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GLEICHHEIT/3385: Das Ende von Schwarz-Grün in Hamburg


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Das Ende von Schwarz-Grün in Hamburg

Von Dietmar Henning
2. Dezember 2010


Am vergangenen Sonntag kündigten die Hamburger Grünen Deutschlands erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene auf. Die Grün-Alternative Liste (GAL), so nennen sich die Grünen in der Elbmetropole, luden am Sonntagmittag zu einer Pressekonferenz, auf der die Landes-Parteispitzen das Aus für die Koalition bekannt gaben. Inhaltliche Gründe nannten die zweite Bürgermeisterin und Schulsenatorin Christa Goetsch, Umweltsenatorin Anja Hajduk, Justizsenator Till Steffen sowie Grünen-Landeschefin Katharina Fegebank zunächst nicht. "Der gemeinsame Geist und die große Verlässlichkeit, die diese Koalition bis zum Sommer getragen haben, sind verflogen", gab Fegebank zu Protokoll. Christa Goetsch sprach von "Missmanagement". "Anlass für die Entscheidung ist der fünfte Rücktritt eines Senatsmitgliedes binnen weniger Monate", ergänzte der Fraktionsvorsitzende Jens Kerstan.

Doch die wahren Gründe für die Entscheidung der Grünen, das Bündnis mit der CDU zu verlassen, liegen vorwiegend in der Bundespolitik und stehen im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen in der CDU und der Vorbereitung auf sieben Landtagswahlen im kommenden Jahr.

Als im Frühjahr 2008 die erste schwarz-grüne Landesregierung in Hamburg aus der Taufe gehoben wurde, war das Bestandteil einer schwarz-grünen Euphorie. "Selbstverständlich wird die Hamburger Koalition - entgegen aller Dementis - das entscheidende Vorbild für den Bund sein", triumphierte damals Joschka Fischer. Der ehemalige grüne Außenminister, der bei den Grünen trotz seines Rückzugs aus der aktiven Politik nach wie vor Einfluss hat, betonte seinerzeit: "Eine erfolgreiche schwarz-grüne Koalition in Hamburg wird die politische Landschaft der Bundesrepublik grundsätzlich verändern." Viele in der CDU pflichteten ihm damals bei.

Doch dann veränderten sich die politischen Verhältnisse schnell. Der Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers löste im September 2008 die größte internationale Finanzkrise seit den zwanziger Jahren aus, die sich seitdem ständig verschärft hat. Im darauf folgenden Winter verabschiedete die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU ein 500-Milliarden-Bankenrettungspaket, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) in gleichlautenden Erklärungen als alternativlos bezeichneten.

Bei den Bundestagswahlen im September 2009 verloren beide Regierungsparteien massiv an Stimmen und konnten die Koalition nicht fortsetzen. Das neue Regierungsbündnis von Union und FDP wurde von den Wirtschaftsverbänden und großen Teilen der Medien bald als zu schwach kritisiert, um die von den Banken geforderten Sozialkürzungen durchzusetzen. Zu sehr bringt vor allem die Arroganz und offensichtliche Klientelpolitik der FDP die Bevölkerung gegen sie auf. Unter diesen Bedingungen nahmen die Konflikte in den Unionsparteien zu. Der Kurs der CDU-Chefin, die Partei mit Orientierung auf das städtische Großbürgertum zu "modernisieren", stieß auf Widerstand des klerikalen und konservativen Parteiflügels. Mit Friedrich Merz, Roland Koch und Günther Öttinger - um nur einige zu nennen - verweigerten mehrere Vertreter des rechten Flügels Merkel die Gefolgschaft. Um die Partei zusammenzuhalten, versuchte Merkel, es allen in der CDU recht zu machen. Programmatisch übernahm sie Standpunkte der Rechten, machte den Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig und sprach sich scharf gegen eine Koalition mit den Grünen aus, während sie wichtige Führungsämter mit Anhängern einer schwarz-grünen Zusammenarbeit - wie Umweltminister Norbert Röttgen und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen - besetzte. Doch dieser Spagat ist nicht von Dauer.

Angesichts der Zerrissenheit der CDU setzen führende Vertreter der herrschenden Elite auf eine rot-grüne Regierung. Schließlich hatte die Regierung Schröder-Fischer in den Jahren 1998 bis 2005 aus Sicht der Wirtschaft höchst erfolgreich die Sozialausgaben zusammengestrichen und einen Niedriglohnsektor eingeführt.

Die Entscheidung der Hamburger Grünen, die Koalition mit der CDU aufzukündigen, steht in diesem Zusammenhang. Neuwahlen sollen bereits im Februar stattfinden. Die Hamburg-Wahlen werden damit den Auftakt zu sechs weiteren Landtagswahlen im kommenden Jahr bilden. Umfragen zeigen derzeit einen deutlichen Vorsprung für Rot-Grün. SPD und Grüne kommen laut dem am Mittwoch veröffentlichten ZDF-Politbarometer in der Hansestadt zusammen auf 62 Prozent (SPD 41, Grüne 21), während die CDU auf 22 Prozent abgesackt ist.

Die Hamburger Neuwahl kommt auch der SPD sehr gelegen. "Bis zum Wochenende war den SPD-Strategen vor dem Start ins Jahr 2011 angst und bange", schreibt Spiegel Online. Sie fürchteten die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März und wenig später womöglich ein Debakel in Baden-Württemberg, wo sie laut Umfragen deutlich hinter den Grünen liegt. "Jetzt könnte das Jahr der sieben Landtagswahlen plötzlich mit einem Sieg beginnen."

Wenn in Baden-Württemberg die über fünfzigjährige Herrschaft der CDU gebrochen wird, wären wohl auch die Tage von Kanzlerin Merkel gezählt. Die Hamburger Entscheidung der Grünen zielt also direkt auf einen Wechsel im Kanzleramt.

Was von einer rot-grünen Regierung auf Landes- und Bundesebene zu erwarten ist, haben nicht zuletzt die Hamburger Grünen deutlich gemacht. Es gab keine Kröte, die sie nicht geschluckt hätten, um das Bündnis mit der CDU aufrecht zu erhalten. Ihre Wahlversprechen, den Stopp des Kohlekraftwerks Moorburg und die Verhinderung der Elbvertiefung, ließen sie gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen fallen. Sie unterschieden sich inhaltlich und programmatisch in keiner Weise von der CDU und verpflichteten sich bei ihrem Regierungseintritt, jährlich 500 Millionen Euro im Haushalt einzusparen. Auch jetzt bestehen sie auf der "Konsolidierung des Haushalts".

Die Behauptung der Grün-Alternative Liste, ihr Austritt aus der Koalition sei eine Reaktion auf die Korruptionsvorwürfe und die Rücktritte von CDU-Senatoren, ist vorgeschoben. Der jüngste Rücktritt von Finanzsenator Carsten Frigge kam keineswegs so überraschend, wie die GAL-Sprecher behaupten. Als Frigge Ende März mit den Stimmen der Grünen zum Finanzsenator gewählt wurde, waren die Vorwürfe gegen ihn längst bekannt.

Frigge trat Ende November nach nur acht Amtsmonaten zurück, weil gegen seine Beratungsfirma C4 Consulting wegen des Verdachts der Beihilfe zur Untreue und der illegalen Finanzierung der rheinland-pfälzischen CDU ermittelt wird. Der Verdacht der Untreue speist sich aus der Beteiligung des Finanzsenators an einer Firma, deren Geschäftsführer einen Beratungsvertrag mit der zu 85 Prozent in Besitz der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg befindlichen HSH Nordbank hatte. Der Mann kassierte dafür 5.600 Euro pro Tag, bei sieben Garantietagen pro Monat.

Laut Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) hatten sich die Grünen noch Mitte letzter Woche erfreut über seine Wahl des Frigge-Nachfolgers gezeigt, den CDU-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse. Er ist Geschäftsführer der "Schutzgemeinschaft Deutscher Wald" und hatte im Bundestag als Abweichler gegen die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gestimmt.

Auch der Grund, den Justizsenator Steffen am Sonntag nannte, nämlich das lange Festhalten der CDU am Vorsitzenden der landeseigenen HSH-Nordbank Dirk Jens Nonnenmacher, dürfte in den Augen der Grünen eine vorgeschobene Lappalie sein. Hamburg und Schleswig-Holstein haben der maroden Bank nämlich 13 bzw. 18 Prozent ihres gesamten Jahreshaushalts als Finanzspritze zur Verfügung gestellt, mit den Stimmen der GAL.

Gegen die Unterstützung der Banken, die hohe Bezahlung der Bankmanager und die Abwälzung der Kosten auf die Bevölkerung hatten die Grünen nichts einzuwenden. So haben sie einen parlamentarischen Antrag, der die Gehälter der Manager der HSH-Nordbank ab 2012 weiter auf eine halbe Million Euro jährlich begrenzen und die Auszahlung von Boni verhindern wollte, gemeinsam mit den Stimmen der CDU abgelehnt.

Es gibt buchstäblich nichts Fortschrittliches, das aus der grünen Regierungszeit Bestand hätte. Selbst das grüne Fahrradverleihsystem der Hansestadt wird nicht von Dauer sein.

Die Grünen schließen selbstverständlich auch nicht gänzlich die Türe zu neuerlichen Bündnissen mit der CDU. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte dem Hamburger Abendblatt: "In Hamburg haben wir die Konsequenz aus der zunehmenden Regierungsunfähigkeit der CDU von Herrn Ahlhaus gezogen. Ich halte es aber für unangemessen, daraus Lehrsätze abzuleiten für den Rest der Republik."

Ähnlich äußerte sich auch die Bundestagsfraktionsvorsitzende Renate Künast: "Wir müssen jetzt aber auf Landesebene nicht die Türen (zur CDU) zuschlagen, obwohl die Wahrscheinlichkeiten sinken." Der hessische Grünen-Landeschef Tarek Al-Wazir sagte: "Sofort bundespolitische Ableitungen zu ziehen, wäre falsch. Wir dürfen uns jetzt nicht wieder zum Anhängsel der SPD machen." Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, vehementer Verteidiger von schwarz-grünen Bündnissen, sagte der Tageszeitung (taz), man brauche für Schwarz-Grün einen "liberalen Querdenker" von der Union. Der war Ahlhaus zweifelsfrei nicht.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.12.2010
Das Ende von Schwarz-Grün in Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2010