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GLEICHHEIT/2435: Wirtschaftskrise bringt Ungarns Regierung zu Fall


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)

Wirtschaftskrise bringt Ungarns Regierung zu Fall

Von Markus Salzmann
28. März 2009


Ferenc Gyurcsany, Chef der regierenden Sozialistischen Partei (MSZP), kündigte am vergangenen Wochenende auf einem Parteitag der MSZP seinen Rücktritt vom Amt des Regierungschefs an. Dieser Schritt war eine direkte Reaktion auf die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Ungarn konnte zuvor nur durch 25 Milliarden Dollar des Internationalen Währungsfonds vor dem Staatsbankrott bewahrt werden. Vor wenigen Tagen kündigte das Land an, bis Ende des Monats weitere Kredite in Höhe von rund zwei Milliarden Euro abzurufen.

Die sich rapide verschlechternde wirtschaftliche Situation sorgt gerade in Osteuropa zunehmend für politische Unruhe. Anfang des Monats zerbrach bereits die Regierung Lettlands und nur wenige Tage nach Gyurcsanys Rücktritt wurde die tschechische Regierung von Mirek Topolanek durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt. Zahlreiche Länder in der Region wurden darüber hinaus in den letzten Monaten von heftigen Protesten und Demonstrationen erschüttert.

Der Zusammenbruch der Regierung in Budapest kam nicht sehr überraschend. Gyurcsanys Regierung ist die wohl unpopulärste des Landes seit der Wende vor zwanzig Jahren. Jüngste Umfragen sahen seine Partei nur noch bei rund 18 Prozent der Stimmen. Vor etwa einem Jahr verließen die Freien Demokraten (SZDSZ) nach heftigen Auseinandersetzungen über den künftigen Regierungskurs Gyurcsanys Mitte-Links-Koalition. Seither war die Regierung bei allen Entscheidungen auf Stimmen aus den Oppositionsparteien angewiesen und quasi handlungsunfähig.

Den endgültigen Zorn der Bevölkerung zog sich die MSZP dann Anfang des Jahres zu, als im Zuge des Hilfspakets des IWF die Regierung ihnen Sparkurs weiter verschärfte. Ein Teil der 13. Monatsrenten wurde gekürzt, und das 13. Monatsgehalt wird für einen Großteil der öffentlich Bediensteten gestrichen. 70.000 öffentliche Bedienstete, darunter Lehrer, Ärzte und Beamte waren betroffen. Im Januar fielen die Bruttolöhne durchschnittlich um 5,2 Prozent. Um mehr Geld in die Kassen zu bekommen, beschloss die Regierung, die Mehrwertsteuer um drei Prozent auf 23 Prozent anzuheben. Steuern auf Alkohol und Tabak stiegen ebenfalls.

Gleichzeitig wurden die Banken des Landes mit großen Summen gestützt. Die beiden größten Finanzinstitute des Landes, die Sparkasse OTP und die Hypothekenbank FHB, die mehrheitlich der deutschen Allianz-Gruppe gehört, erhielten Finanzspritzen in Höhe von 520 Milliarden Forint (1,73 Milliarden Euro).

Grund für den Rücktritt des Regierungschef war nicht nur der wachsende Unmut der Bevölkerung gegen ihn, sondern auch Wirtschaftskreise waren unzufrieden mit der ihrer Ansicht nach zögerlichen Reaktion auf die ökonomische Lage.

Bis vor einem Jahr galt Ungarn noch als baldiger Beitrittskandidat zum Euro. Nach dem Willen der Regierung sollte dies 2010 der Fall sein. Inzwischen ist die Währung dramatisch abgesackt. Das hat sowohl Auswirkungen auf den Staatshaushalt wie auch auf die Kreditwürdigkeit des Donaulandes. Die Finanzierung der Auslandsschulden von rund acht Billionen Forint (26 Milliarden Euro) ist seither allein durch die Währungsentwicklung um umgerechnet drei Milliarden Euro teurer geworden. Das Wirtschaftswachstum im Jahr 2008 war mit 0,6 Prozent so niedrig wie seit 15 Jahren nicht mehr. Der Produktionsrückgang in der Industrie betrug im Januar im Vergleich zum Vorjahr 23 Prozent.

Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass die Wirtschaft insgesamt in diesem Jahr um rund 5 Prozent schrumpfen wird. Gebeutelt werden inzwischen auch bislang stabile Branchen wie die Bauindustrie. Laut Statistik sind 90 Prozent aller Großprojekte am Bau derzeit auf Eis gelegt.

Offiziell wird die Zahl fauler Kredite, die die Banken belasten, mit drei Prozent angegeben, eine Zahl die weit von der Wirklichkeit entfernt ist. Experten schätzen die tatsächliche Prozentzahl drei Mal so hoch ein und ein Rückgang ist nicht in Sicht. Derzeit werden ungarische Staatsanleihen von den großen Rating-Agenturen mit A3 oder BBB bewertet. Beides deutet auf eine weitere Abstufung in der Zukunft hin. In diesem Fall würde Ungarns Bonität auf dasselbe Niveau wie das von Südafrika oder Mexiko fallen.

Gyurcsanys Rücktritt dienst deshalb vor allem dem Ziel, den Weg frei zu machen für eine Regierung, die mit ausreichender parlamentarischer Mehrheit ausgestattet, rücksichtslos die Interessen der europäischen Banken und Konzerne angesichts der Krise vertritt und dabei eine Konfrontation mit der Bevölkerung nicht scheut. Regulär stehen die Parlamentswahlen im Frühjahr nächsten Jahres an.

Gegenwärtig gibt es darüber scharfe Auseinandersetzungen zwischen Gyurcsany und Staatspräsident Laszlo Solyom. Letzterer drängt, wie auch die Opposition, auf Neuwahlen. Der konservative Solyom hatte bereits im Herbst 2006, nach den Unruhen im Gefolge von Gyurcsanys "Lügenrede" - der Premier hatte damals zugegeben, vor der Parlamentswahl gelogen zu haben -, den damaligen Regierungschef zum Rücktritt drängen wollen.

Doch gerade die Wirtschaft steht Neuwahlen skeptisch gegenüber. Diese könnten mit einem deutlichen Sieg rechts-konservativer und nationalistischer Kräfte enden, denen ein harter Reformkurs von Wirtschaftskreisen nicht zugetraut wird. "Einen Regierungschef ohne ausreichende Ambitionen und politische Unterstützung zu wählen, um den fiskalen Sparkurs fortzusetzen, der für die internationale Unterstützung nötig ist, würde sich negativ auf die Ratings von Ungarn auswirken", erklärte die Ratingagentur Fitch dazu.

Deshalb setzen sich MSZP und die Liberalen für die Installierung einer "Expertenregierung" ein, die dann von einer Mehrheit des Parlamentes unterstützt werden soll.

Nachdem der ehemalige Notenbankchef György Surányi eine Nominierung abgelehnt hat, haben die besten Aussichten eine solche Regierung zu führen derzeit die Ex-Finanzminister Lajos Bokros und László Békesi.

Besonders Bokros ist kein Unbekannter. Als Finanzminister in den Neunziger Jahren setzte er ein nach ihm benanntes Sparpaket durch, dass radikal die soziale Sicherung beschnitt, die Privatisierung der Staatsbetriebe forcierte und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen ließ.

Bekesi ist ein Vertreter des so genannten Reformbündnisses, die erst vor Kurzem ein Programm vorlegten, dass massive Steuersenkungen für Unternehmen beinhaltet. Gleichzeitig sollen die öffentlichen Ausgaben für Sozialen, Kultur und Bildung quasi auf Null reduziert werden.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 28.03.2009
Wirtschaftskrise bringt Ungarns Regierung zu Fall
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2009