Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/2311: Die Verantwortung der Linkspartei für Kochs Comeback in Hessen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Die Verantwortung der Linkspartei für Kochs Comeback in Hessen

Von Helmut Arens und Ulrich Rippert
8. Januar 2009


In Hessen wird am 18. Januar zum zweiten Mal binnen Jahresfrist der Landtag neu gewählt. CDU-Ministerpräsident Roland Koch, der vor einem Jahr eine herbe Wahlniederlage erlitten hatte, kann nun auf ein Comeback hoffen.

Umfragen sagen einer Koalition von CDU und FDP eine klare Mehrheit voraus. Koch, der 1999 erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt wurde und seit einem Jahr ohne parlamentarische Mehrheit regiert, könnte damit weitere vier Jahre im Amt bleiben. Ein schwarz-gelber Wahlsieg in Hessen gilt zudem als wichtige Vorentscheidung für die Bundestagswahl im September, wo Union und FDP ebenfalls auf eine Mehrheit hoffen.

Wie ist zu erklären, dass der CDU-Rechte Koch, der gestützt auf eine ausländerfeindliche Kampagne an die Spitze der hessischen Regierung gelangte und immer wieder die Empörung breiter Bevölkerungsschichten auf sich zog, so lange im Amt bleiben kann?

Meist wird das taktische Ungeschick der hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti dafür verantwortlich gemacht. Sie hatte im Wahlkampf eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen, um dann - als das Wahlergebnis dies zuließ - eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Unterstützung der Linkspartei anzustreben.

Der rechte Parteiflügel, der eine Zusammenarbeit mit Kochs CDU vorzog, berief sich auf diesen "Wortbruch" und vereitelte die Wahl Ypsilantis in letzter Minute, als der Koalitionsvertrag bereits unterzeichnet und mehrere Probeabstimmungen positiv ausgegangen waren. Als Folge werden der SPD nun zweistellige Verluste und das schlechteste Wahlergebnis in der hessischen Geschichte vorausgesagt.

Auch in der Linkspartei toben heftige innere Kämpfe. Mehrere Mitglieder sind ausgetreten. Es ist nicht sicher, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde bei der anstehenden Wahl erneut überwinden wird. Die Linkspartei macht ebenfalls die SPD für das Wahldebakel verantwortlich. Sie wirft ihr Unzuverlässigkeit und "schlechtes Partei-Management" vor.

Doch die Probleme in Hessen begannen nicht erst mit dem Scheitern des rot-grün-roten Regierungsbündnisses, sondern mit dem Versuch es zu bilden. Und dafür trägt vor allem die Linkspartei selbst die Verantwortung. Sie hat alles getan, um die wachsende Opposition gegen Sozialabbau und Bildungsmisere, die schließlich zu Kochs Wahlniederlage führte, der SPD unterzuordnen. Und dies, obwohl für die soziale Misere nicht nur Koch verantwortlich ist, sondern ebenso die SPD und die Grünen.

Hessen ist ein warnendes Beispiel dafür, wohin eine Politik führt, die eine unabhängige Orientierung der Arbeiterklasse mit der Begründung ablehnt, man müsse die SPD als "kleineres Übel" unterstützen.

Schon im Wahlkampf vor einem Jahr hatte Die Linke ihre Bereitschaft erklärt, Ypsilanti in Wiesbaden zur Ministerpräsidentin zu wählen und eine rot-grüne Minderheitsregierung zu unterstützen. Während der Koalitionsverhandlungen stellte sie dann einem künftigen rot-grünen Haushalt wiederholt einen Blankoscheck aus. Sie tat dies auch noch, als sich ein Haushaltsloch von 1,5 Milliarden Euro auftat und Ypsilanti einen drastischen Sparhaushalt ankündigte.

Selbst als die Finanz- und Wirtschaftskrise schon die Bankentürme in Frankfurt erschütterte und Ypsilanti zu erkennen gab, dass sie ihre Politik in enger Absprache mit den Wirtschaftsverbänden entwickeln werde, hielt die Linkspartei an ihrer Nibelungentreue zur SPD fest. Unermüdlich behauptete sie, es sei möglich, im Bündnis mit der SPD mehr "Chancengleichheit" und "soziale Gerechtigkeit" zu verwirklichen.

Sie polemisierte gegen Hartz IV und die Agenda 2010, wohl wissend, dass die SPD im Bündnis mit den Grünen diese Gesetze selbst verabschiedet hat. Die Schröder-Fischer-Regierung hatte sich damals gebrüstet, sie habe den "Reform-Stau" der Regierung Kohl überwunden und den Sozialstaat im Interesse der Wirtschaft "reformiert". Der verheerende soziale Niedergang, der seit Jahren anhält und viele Menschen in bittere Armut treibt, ist ein Ergebnis rot-grüner Sozial- und Wirtschaftspolitik. Trotzdem behauptete die Linkspartei, eine rot-grüne Landesregierung in Wiesbaden wäre ein Fortschritt.

Die Entscheidung von vier abtrünnigen SPD-Abgeordneten, das rot-grün-rote Regierungsbündnis zu stoppen, verkürzte lediglich einen Prozess, den auch die Regierungspolitik von Ypsilanti & Co. in relativ kurzer Zeit in Gang gesetzt hätte. Eine rot-grüne Regierung in Wiesbaden wäre kein Deut besser gewesen, als die Schröder-Fischer-Regierung in Berlin. Der Inhalt ihrer Politik hätten die Banken und Konzerne unter den Bedingungen einer sich rasant verschärfenden Wirtschaftskrise bestimmt. Die Wähler hätten sich enttäuscht abgewandt, und rechte Kräfte hätten von dieser Enttäuschung profitieren können.

Die Linke hätte diesen rechten Kurs vorbehaltlos mitgetragen. Schon ein Blick über die Landesgrenze zeigt, wie ihre Praxis in Ländern aussieht, in denen sie oder ihre Vorgängerin PDS mitregiert haben. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern hat Die Linke die Interessen der Reichen und Mächtigen zuverlässig gegen die arbeitende Bevölkerung verteidigt. In Berlin, wo die Linke gemeinsam mit der SPD seit fast acht Jahren den Senat bildet, sind Zehntausende öffentliche Stellen abgebaut und zum Ausgleich 35.000 Ein-Euro-Jobs geschaffen worden. Außerdem wird in der Hauptstadt an den Unis und Kitas gespart, die Lehrmittelfreiheit abgeschafft und das Polizeigesetz verschärft.

Trotzdem hält Die Linke auch im aktuellen Hessenwahlkampf daran fest, die SPD zu unterstützen.

Auf dem Wahlparteitag der Linkspartei, der Ende November in Flörsheim tagte, ließen es die Delegierten zunächst nicht an wortreicher Empörung über die Finanzkrise, die Verelendung der Bevölkerung im Allgemeinen und den Verrat der SPD im Besonderen fehlen. In großspurigen Reden betonten sie, nach dem Scheitern von Rot-Grün-Rot könne die Linke endlich wieder "befreit für ihr eigenes Profil in den Wahlkampf ziehen" (Fraktionschef Willi van Ooyen) und "wirklich einen antikapitalistischen Wahlkampf" führen (Fraktionsvize Janine Wissler).

Doch diese Reden hinderten die Delegierten nicht daran, am Schluss des Parteitags mehrheitlich die gleiche Politik zu verabschieden wie bisher. Nachdem sie auf dem Parteitag zwei Tage lang gegen die SPD gewettert und dem Kapitalismus den "Kampf" angesagt hatten, brachte Willi van Ooyen die Perspektive der Linken lapidar auf den Punkt: "Wir werden die SPD weiter nach links drücken und den Druck auf diese Partei verstärken, um eine andere Politik in Hessen umzusetzen."

An diesem Credo - man müsse nur genügend Druck auf die SPD ausüben - hält Die Linke auch in ihrer Wahlzeitung fest: "Je erfolgreicher die Linke für soziale Gerechtigkeit ... streitet, desto größer wird der Druck auf die SPD, wieder sozialdemokratisch zu werden", heißt es da in einer Erklärung, die von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi unterzeichnet ist.

Dieses Credo ist in doppelter Hinsicht falsch. Erstens hat die SPD immer wieder bewiesen, dass sie auf Druck von unten nicht mit einer Linksentwicklung, sondern mit verstärken Attacken auf soziale und demokratische Rechte reagiert. Und zweitens reagiert auch die Linkspartei selbst auf die Wirtschaftskrise mit einer deutlichen Rechtsentwicklung. Lafontaines ausdrückliche Unterstützung für das Bankenrettungsprogramm der Großen Koalition ist in dieser Hinsicht symptomatisch.

Auch ein anderes Ereignis auf dem Wahlparteitag in Flörsheim zeigte die Entschlossenheit der Linken, die bestehende Ordnung zu verteidigen. Als ein Delegierter den Vorschlag wagte, gegen die drohenden Kürzungen und Stellenstreichungen beim Autokonzern Opel notfalls mit einer Werksbesetzung zu kämpfen, wurde sein Antrag rasch und entschlossen niedergeschlagen. Stattdessen unterstützt die Linkspartei die sozialpartnerschaftliche Politik der Gewerkschaft und der Betriebsräte bei Opel. Diese haben einer Kreditzusage Kochs an den Konzern zugestimmt, obwohl sie an drastische Lohnsenkungen und Verschlechterungen für die Arbeiter gekoppelt ist.

Der gegenwärtige Wahlkampf zeigt unmissverständlich, welche Rolle die Linkspartei spielt. Sie ist nichts weiter als eine Hilfstruppe für die SPD. Oskar Lafontaine hat diese Partei geschaffen, um die Sozialdemokratie zu retten und am Leben zu erhalten. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, Arbeiter und Jugendliche an die Sozialdemokratie und durch sie an das kapitalistische System zu binden und zu verhindern, dass sie sich einer unabhängigen sozialistischen Perspektive zuwenden.

In Hessen kann man sehen, wie durch diese Politik rechte Kräfte gestärkt werden und politisch Oberwasser behalten. Unter Bedingungen der schnellen Entwicklung der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise beinhaltet das sehr große Gefahren für die Arbeiterklasse. Der CDU-Rechte Koch kann sich dank der bankrotten Politik von SPD und Linkspartei an der Macht halten. Davor hatte die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) schon vor einem Jahr gewarnt.

"Wir weisen die Argumente der Linkspartei, die sich als Steigbügelhalter der SPD anbietet, entschieden zurück", heißt es im damaligen Wahlaufruf der PSG. "Der globale Kapitalismus lässt keine sozialen Reformen mehr zu. Wer, wie die Linkspartei, das Gegenteil behauptet, täuscht und belügt die Wähler. Die Zeiten, in denen man die soziale Lage verbessern konnte, ohne die kapitalistische Grundlage der Gesellschaft in Frage zu stellen, sind längst vorbei. Nur eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft kann Armut, Arbeitslosigkeit und Kriegsgefahr überwinden und die enormen Möglichkeiten der modernen Technik zum Wohl der ganzen Menschheit nutzen."

Siehe auch:
Wahlaufruf der Partei für Soziale Gleichheit zur
Hessenwahl 2008: Für eine sozialistische Antwort auf
die soziale Katastrophe (21. Dezember 2007)

Lafontaine unterstützt 700-Milliarden-Geschenk an
Wallstreet (26. September 2008)

Gibt es in der Bevölkerung einen Linksruck? Ein
Briefwechsel zum Ergebnis der Hessenwahl
(8. Februar 2008)

Abschaffung der Studiengebühren im Hessischen Landtag
- Ein zweifelhaftes "Geschenk" auf Zeit (19. Juni 2008)

Lehren aus Hessen: Die Linkspartei und das Debakel
der SPD (7. November 2008)

Berliner Verkehrsarbeiterstreik: Linkspartei attackiert
streikende BVG-Beschäftigte (13. März 2008)


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2009 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 08.01.2009
Die Verantwortung der Linkspartei für Kochs Comeback in Hessen
http://wsws.org/de/2008/jan2009/hess-j08.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009