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GLEICHHEIT/3349: Jeder zehnte Erwachsene ist stark verschuldet


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Jeder zehnte Erwachsene ist stark verschuldet

Von Elisabeth Zimmermann
10. November 2010


Letzte Woche hat der Wirtschaftsauskunftsdienst Creditreform den neuen Schuldneratlas für das Jahr 2010 vorgestellt. Die Zahl der überschuldeten Bürger in Deutschland ist erstmals seit 2007 wieder angestiegen, und zwar um fast 300.000 Personen gegenüber dem Vorjahr. Dies entspricht einem Anstieg um 4,7 Prozent auf insgesamt 6,5 Millionen Menschen, das sind 9,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Fast jeder zehnte Erwachsene befindet sich damit in der Schuldenfalle.

Als überschuldet gilt, wer nachhaltig in Zahlungsschwierigkeiten steckt und seine Schulden in absehbarer Zeit nicht begleichen kann, oder anders ausgedrückt, wenn die Einnahmen niedriger sind als die regulären Ausgaben und Zahlungsverpflichtungen.

Insgesamt schulden die Bürger in Deutschland ihren Gläubigern 239 Milliarden Euro. 229 Milliarden Euro davon entfallen auf Verbraucher-Kredite. Vor allem junge Menschen geraten immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil der 18- bis 20-Jährigen mit massiven Geldproblemen um 38 Prozent auf 197.000.

Der Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen, den prekären, meist zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen und den geringen Einstiegslöhnen und -gehältern für Berufsanfänger liegt auf der Hand. Eine zeitgleich mit dem Schuldneratlas vorgestellte Studie des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) stellt dazu fest: "Der Rückgang an Normalarbeitsverhältnissen trifft besonders die Generation der Berufseinsteiger."

Nach wie vor sind es vor allem Männer, die große finanzielle Schwierigkeiten haben. Aber der Anteil der betroffenen Frauen ist im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf 39 Prozent gestiegen. Laut Creditreform-Vorstand Helmut Rödl liegt das daran, "dass Frauen häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten - als Leiharbeiter oder in Teilzeitjobs". Während der Krise hätten viele ihren Job verloren oder seien finanziell herabgestuft worden. Vor allem Alleinerziehende stehen oft vor unlösbaren finanziellen Problemen.

Das Problem der Überschuldung ist in allen Bundesländern gewachsen, wenn auch mit deutlichen regionalen Unterschieden. Die geringsten Schuldnerquoten haben Bayern (7,1 Prozent), Baden-Württemberg (7,5 Prozent), Sachsen (8,4 Prozent) und Thüringen (8,7 Prozent), die höchsten Bremen (14,1 Prozent), Berlin (12,7 Prozent) und Sachsen-Anhalt (11,9 Prozent). In den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland liegt die Überschuldungsquote zwischen 10 und 11 Prozent.

Besonders hoch ist die Überschuldung in Städten, die vom Niedergang oder der Stilllegung ganzer Industriezweige betroffen sind. So weist Halle, in der DDR ein Zentrum der chemischen Industrie, eine Verschuldungsquote von 16,3 Prozent auf. Im Ruhrgebiet, dem einstigen Zentrum der westdeutschen Kohle- und Stahlindustrie, kommen Gelsenkirchen auf 15,4, Duisburg auf 14,6 und Dortmund auf 13,4 Prozent. Spitzenreiter sind Wuppertal mit 17,8 und Bremerhaven mit 18,5 Prozent.

Überraschenderweise ist die Überschuldungsquote in Ostdeutschland trotz höherer Arbeitslosigkeit und Armut nicht höher als in Westdeutschland. Creditreform-Vorstand Rödl erklärt das mit einem vermehrten Konsumverzicht, der zu einem deutlichen Abbau der Überschuldung im Osten der Republik geführt habe. Private Haushalte im Westen hätten dagegen tendenziell mehr Schulden über einen längeren Zeitraum angehäuft, in der Hoffnung auf stabile Einkommen, eine Hoffnung, die sich in den letzten Jahren immer seltener erfüllte.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland zwar hinter Ländern wie Großbritannien und den USA zurück, wo 13,8 bzw. 17,4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung überschuldet sind. Aber auch in Deutschland ist die Lage bereits dramatisch, und Creditreform rechnet selbst bei einem anhaltenden Wirtschaftswachstum, das angesichts der internationalen Entwicklung keineswegs gesichert ist, mit einem weiteren Anstieg der privaten Überschuldung.

Das Institut verweist dabei auf die Entwicklung der überschuldeten Privatpersonen in den vergangenen Jahren. Deren Zahl hatte bereits 2004 6,5 Millionen betragen und war bis 2007 auf 7,3 Millionen gestiegen. Bis 2009 ging sie dann auf 6,2 Millionen zurück, bevor sie in diesem Jahr erneut auf 6,5 Millionen anstieg.

Grund für den Anstieg in den Jahren 2004 bis 2007 waren neben der hohen Arbeitslosigkeit die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung und das damit verbundene explosionsartige Anwachsen des Niedriglohnsektors. Während die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse wuchs, reichten die erzielten Einkommen nicht für die Bestreitung der Lebenshaltungskosten aus.

Das gerade beschlossene Sparprogramm der Bundesregierung wird die Probleme der armen und ärmsten Bevölkerungsschichten erneut weiter verschärfen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.11.2010
Jeder zehnte Erwachsene ist stark verschuldet
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2010