Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3125: Unübersehbare Differenzen am Vorabend des G-20-Gipfels


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Unübersehbare Differenzen am Vorabend des G-20-Gipfels

Von Nick Beams
25. Juni 2010
aus dem Englischen (24. Juni 2010)


Im Vorfeld des G-20-Gipfels, der am Wochenende in Toronto stattfindet, treten erhebliche Differenzen zwischen den kapitalistischen Großmächten immer deutlicher zutage.

Die Meinungsverschiedenheiten drehen sich vor allem um die fortgesetzte Rolle steuerlicher Anreize zur Ankurbelung des wirtschaftlichen Wachstums und die Forderung der USA, Länder mit großen Exportüberschüssen - insbesondere China und Deutschland - sollten mehr tun, um den heimischen Konsum zu fördern und so die globale Nachfrage anzufachen.

Während Washington und Berlin in den letzten Tagen versucht haben, den Konflikt herunterzuspielen, damit der Gipfel in den Worten eines Berichts nicht in "gegenseitigem Anbrüllen" endet, bleiben die Differenzen tief und unübersehbar.

Zum ersten Mal wurden sie beim Treffen der G-20-Finanzminister am 4. und 5. Juni sichtbar, als das Abschlusskommunique entgegen anfänglichen Erwartungen die Notwendigkeit der Eingrenzung der Regierungsverschuldung betonte, statt sich für staatliche Maßnahmen zur Stimulierung des wirtschaftlichen Wachstums einzusetzen. Der veränderte Ton spiegelte die Auswirkungen der staatlichen Schuldenkrise in Europa wider, die eine noch ernstere Finanzkrise als die nach dem Lehmann-Zusammenbruch auszulösen drohte.

Die "Euro-Krise" wurde von den europäischen Regierungen als Handlungsanweisung der Finanzmärkte verstanden. Man durfte nicht länger damit warten, die massiven Schuldenberge, die man sich nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im September 2008 eingehandelt hatte, abzutragen. Eine Reihe von Sparprogrammen, deren Ziel es ist, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse drastisch zu verschlechtern, musste sofort auf den Weg gebracht werden.

Diese Wende allerdings weckte bei der Obama-Administration Sorgen, dass das Austrocknen europäischer Märkte die eigenen Bemühungen, Amerikas wirtschaftliche Position über das Ankurbeln seiner Exporte wiederherzustellen, gefährden könnte. In einem ersten Brief äußerte sich Finanzminister Timothy Geithner besorgt, dass "politische Anpassungen" in Europa "die wirtschaftliche Erholung abwürgen könnten". Präsident Obama wandte sich letzte Woche in einem Brief an die Führer der G-20 und wies "der Gewährleistung und der Stärkung der wirtschaftlichen Erholung" in Toronto höchste Priorität zu.

"Eine starke und dauerhafte globale Erholung muss auf ausgewogener globaler Nachfrage basieren", schrieb er. "Unter den Wirtschaften der G-20 gibt es unübersehbare Schwächen. Vor allem die schwache private Nachfrage und die andauernde Exportabhängigkeit einiger Länder mit ohnehin hohen Exportüberschüssen machen mir Sorgen... In Pittsburgh (beim G-20-Treffen im September 2009) hatten wir uns darauf geeinigt, dass Länder mit Exportüberschüssen inländische Wachstumsquellen stärken sollten."

Diese Bemerkungen bezogen sich direkt auf Deutschland und China, die zwei führenden Exportnationen der Welt. China antwortete, indem es am 19. Juni erklärte, eine flexiblere Währungspolitik zu verfolgen und dem Yuan eine Aufwertung gegenüber dem Dollar zu erlauben, womit es einer seit langem gestellten Forderung amerikanischer Regierungen nachkam. Mit dem Zulassen einer begrenzten Neubewertung seiner Währung versucht das chinesische Regime, sich in Toronto aus der Schusslinie zu bringen.

Bei der Regierung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel erzeugte der Obama-Brief eine andere Reaktion. Sie und ihre Minister verteidigten öffentlich die Entscheidung ihrer Regierung, ein Sparprogramm in Höhe von 80 Milliarden Euro über die nächsten vier Jahre durchzusetzen.

In einem Gespräch mit Journalisten sagte Merkel am Montag: "Wenn wir kein nachhaltiges Wachstum, sondern nur eine Art Strohfeuer erzeugen, werden wir dafür mit einer weiteren Krise bezahlen." Finanzminister Schäuble unterstützte Merkel mit den Worten: "Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass exzessive Staatsschulden nicht nur in Europa (eine kaum verhüllte Anspielung auf die USA) eine der Hauptursachen dieser Krise sind. Deshalb müssen sie reduziert werden." Schäuble wies die unausgesprochene Kritik, Deutschland halte sich nicht an Abmachungen, die in Pittsburgh getroffen wurden, zurück. Er betonte: "Wir werden uns der internationalen Debatte stellen und ich denke, wir können das mit einem kräftigen Selbstbewusstsein tun."

Der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle war sogar noch direkter. Er sagte, es sei "für die Stabilität des Geldes absolut notwendig, dass öffentliche Haushalte wieder ausgeglichen werden. Dies ist etwas, das wir unseren amerikanischen Freunden sagen sollten".

Unterstützt wurde die deutsche Regierung vom Präsidenten der europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet. In einer Rede vorm europäischen Parlament machte er am Montagabend klar, dass die Sparprogramme von den Erfordernissen der Finanzmärkte getrieben würden. Einschnitte bei den Regierungsausgaben wären notwendig, um das Vertrauen wieder herzustellen. Er sprach von einer Haushaltspolitik, "die man von einem bestimmten Gesichtspunkt aus restriktiv nennen kann, die aber in Wahrheit eine Politik ist, die wir vertrauenbildend nennen können. Wenn sich öffentliche Finanzen auf einem unhaltbaren Weg befänden, "werden Investoren wissen, dass es für sie schwierig wird, Renditen zu erzielen."

Wenn man auch erwartet, dass das Treffen in Toronto ohne direkte Konfrontation - zumindest nicht in der Öffentlichkeit - stattfinden wird, werden die verborgenen Differenzen nicht beseitigt werden.

In einem Interview mit der Financial Times wies Dan Price, ein ehemaliger G-20-Unterhändler der Bush-Administration auf das wachsende Auseinanderklaffen der Großmächte hin. "Die Einheit der G 20, Kennzeichen und Quelle der Effektivität vergangener Gipfel, beginnt zu zerfasern, während die Länder zunehmend eigene Wege einschlagen", sagte er. "Vor keinem anderen G-20-Treffen haben so viele Führer so viele Briefe geschrieben, um auf die Versäumnisse anderer Länder hinzuweisen."

Was auch immer das direkte Ergebnis des Gipfels sein mag, die Konflikte werden sich mit Sicherheit verstärken. In einem am 15. Juni veröffentlichten Kommentar - einem von vielen, die auf die Gefahren zu schneller staatlicher Sparmaßnahmen hinweisen - warnte Martin Wolf, Kolumnist der Financial Times davor, dass die Transformation der Eurozone in ein "Großdeutschland" als ein Akt merkantilistischer Kriegsführung gegen die USA angesehen werden würde. Wie viel länger würden letztere sich mit der Heuchelei von Überschussländern abfinden, die Schuldnern Defizite vorwerfen, die ihre eigenen Überschüsse unausweichlich machen? Nicht allzu viel länger, würde ich vermuten..."

Immer auf der Suche nach der "goldenen Mitte" im vergeblichen Glauben, der Kapitalismus könne vernünftig funktionieren, wenn nur die Weltführer zur Vernunft kämen, verlangte Wolf Maßnahmen, um auf kurze Sicht starkes Wachstum zu garantieren, während man die riesigen Defizite auf lange Sicht im Zaum hält.

Schlussendlich aber sind die Differenzen nicht das Ergebnis der Unfähigkeit von Regierungen, vernünftige Politik zu machen. Sie drücken vielmehr die fundamentalen und unlösbaren objektiven Widersprüche des globalen kapitalistischen Systems aus - vor allem jene zwischen der Weltwirtschaft als Ganzer und dem System einzelner Nationalstaaten. Angesichts der Krise versucht jede kapitalistische Macht, ihre eigene Stellung im Kampf um Märkte und Profite auf Kosten ihrer Rivalen zu stärken, was zu einem Kampf jeder gegen jeden führt

Das heißt, dass die Wortgefechte, die dem G-20-Gipfel an diesem Wochenende vorangehen, Platz machen werden für weitaus ernstere wirtschaftliche und sogar militärische Konflikte.

Siehe auch:
G-20 empfiehlt Wendung um 180 Grad: von Konjunktur-
zu Sparmaßnahmen (11. Juni 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/jun2010/g20-j11.shtml


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 25.06.2010
Unübersehbare Differenzen am Vorabend des G-20-Gipfels
http://wsws.org/de/2010/jun2010/g20-j25.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2010