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GLEICHHEIT/3679: Italienische Kommunalwahlen - Schwere Niederlage für Berlusconi


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italienische Kommunalwahlen: Schwere Niederlage für Berlusconi

Von Marianne Arens
1. Juni 2011


Die italienische Regierungskoalition von Premier Silvio Berlusconi hat bei den Kommunalwahlen eine herbe Niederlage erlitten. Unter anderem verlor sie das Bürgermeisteramt in Mailand, der Finanzmetropole und Heimatstadt Berlusconis, in der sein Aufstieg begann.

Dort lag der vom Mitte-Links-Lager unterstützte Giuliano Pisapia mit 55 Prozent zehn Punkte vor Letizia Moratti (45 Prozent), der bisherigen Bürgermeisterin, die der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PDL) angehört. Das Ergebnis hatte sich schon in der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen abgezeichnet.

Die Bedeutung von Pisapias Sieg geht über Mailand hinaus. Mehrere Zeitungen schrieben nach dem ersten Wahlgang, er könnte der Beginn vom Ende der Berlusconi-Ära sein. "Der Wind aus dem Norden hat gedreht. Das Ergebnis hat nationale Bedeutung", schrieb zum Beispiel der Zürcher Tagesanzeiger, der den Wahlsieger Pisapia mit den Worten zitiert: "Danke Mailand. Jetzt können wir die Wende wirklich herbeiführen." Andere Schlagzeilen lauteten: "Silvio k.o." oder "Ohrfeige für die Regierung".

Nicht nur Mailand, auch andere Städte wie zum Beispiel Bologna, Turin und Cagliari gingen von der Regierungskoalition an die Opposition. In Turin löste Piero Fassino, ein führender Politiker der Demokratischen Partei (PD), den bisherigen PDL-Bürgermeister im ersten Wahlgang ab. Die Demokraten gewannen auch in Arcore nördlich von Mailand, wo Berlusconi seine Residenz hat.

In Neapel gewann der Staatsanwalt Luigi de Magistris von der Partei Italien der Werte (IDV) in der Stichwahl gegen den PDL-Kandidaten. IDV ist vom ehemaligen Korruptionsermittler Antonio di Pietro gegründet worden. Auch dies ist eine deutliche Niederlage für Berlusconi, der die italienische Justiz regelmäßig als "Krebsgeschwür" tituliert hat.

Berlusconi selbst hatte die Wahl in Mailand zum Referendum über seine Politik erklärt. Er kandidierte auch selbst für den Gemeinderat. Doch während er in den Parlamentswahlen vor fünf Jahren in Mailand noch über 53.000 Stimmen erzielt hatte, wählten ihn dieses Mal nur noch halb so viele, nämlich 28.000 Mailänder.

Berlusconi hatte sich mit aggressiven Tönen in den Mailänder Wahlkampf eingemischt. Nach dem ersten Wahlgang schwieg er einige Tage, ehe er kurz vor der Stichwahl erneut mit einem hysterischen Appell an alle Mailänder "Mitbürger" reagierte. Sie sollten die Stadt nicht der "extremen Linken" überlassen, sonst würde Mailand an die Islamisten fallen und zur "Zigeunerstadt voller Roma-Lager" werden. Mit Pisapia als Bürgermeister würden über Mailand bald rote Fahnen mit Hammer und Sichel wehen; die Stadt werde das "Stalingrad Italiens" sein.

Giuliano Pisapia verdankt seinen Wahlsieg vor allem den massiven Stimmenverlusten der Regierungspartei PDL. Hatte sie bei den Mailänder Kommunalwahlen 2006 noch fast 46 Prozent der Stimmen erreicht, kam sie dieses Mal im ersten Wahlgang nur noch auf 28,7 Prozent.

Auch die separatistische Lega Nord, Berlusconis bisheriger Bündnispartner, erreichte bei den Wahlen in der lombardischen Hauptstadt nur 9,6 Prozent, das sind fünf Prozent weniger als bei den Kommunalwahlen vor fünf Jahren. Die Stadt Novara, bisher eine Hochburg der Lega Nord, ging an die Demokratische Partei. In Varese konnte ihr Kandidat im ersten Wahlgang nicht gewinnen, sondern musste in die Stichwahl. In Turin sank ihre Unterstützung von über zehn Prozent auf unter sieben Prozent.

Umberto Bossi, Chef der Lega Nord, geht offenbar auf Distanz zum bisherigen Koalitionspartner. Vor der Stichwahl rührte die Lega in Mailand kaum einen Finger für Berlusconis Kandidatin Moratti. In mehreren norditalienischen Kommunen kandidierte die Partei nicht gemeinsam mit der PDL. Viele Lega-Anhänger forderten in Internet-Kommentaren den Bruch der Koalition.

Schon vor einem Monat, als Berlusconi die aktive Teilnahme Italiens am Libyen-Krieg bekannt gab, hatte sich die Lega Nord quergestellt und gedroht, die Regierung platzen zu lassen. Sie begründete dies mit chauvinistischen und ausländerfeindlichen Argumenten. Umberto Bossi warf Berlusconi vor, Italien im Schlepptau Frankreichs in den Krieg zu zerren und damit zu riskieren, dass Italien von Flüchtlingen aus Afrika überschwemmt würde.

Bei genauer Betrachtung ist das Mailänder Wahlergebnis keine Bestätigung für die Demokratische Partei. Deren Vorsitzender, Pierluigi Bersani, hatte einem anderen Kandidaten, Stefano Boeri, den Vorzug gegeben. Pisapia gewann in den Vorwahlen überraschend das Votum der Wählerbasis und wurde dann vor allem von der Partei Nichi Vendolas, Linke, Ökologie und Freiheit (SEL), unterstützt. Er wurde von den Wählern nicht in erster Linie als Vertreter der offiziellen Opposition, sondern als eine Art "neues Gesicht" gesehen.

Pisapia hatte als Rechtsanwalt prominente Fälle verteidigt, was ihm in Mailand ein linkes Image verschaffte. So hatte er die Verteidigung von Abdullah Öcalan übernommen, als dieser in Italien verhaftet wurde. Später vertrat Pisapia die Familie von Carlo Giuliano vor Gericht, dem Jugendlichen, der beim G8-Gipfel von Genua 2001 getötet worden war.

Pisapia gilt als "links", weil er sich bisher keiner Partei angeschlossen hat. Er ist jedoch keineswegs ein politischer Außenseiter. Seit 1996 saß er mehrmals als Unabhängiger im Parlament, zum Teil auf der Liste von Rifondazione Comunista. Von 2006-2008 arbeitete er als Rechtsberater in der Justizkommission für Romano Prodis Regierung. Insbesondere unterstützte er Prodis Renten-"Reform".

Mit Romano Prodi verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit. Als Prodi noch Präsident der Staatsholding IRI war und 1985 begann, Staatsbesitz zu privatisieren, verkaufte er den staatlichen Nahrungsmittelkonzern SME an den Unternehmer De Benedetti, Berlusconis Kontrahenten. Der Deal wurde später von Berlusconi vor Gericht gezerrt, wobei Pisapia Prodi in seiner Funktion als Rechtsanwalt von De Benedetti entlastete.

Prodi hatte sich vor der Wahl ausdrücklich für Pisapia ausgesprochen und gesagt: "Er ist eine Person, den ich schätze und zu würdigen weiß, und mit dem mich ein Gefühl der Freundschaft und der Dankbarkeit verbindet. Ich erinnere mich besonders an seine Fähigkeit, während meiner Regierung zwischen heiklen und schwierigen politischen Positionen zu vermitteln."

Berlusconis Niederlage in Mailand drückt eine widersprüchliche Entwicklung aus. Zunächst bringt das Wahlergebnis das Bedürfnis der Bevölkerung zum Ausdruck, der Regierung eine Absage zu erteilen und eine politische Veränderung herbeizuführen, um die Lage zu verbessern.

Jeder vierte Italiener gilt der Statistikbehörde Istat zufolge als arm. Eine neue Untersuchung über Jugendarbeitslosigkeit zeigt, dass von den 18- bis 29-Jährigen im Norden nur jeder zweite eine feste Arbeit hat, während im Süden nur drei von zehn Jugendlichen Arbeit haben. Was die Rentner angeht, so liegt jede zweite staatliche Rente unter 500 Euro im Monat. Achtzig Prozent der Rentner erhalten weniger als tausend Euro im Monat. Das sind erschreckende Zahlen, die auf ein gewaltiges Ausmaß an grassierender Armut schließen lassen.

Die Situation vieler Arbeiter ist in wachsendem Maß unerträglich. Der neue Tarifvertrag bei Fiat, der die Löhne, Arbeitsbedingungen und Rechte der Arbeiter massiv verschlechtert, dient jetzt vielen italienischen Unternehmern als Modell. So gibt es zurzeit einen Arbeitskampf beim Kaffeehersteller Lavazza in Turin, der ebenfalls angekündigt hat, einen neuen Akkordvertrag einzuführen, um Arbeitskräfte einzusparen.

In Genua kam es vor einer Woche zu offenen Auseinandersetzung zwischen Arbeitern der Schiffswerft Fincantieri und der Polizei. Grund war, dass Fincantieri, die größte, vom Staat kontrollierte Schiffswerft Italiens, 2.550 Arbeitsplätze streichen und drei Werke schließen will. Als ein Teil der Belegschaft vor die Präfektur von Genua zog, kam es zu einer Straßenschlacht mit mehreren Verletzten. Seither bestreiken die Arbeiter die Werft in Sestri Ponente bei Genua.

Die Niederlage der Regierungspartei in den jüngsten Wahlen und die Art und Weise, wie sie von den Zeitungen interpretiert wird, ist aber gleichzeitig Ausdruck einer anderen Entwicklung: Einflussreiche Finanz- und Wirtschaftskreise tendieren immer stärker zu einem politischen Wechsel, um die diskreditierte Berlusconi-Regierung los zu werden.

Sie werfen ihr vor, dass sie die Staatsausgaben nicht tatkräftig genug zusammenstreicht, den Arbeitsmarkt nicht energisch genug "reformiert" und stattdessen vor allem mit den legalen Problemen Berlusconis beschäftigt ist. So drängt Emma Marcegaglia, die Chefin des Unternehmerverbands Confindustria, immer ungeduldiger auf Wirtschaftsreformen und hat offenbar das Vertrauen in die jetzige Regierung weitgehend verloren.

Am 26. Mai forderte Marcegaglia in Rom vor einer Confindustria-Versammlung "einschneidende Strukturreformen" und äußerte sich erbittert über "das verlorene Jahrzehnt, das wir auf unsern Schultern mitschleppen, das uns geringe Wettbewerbsfähigkeit und zu wenig Wachstum beschert hat". Sie beklagte die "Brüche und Probleme der persönlichen Leadership, die dem Wohl der Politik entgegenstehen", - ein deutlicher Seitenhieb auf Berlusconi und seine zahlreichen Skandale. Momentan steht der Regierungschef wieder wegen zweier Sex- und Korruptionsanklagen vor Gericht.

Auch die globalen Finanzmärkte machen Druck. Vor wenigen Tagen hat die Ratingagentur Standard & Poor's die italienische Kreditwürdigkeit von "stabil" auf "negativ" heruntergestuft. Die Agentur bescheinigt der italienischen Wirtschaft ein "schwaches Wachstum", "geringen Reformwillen" und "hohe Schulden". Das schlechte Rating könnte zu höheren Zinsen für italienische Staatsanleihen führen.

Fast gleichzeitig hat der nationale Rechnungshof die hohe Staatsverschuldung angemahnt, die sich um 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegt. Daraufhin kündigte Finanzminister Giulio Tremonti an, das bisher beschlossene Sparpaket über 24 Milliarden sei nicht ausreichend, sondern Italien müsse in Wahrheit 46 Milliarden - also beinahe das Doppelte - einsparen.

Wie diese Zahlen zeigen, würde eine Ablösung der Berlusconi-Regierung durch eine neue Mitte-Links-Regierung die Lage der arbeitenden Bevölkerung in keiner Weise erleichtern. Im Gegenteil besteht die Gefahr, dass eine solche Regierung (wie die sozialdemokratischen Regierungen in Griechenland oder Spanien) damit beginnen würde, den Sparkurs der globalen Finanzmärkte und der italienischen Bourgeoisie mit aller Härte gegen die Arbeiter durchzusetzen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.06.2011
Italienische Kommunalwahlen: Schwere Niederlage für Berlusconi
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011