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GEGENWIND/826: Rettung für die SPD?


Gegenwind Nr. 372 - September 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Kommentar
Rettung für die SPD?

von Reinhard Pohl


Die SPD hat sich diesmal entschlossen, mehrere Monate mit der Suche nach neuen Vorsitzenden zu verbringen. Das ist nicht nur ein Ergebnis des Desasters bei der Europawahl - direkt anschließend versuchte Andrea Nahles, die im Herbst fälligen Wahlen zum Fraktionsvorstand vorzuziehen, um möglichen GegenkandidatInnen die Zeit zur Vorbereitung zu nehmen. Das kam gar nicht gut an, sie musste zurücktreten.

Und die SPD vergleicht sich immer noch mit der CDU, weil sie sich selbst noch als "Volkspartei" sieht. Und wenn man vergleicht, fällt auf: Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kann, wenn sie Rat bei einer Vorgängerin sucht, zu Angela Merkel gehen. Andere ehemalige Vorsitzende der CDU gibt es nicht. Sucht eine (neue) Vorsitzende der SPD den Rat ihrer Vorgänger, reicht das eigene Wohnzimmer normalerweise nicht aus, um die Vorsitzenden der letzten 20 Jahre einzuladen.

Bei Redaktionsschluss ist noch nicht bekannt, wer alles kandidiert. Fünf bis sieben "Doppelspitzen" sind es bisher, bis zum 1. September können noch einige dazu kommen. Die Idee, eine Doppelspitze zu wählen, ist nicht nur entstanden, weil die Grünen damit erfolgreich waren und sind. Es sind auch die Erfahrungen der letzten 20 Jahre. Oft waren SPD-Vorsitzende auch Fraktionsvorsitzende, und mit einem Rücktritt waren alle Parteiämter verwaist. Bei zwei Personen an der Spitze kann man solche Aussetzer leichter ausgleichen. Übrigens: Die Grünen haben zwei Doppelspitzen, in Fraktion und Partei jeweils eigene. Und, zur Arbeitsbelastung von Finanzminister Scholz: Robert Habeck ist nach seiner Wahl an die Spitze der Partei als Minister zurückgetreten.

Ein Kandidat und zwei Kandidatinnen kommen aus Schleswig-Holstein: Nina Scheer, Simone Lange und Ralf Stegner. Die meisten Kommentatoren geben allen drei kaum Chancen, am bekanntesten und am besten vernetzt ist sicherlich Ralf Stegner. Seine Chancen sind auch dadurch eingeschränkt, dass der Landesverband Schleswig-Holstein sich nicht positionieren Will, weil die Unterstützung eines Kandidaten die Zurückweisung von zwei anderen bedeutet.

Das Kalkül Stegners sollte man aber auch auf der Grundlage seiner Erfahrungen in Schleswig-Holstein beurteilen. Denn das Verfahren auf Bundesebene sieht vor, dass die Kandidierenden sich auf 23 Regionalkonferenzen präsentieren und die Partei dann darüber abstimmt, wen sie will und ob es wirklich eine Doppelspitze wird. Ein ähnliches Verfahren hat Ralf Stegner bereits vor einigen Jahren in Schleswig-Holstein organisiert. Er trat damals als Bewerber um die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl an, gegen den damaligen Oberbürgermeister von Kiel, Torsten Albig. Die Abstimmung in der SPD verlor er, aber als Landesvorsitzender gewann er anschließend mit Spitzenkandidat Torsten Albig die Landtagswahl. Selbst wurde er Fraktionsvorsitzender der stärksten Regierungsfraktion im Dreier-Bündnis mit Grünen und SSW.

Einige in der SPD hoffe, durch die Regionalkonferenzen eine stärkere Aufmerksamkeit für die SPD zu finden, die neuen Vorsitzenden bundesweit bekannt zu machen und 2020 wieder einen Aufschwung zu schaffen. Auch hier sehen sie auf die Grünen, die zwar noch keine Inlandswahlen (nur die Europawahl) gewonnen haben, aber in den Umfragen ihr aktuelles Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl verdreifachen konnten.

Ob die Regionalkonferenzen und die anschließende Abstimmung über die Vorsitzenden der SPD nützen, ist noch nicht ausgemacht. Zur Zeit scheint es, dass in der SPD nur Außenseiter wirklich offen kandidieren, während die Parteiprominenz bis zum letzten Moment im Hinterzimmer abspricht, wer kandidiert oder nicht.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 372 - September 2019, Seite 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2019

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