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GEGENWIND/848: Bekleidungsgesetz oder kein Gesetz? - Anhörung im Landtag


Gegenwind Nr. 376, Januar 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

GESELLSCHAFT
Bekleidungsgesetz oder kein Gesetz?
Anhörung im Landtag

von Reinhard Pohl


Ein paar Semester studierte eine junge Frau an der Uni Kiel Ökotrophologie und trug dabei einen Niqab, auch "Ganzkörperschleier" genannt. Die direkte Umgebung bemerkte es, gewöhnte sich aber schnell daran. Bis Anfang 2019 ein irritierter Dozent die Uni-Leitung fragte, ob die das darf. Die Uni-Leitung schickte eine Rundmail an alle und verbot den Niqab auf dem Uni-Gelände. Und einige sagten dann der Uni-Leitung, dass sie das nicht darf. So begann es.

Im Hochschulgesetz Schleswig-Holstein ist vieles geregelt. Nur nicht, was eine Studentin anziehen muss, um studieren zu dürfen. Nachdem die Uni-Leitung den Niqab verboten hatte und postwendend erfuhr, dass dafür eine gesetzliche Grundlage fehlt, zog sie nicht etwa das Verbot zurück. Vielmehr fragte sie beim Bildungsministerium an, ob eine entsprechende Änderung des Hochschulgesetzes gemacht werden könnte. Das Ministerium zögerte, weil die Koalitionspartner uneins waren: Die Grünen lehnen ein solches Verbot ab.

Das wiederum rief die AfD auf den Plan: Sie legte einen Gesetzentwurf vor und forderte die CDU auf, sich gegen die Grünen durchzusetzen. Die Parteien reagierten hinhaltend: Sie setzten eine schriftliche Anhörung durch, bei der sich über 40 Organisationen äußerten (vgl. Gegenwind 374, Seite 3 bis 14).

Obwohl die schriftliche Anhörung so angekündigt wurde, als gäbe es keine mündliche Anhörung, setzte der Bildungsausschuss jetzt doch für den 5. Dezember eine mündliche Anhörung an.


Anhörung

In fünf Stunden wurden Stellungnahmen von rund 25 Organisationen und Sachverständigen besprochen. Sie traten für jeweils eine Stunde in einer Gruppe auf.

Den Start bildeten die Universität selbst, eingeladen war das Präsidium, der AStA und die Landes-ASten-Konferenz sowie die Beauftragte für Diversität. Die Unileitung sprach sich für eine gesetzliche Regelung aus, konnte aber nicht schlüssig erklären, wie dies durchgesetzt und überwacht werden könnte. Die anderen waren gegen eine gesetzliche Regelung, sprachen sich aber schon teils für eine Regelung aus, zum Beispiel die Einrichtung einer Stelle, bei der solche Konflikte vermittelt und beigelegt werden.

In der zweiten Stunde trat Lutz Berger von den Islamwissenschaften auf, außerdem der Antidiskriminierungsverband, der deutsche Hochschulverband, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die neue Richtervereinigung. Alle sprachen sich gegen ein Gesetz aus, wobei Lutz Berger die geschichtlichen und religiösen Hintergründe der Bekleidung erläuterte.

Im dritten Block kamen Terre des Femmes, der Landesfrauenrat, der Landesverband Frauenberatung und das Aktionsbündnis muslimischer Frauen zu Wort. Terre des Femmes sprach sich für ein Verbot aus, ging aber davon aus, dass der Niqab unter Zwang getragen würde. Die anderen waren gegen ein gesetzliches Verbot, vertraten aber zum Teil Bündnisse, in denen es eine einheitliche Position dazu noch nicht gibt.

Im vierten Block kamen die Kirchen, die jüdischen Gemeinden, die muslimischen Gemeinden, die Aleviten und die Antidiskriminierungsstelle des Landes zu Wort. Sie sprachen sich gegen ein gesetzliches Verbot, teils aber auch gegen den Niqab aus.

Im fünften Block kamen schließlich Dr. Rudolf Steinberg, Dr. Christian Huck und Dr. Melanie Groß, also Professoren der Uni und Fachhochschule zu Wort. Sie sprachen sich gegen ein gesetzliches Verbot aus, wobei Rudolf Steinberg Regelungen für denkbar hielt.

Die Gegnerinnen und Gegner einer gesetzlichen Regelung waren keineswegs für den Niqab. Sie hielten eine gesetzliche Regelung für ein falsches Signal, weil es muslimische Frauen zum Ziel nähme, von denen aber nur eine einzelne einen Niqab trägt - an keiner anderen Hochschule des Landes gibt es ein zweites Beispiel. Mit einem Verbot würde man alle anderen Gruppen und Organisationen zu einer Positionierung drängen, und das könnte zu einer falschen Solidarität mit dem Salafismus führen. Andere meinten auch, der Staat sollte sich grundsätzlich aus der Frage heraushalten, was Frauen anziehen, weil das ein Tabubruch wäre, dem weitere gesetzliche Regelungen folgen könnten. Eine Uni müsste in der Lage sein, derartige Konflikte im Gespräch zu klären - was übrigens in dem einen bekannt gewordenen Fall längst gelungen ist, das ausgesprochene Verbot wird innerhalb der Uni einfach ignoriert.

Einige Frauenrechtlerinnen wandten sich auch dagegen, einen eventuellen Zwang zu einer bestimmten Kleidung damit zu kontern, die Frau von der Bildung auszuschließen. Wenn es Zwang gäbe, müsste sich eine Regierung, ein Parlament und auch eine Uni-Leitung gegen den wenden, der den Zwang ausübt. Im vorliegenden Fall ist diese Diskussion aber künstlich, denn die Studentin wird von ihren Eltern oder wem auch immer zu nichts gezwungen.


Reaktionen

Die AfD erklärte hinterher, es sei gut, dass endlich eine öffentliche Debatte gestartet worden wäre. Die Anhörung selbst, bei der sich fast alle gegen den AfD-Gesetzentwurf gewendet hatten, habe "keine neuen Erkenntnisse" gebracht. Erneut forderte die AfD CDU und FDP auf, sich gegen die Grünen durchzusetzen.

Die FDP forderte als Schlussfolgerung aus der Anhörung eine Klarstellung im Hochschulgesetz, dass die Verantwortung für Bekleidungsvorschriften an die Hochschule delegiert. Die sollte entscheiden, ob ein Verbot gebraucht würde, und es dann auch durchsetzen.

Die Grünen lehnen eine gesetzliche Regelung weiter ab und forderten, der großen Mehrheit der Angehörten zu folgen und nichts im Gesetz zu ergänzen. Ein gesetzliches Verbot wäre kontraproduktiv und verfassungsrechtlich hoch problematisch.

Die CDU fasste zusammen, die Anhörung habe eine große Bandbreite an Meinungen gezeigt. Sie sei unverändert dafür, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um die Vollverschleierung zu verbieten.

Der SSW fasste zusammen, es gäbe eine überwältigende Mehrheit gegen ein gesetzliches Verbot. Die Diskussion müsse aber weiter geführt werden, man dürfe aber nicht Frauen von der Bildung ausschließen.

Die SPD sieht als Ergebnis der Anhörung eine Ablehnung einer gesetzlichen Regelung, Praktische Probleme gäbe es nicht, nur ein Unbehagen einzelner Dozenten. Die könnte man anders lösen als durch eine Gesetzgebung, zum Beispiel durch einen Verhaltenskodex nach Hamburger Muster.


Wie weiter?

Der Landtag wird irgendwann weiter über den Gesetzentwurf der AfD beraten und ihn letztlich ablehnen, denn ein Niqab-Verbot will niemand. Es ginge eben höchstens um eine Grundlage für eine Uni-Regelung. Ob es eine Veränderung des Hochschulgesetzes geben wird, ist natürlich unklar, aber momentan gibt es im Landtag keine Mehrheit dafür.

Der Bundesgesetzgeber hat übrigens im November 2019, unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Verhüllung des Gesichtes in der Hauptverhandlung verboten. Einzelne Richter können allerdings Ausnahmen zulassen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 376, Januar 2020, Seite 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2020

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