschen ihre Forderungen und Wünsche äußern. Das unterstützen wir auch mit den zahlreichen Aktivitäten und Initiativen, die wir im Rahmen des 'Jahres der politischen Bildung' anbieten. Man kann sich allerdings auch sehr gut außerhalb der Schulzeit engagieren und muss dafür keinen Unterricht versäumen. Im Übrigen sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit wichtige Themen und Teil unserer Fachanforderungen, und es ist mir wichtig, dass diese Fragen auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden."

Prien und Spahn scheinen sehr wohl Verständnis dafür zu haben, dass sich junge Menschen Sorgen um ihre Zukunft machen. Das heißt aber nicht, dass sie ihren Forderungen nachkommen wollen. Vielmehr zeigen beide auf schon bestehende Instrumente hin, die die Klimakrise lösen sollen. Spahn schlägt vor, sich in Parteien zu engagieren, die bis jetzt noch keine erfolgreiche Klimapolitik geleistet haben. Prien weist daraufhin, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit bereits Teil des Schulunterrichts sind.

Wären die bestehenden Instrumente zur Bewältigung der Klimakrise hinreichend sie zu lösen, gäbe es "Fridays for Future" nicht. Vielleicht hat auch deshalb diese globale Bewegung bei vielen Menschen Hoffnung auf Veränderung ausgelöst.

Wer ist bei Fridays for Future dabei?

Andreas Schnor ist 17 Jahre alt. Er besucht die Max-Brauer-Schule in Hamburg. Für ihn ist Klimaschutz ein Thema, das bisher totgeschwiegen wurde. Am 15. März war er trotz Schulferien auf der Straße, um mit Fridays for Future für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren. Und seine Schulnoten? "Meine Mutter hat mich gebeten meine schulischen Leistungen im Auge zu behalten und mit den Lehrerinnen, die mich freitags unterrichten, abzusprechen, in wie weit ich Fehlstunden verkrafte", sagt er.

Der Schüler wünscht sich von den Erwachsenen, dass sie im Alltag bewusster konsumieren und sich darüber klar werden, was ihr Konsum für kommende Generationen bedeutet. "Denn nur wenn wir wissen wo das Problem liegt, können wir etwas ändern." Er selbst ernährt sich vegetarisch und wo es geht vegan. In den Ferien fährt er nicht weit weg in den Urlaub, sondern bleibt in Hamburg und Umgebung.

Viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter achten auf ihr eigenes Handeln. Sie fragen sich, woher das billige Fleisch in den Supermarktregalen kommt, wieso Modelabels den Umweltschutz in anderen Ländern missachten und Wohlhabende nicht auf ihren SUV verzichten können. Aber nicht alle haben die Möglichkeit, sich solche Fragen zu stellen. Die Bewegung von "Fridays for Future" hat in Deutschland einen mehrheitlich akademischen Hintergrund. Sie wollen ein Abi oder sind bereits auf der Uni. Daran ist nichts Verwerfliches. Um möglichst ernstgenommen zu werden, muss "Fridays for Future" aber mehr über das eigene gewohnte Umfeld hinaus.

Die taz-Journalistin Yasmine M'Barek fordert "Fridays for Future" dazu auf, global und divers zu handeln. Sie erinnert daran, dass der Klimawandel ein Produkt der westlichen Konsumgesellschaft ist. Also von uns.

"Die selbstverständliche Politisierung der Jugendlichen ist charakterbildend. Nur: Was kommt danach? Und: Wen nimmt es mit? Das ist der Wunsch und der Appell, den ich bei der Verfolgung dieser Bewegung verspüre. Die Energie, solche politischen Zeichen zu setzen, nicht nur dann, wenn man weiß, dass wir nur elf Jahre Zeit haben. um uns zu retten. Denn in Folge der Kolonialisierung und des Neokolonialismus gibt es Menschen, die nicht das Privileg haben, für solche Dinge auf die Straße gehen zu können."

Das Privileg sich politisch engagieren zu können, deutet auf die prekäre, gefährliche Situation hin, in der wir uns gerade befinden: Auch wenn viele wissen, dass ihr eigenes Handeln schrittweise aber sicher unsere Lebensgrundlagen zerstört, können sie aus verschiedenen Gründen nichts daran ändern. Kinder und Jugendliche verzweifeln an dieser Tatsache nicht, sondern versuchen sie zu ändern. Sie haben Hoffnung.

Was will die Bewegung Fridays for Future in Deutschland?

Jugendmitglieder verschiedener Parteien wie "Die Linke" freut das. Die Parteijugend "solid" in Kiel ist begeistert: "Viel zu lange wurde nur geredet, anstatt den Ankündigungen auch mal Taten folgen zu lassen, dabei sind wir die Generationen, die mit den Folgen dieser 'Aussitzpolitik' noch viele Jahrzehnte leben müssen." Dennoch fällt es dem Jugendverband "solid" schwer, "Fridays for Future" einzuschätzen, da die Bewegung "divers" ist.

"Mit dem übergeordneten Ziel, Klimaschutz zu stärken, identifizieren wir uns und auch die Forderungen der Kieler Proteste, die viel auf Alternativen zum Autoverkehr abzielen, finden sich bei uns wieder."

Wie auch die Stellungnahme von "solid" Kiel zeigt, ist "Fridays for Future" bereits bunt gemischt. Allerdings macht eine Bewältigung der Klimakrise nicht nur die Zusammenarbeit vieler Menschen mit verschiedenen Meinungen notwendig, sondern auch die Zusammenarbeit verschiedener Interessensgruppen wie Minderheiten und ausgebeutete oder unterdrückte Menschen.

Die Einigung für den richtigen Weg ist dabei schwierig, aber nicht unmöglich. Über Monate verhandelte "Fridays for Future" in Deutschland über gemeinsame Forderungen. Stundenlange Telefonkonferenzen: Wer nicht zuhören kann, hat schon verloren.

Vor einigen Wochen konnten sich die über 300 Delegierten der Ortsgruppen nach intensiver Zusammenarbeit mit der Wissenschaft auf Forderungen einigen. Wenn Deutschland als Land seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens leisten will, ist geraten dem Aufruf Folge zu leisten.

Das Pariser Klimaabkommen

Am 12. Dezember 2015 beschlossen 196 Staaten das Pariser Klimaabkommen. Der völkerrechtlich bindende Vertrag soll den Klimawandel bremsen und seine Auswirkungen abfedern. Die Staaten wollen versuchen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu beschränken. Es gilt die Selbstverpflichtung. Deutschland ratifizierte wie viele andere Länder auch das Abkommen im Jahr 2016. Allerdings rebellieren bei der Erreichung des hehren Ziels einige Bundesministerien. Der Abschied von Öl und Gas fällt nicht leicht.

"Fridays for Future" fordert, dass Deutschland bis 2030 aus der Kohleverbrennung aussteigt. Bis Ende 2019 soll ein Viertel der Kohlekraft abgeschaltet werden. Bis 2035 soll Deutschland klimaneutral werden und sich mit 100 Prozent erneuerbare Energien versorgen. Das klingt nach viel Arbeit.

Die Schulzeit neigt sich diesen Freitag dem Ende zu und auch auf der Mahnwache am Kieler Landtag schauen einige auf die Uhr. Noch immer halten sie Plakate in der Hand und stimmen Sprechchöre an. Sobald die Mahnwache um 11:30 Uhr beendet ist, fängt wieder der Alltag an. Und damit die quälenden Entscheidungen, wie wir unser Handeln umwelt- und menschenfreundlicher gestalten können und wollen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 368 - Mai 2019, Seite 4 - 6
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2019

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