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GLEICHHEIT/2981: Europäische Union über Griechenlandkrise gespalten


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäische Union über Griechenlandkrise gespalten

Von Stefan Steinberg
25. März 2010
aus dem Englischen (23. März 2010)


Die griechische Schuldenkrise hat tiefe Bruchlinien in der Europäischen Union offengelegt und entzweit besonders die Kerngruppe der sechzehn Eurozonenländer.

Am Donnerstag werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel zu einem Gipfeltreffen zusammenkommen. Im Zentrum des Gipfels wird zweifelsohne die griechische Haushaltskrise stehen.

Am vergangenen Freitag forderte Kommissionspräsident José Manuel Barroso die EU-Spitzenpolitiker auf, diese Woche eine Übereinkunft zur Griechenlandkrise zu treffen. Er warnte, andauernde Ungewissheit könne die Finanzmärkte in Unruhe versetzen.

Zwei Tage später gab Kanzlerin Merkel im Radio ein Interview, in dem sie erklärte, Griechenland habe die EU nicht um Geld gebeten. Sie wollte damit sagen, dass es keine besondere Dringlichkeit gebe, einen Bailout-Plan zu beschließen. Ein solcher Plan würde der PASOK-Regierung die Zeichnung von neuen Schuldobligationen in Milliarde Höhe erleichtern, mit denen sie die in den nächsten Monaten fälligen Schuldscheine einlösen könnte.

Merkel sagte, ihres Wissens stehe die Griechenlandkrise nicht einmal auf der Tagesordnung des EU-Gipfels.

Die Äußerungen der Kanzlerin sind umso provokativer, als der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou öffentlich darauf hingewiesen hat, dass sein Land möglicherweise seinen Schuldendienst nicht mehr leisten könnte, wenn der EU-Gipfel keinen Rettungsplan beschließen sollte. Die Folge wäre nämlich, dass die dann einsetzende internationale Spekulation gegen griechische Staatspapiere die Kreditkosten für Griechenland so hoch treiben würde, dass die Einsparungen durch die drakonischen Kürzungsprogramme wieder aufgefressen würden.

Griechische Politiker beschwerten sich lautstark, die EU habe unter deutschem Druck von der sozialdemokratischen Regierung weitgehende Angriffe auf Arbeitsplätze, Renten, Löhne und Sozialleistungen verlangt, was zu erbittertem Widerstand der Arbeiterklasse geführt habe. Jetzt weigere sich die EU, im Gegenzug finanzielle Rückendeckung zu geben.

Papandreou drohte, wenn die EU nicht handle, werde er sich an den Internationalen Währungsfond wenden, in dem die USA das Sagen haben. Das solle Griechenland ruhig tun, konterten deutsche Politiker. Dies belastet jedoch die Beziehungen zu Frankreich und anderen EU-Ländern, die eine Intervention des IWF ablehnen.

Die französische Finanzministerin Christine Lagarde äußerte kürzlich, Deutschland trage eine gewisse Mitschuld an der Krise anderer europäischer Länder, und riet Berlin, die Binnennachfrage zu fördern, um den kriselnden Exportindustrien seiner Partnerländer unter die Arme zu greifen. Lagardes Zumutungen wurden von Kanzlerin Merkel ein paar Tage später zurückgewiesen.

Viel steht auf dem Spiel. In einer Kolumne in der Financial Times vom Montag erläutert Wolfgang Münchau zwei mögliche Ergebnisse des EU-Gipfels in Brüssel. Entweder können sich die Regierungschefs nicht einigen, oder die anderen europäischen Länder unterwerfen sich der "erschreckenden deutschen Agenda" mit "ihren strikteren Regeln und der gefürchteten Exit-Klausel, mit deren Hilfe ein Land gegen seinen Willen aus der Eurozone gedrängt werden kann".

Münchau schließt: "Aber beide Ergebnisse würden den Anfang vom Ende der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion bedeuten, wie wir sie kennen. Das ist die historische Bedeutung von Frau Merkels Entscheidung."

Die Folgen der Wirtschaftspolitik Deutschlands für seine europäischen Nachbarn werden in einem Papier mit dem Titel "Krise der Eurozone: Auf Kosten deiner selbst und der Nachbarn" beschrieben, das kürzlich von der Forschungsgruppe Research on Money and Finance (RMF) veröffentlicht wurde.

In der Einführung schreiben die Autoren: "Der EU-Linie folgend, ziehen sich die Länder der Eurozone gegenseitig herunter, ermutigen Flexibilität, Lohnzurückhaltung und Teilzeitarbeit. Die Arbeit hat in der Eurozone gegen das Kapital verloren.

Deutschland hat das Rennen gewonnen, da es seine Arbeiter nach der Wiedervereinigung kräftig ausgequetscht hat. In der Eurozone haben sich die Zahlungsbilanzüberschüsse auf der Seite Deutschlands verfestigt und werden von den entsprechenden Defiziten peripherer Länder finanziert. Deutschland hat die Währungsunion auf Kosten seiner Nachbarn zu seinen Gunsten genutzt, aber gleichzeitig auch auf Kosten seiner eigenen Arbeiter."

Deutschland hat auf der Grundlage seiner boomenden Exportindustrie hohe Zahlungsbilanzüberschüsse angehäuft. Zweidrittel der deutschen Exporte gehen in die Eurozone und 75 Prozent in die EU. Diese Überschüsse werden dann für ausländische Direktinvestitionen und Bankkredite an Partner der Eurozone verwendet, die damit deutsche Waren importieren.

Der Zufluss von Investitionen aus den USA, Deutschland, Großbritannien und anderen großen europäischen Ländern hat dazu beigetragen, Immobilienblasen wie in Spanien und Irland und einen Konsumboom zu produzieren. Nicht anders als in Griechenland und Portugal, geht dieser Boom mit hoher privater Verschuldung einher.

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat diesen Prozess vorangetrieben. Auch der RMF-Bericht bestätigt, dass die Einrichtungen der Eurozone mehr als nur eine technische Funktion haben: "Sie spielen eine wichtige soziale und politische Rolle. Sie vertreten die Interessen des Finanzkapitals, indem sie die Inflation niedrig halten, Liberalisierung fördern und in Krisenzeiten Rettungsschirme bereitstellen.... Und nicht zuletzt fördern sie die Beherrschung der Eurozone durch Deutschland auf Kosten der peripheren Länder."

Zuerst hat die deutsche Regierung andere Länder ermutigt, hohe Kredite aufzunehmen und ihre Verschuldung zu erhöhen, um deutsche Waren zu kaufen, und jetzt weigern sich die deutsche Regierung und die Banken empört, Griechenland zu Hilfe zu kommen, und blockieren praktisch alle Maßnahmen, die dem Land ermöglichen würden, dem Bankrott zu entgehen.

Deutsche Politiker und Teile der Medien führen eine chauvinistische Hetzkampagne und machen die griechischen Arbeiter für die Krise verantwortlich. Sie fordern von der griechischen Regierung, die Kürzungsmaßnahmen zu verschärfen und die Bevölkerung Griechenlands für die Krise zur Kasse zu bitten.

Die Botschaft aus Berlin an die griechische Regierung lautet: Geht doch bankrott und akzeptiert hohe Geldstrafen und einen Rauswurf aus der Eurozone!

Die chauvinistische Politik der deutschen Regierung hat die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Opposition und der Gewerkschaften. Die rot-grüne Regierung hat von 1998 bis 2005 in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Instrumente zur Senkung der Arbeitskosten und einen riesigen Billiglohnsektor eingeführt.

Diese Periode war vom Standpunkt der Wirtschaft und der Banken ein Erfolg. Das ist einer der Gründe, warum manche heute die zerstrittene FDP-CDU-Koalition durch eine Regierung ersetzen möchten, an der sich die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften oder die Grünen beteiligen würden.

Dem aufflackernden Chauvinismus in Deutschland stehen nationalistische Reaktionen anderer europäischer Nachbarn in nichts nach. Aber trotz tiefer Meinungsverschiedenheiten stimmen führende europäische Länder in einem zentralen Punkt überein: Die Arbeiterklasse muss die Kosten der Krise tragen.

Der jüngste Ausbruch von nationalem Egoismus droht die Europäische Union zu zerreißen und treibt Europa immer stärker in einen Konflikt mit seinem wichtigsten Rivalen jenseits des Atlantiks, den Vereinigten Staaten.

Die transatlantischen Beziehungen der Nachkriegszeit zerbrechen. Sie bildeten die Grundlage für relative Stabilität und Prosperität in der westlichen Hemisphäre. Die einst mächtigen Vereinigten Staaten befinden sich in einem rapiden wirtschaftlichen Niedergang. Der Dreh- und Angelpunkt der politischen und militärischen transatlantischen Allianz - die gemeinsame Front im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion - ist verschwunden, als die stalinistischen Länder verschwanden. Deutschland ist nach Jahrzehnten der Teilung wiedervereinigt und versucht, die Politik in Europa zu bestimmen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten vor zwanzig Jahren waren die französischen und britischen Staats- und Regierungschefs von der Aussicht auf ein wiedervereinigtes Deutschland schockiert. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl erinnert sich in seinen Memoiren, dass die britische Premierministerin Margret Thatcher sich führenden Regierungsmitgliedern gegenüber bei einem offiziellen Dinner mit den Worten beschwerte: "Wir haben die Deutschen zweimal geschlagen, und jetzt sind sie doch wieder da."

Der französische Präsident François Mitterand teilte Thatchers Befürchtungen. Bei einem Abendessen im Elysée-Palast sprach Mitterand gegenüber Thatcher die Warnung aus, die Wiedervereinigung werde Deutschland in Europa mehr Einfluss verschaffen, als Hitler jemals gehabt habe.

Das wiedervereinigte Deutschland versuchte die Befürchtungen seiner europäischen Nachbarn mit einem großen Zugeständnis zu beschwichtigen. Berlin erklärte sich bereit, auf seine Währung, die D-Mark, zu verzichten, und stimmte mit der Einführung des Euro einer stärkeren Integration seiner Wirtschaft in die Europäische Union zu.

Am 1. Januar 1999 wurde der Euro eingeführt, und heute ist er die offizielle Währung von sechzehn europäischen Ländern. Griechenland trat der Eurozone Anfang 2001 bei. Als Bedingung für die Aufgabe seiner eigenen Währung verlangte Deutschland strikte Kriterien für die Haushaltsführung in Euroland. Keinem Mitgliedsland sollte erlaubt sein, ein höheres Haushaltsdefizit als drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts zu haben.

Seit dem Finanzkrach von 2008-09 wird in ganz Europa geklagt, dass die Strategie, den Einfluss Deutschlands durch die Einführung des Euro unter Kontrolle zu halten, schwer gescheitert sei. Deutschland nützt sein Gewicht als größte Volkswirtschaft des Kontinents immer stärker dazu aus, eine vorherrschende Position zu erringen.

Siehe auch:
Rettungsplan für Griechenland entzweit Europa
(20. März 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/mar2010/grie-m20.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 25.03.2010
Europäische Union über Griechenlandkrise gespalten
http://wsws.org/de/2010/mar2010/grie-m25.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2010