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GLEICHHEIT/3768: Wall Street erhöht Druck für Einigung bei Haushaltskürzungen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wall Street erhöht Druck für Einigung bei Haushaltskürzungen

Von Patrick Martin
28. Juli 2011


Die wichtigsten Agenturen der amerikanischen Finanzaristokratie beginnen, sich direkt und offen in die wachsende politische Krise in Washington einzumischen. Sie fordern eine Übereinkunft, die die Anhebung der staatlichen Schuldenobergrenze mit Sozialkürzungen in Höhe von mehreren Billionen Dollar verbindet.

Die Obama-Regierung hat vorhergesagt, dass die Regierung kurz nach dem nächsten Dienstag, dem 2. August, nicht mehr in der Lage sein wird, ohne weitere Darlehen ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, da das Finanzministerium die derzeitige Schuldenobergrenze von 14,3 Billionen Dollar bereits Anfang Mai erreicht hat.

Am Montagabend kündigte die Chicago Mercantile Exchange (Chicagoer Warenbörse), der Hauptumschlagplatz für Derivate an, kurzfristige Treasury Bills (Form von US-Staatsanleihen) nicht mehr als risikofreie Kreditsicherheit zu klassifizieren. Die Börse wird von Händlern außerdem mehr langfristige Treasury Bonds verlangen, wenn diese als Kreditsicherheit genutzt werden.

Diese "Korrekturen" des Wertes von Staatsanleihen als Kreditsicherheit im Handel reicht von einem halben Prozentpunkt für Treasury Bills bis zu einem vollen Prozentpunkt für Treasury Notes und Bonds. Diese Änderungen werden am Donnerstag in Kraft treten.

Die CME bezeichnete die Erhöhungen als Reaktion auf die gewachsene Volatilität der Preise für amerikanische Staatsanleihen, da es durch zunehmende Spekulationen zumindest zu kurzfristigen Unterbrechungen der Zahlungen der US-Regierung an Anleihebesitzer kommen wird.

Wie der Nachrichtendienst Dow Jones News Service meldete, hatte die CME bereits am Freitag, als Haushaltsgespräche zwischen dem Weißen Haus und dem von Republikanern beherrschten Kongress zusammenbrachen, Händler informiert, dass sie die Sicherheiten um 8 Prozentpunkte auf 22 Prozent erhöhen werde, die für Termingeschäfte mit Treasuries benötigt werden.

Dies sind die ersten konkreten Schritte, die die großen Finanzinstitutionen machen, um US-Staatsanleihen in Misskredit zu bringen, seit Obama die Frist bekanntgab, innerhalb derer die Schuldenobergrenze erhöht werden muss.

George Goncalves, der Leiter für Zinssatzstrategie der Investmentbank Nomura Securities, sagte der Financial Times: "In den nächsten eineinhalb Wochen werden die Gespräche über die Erhöhung der Schuldenobergrenze und den Defizitabbau die wichtigsten Themen für den Markt für Staatsanleihen sein."

Die Zinsen auf neu ausgegebene US-Staatsanleihen sind zwar noch niedrig, aber stiegen am Dienstag von 0,41 Prozent auf 0,44 Prozent. Das Finanzministerium gibt diese Woche neue Staatsanleihen im Wert von 99 Milliarden Dollar heraus. Von dem Geld werden fällige Anleihen beglichen, aber nicht die Gesamtsumme der Forderungen erhöht.

Moody's Investor Services, eine der drei wichtigsten Ratingagenturen für Staatsanleihen, warnte seine Anlagefonds-Kunden, die Streitigkeiten in Washington über die Schuldenobergrenze gefährdeten den Anlagefondsmarkt.

In einem Statement von Moody's hieß es: "Direkte Risiken sind u.a. mögliche ausbleibende Zinsen oder ein kurzzeitiges Ausbleiben der Hauptzahlungen für Staatsanleihen, sowie eine schrittweise Schwächung der generellen Kreditqualität von Geldmarktprodukten der US-Regierung."

Moody's hatte bereits zuvor gewarnt, es werde die US-Kreditwürdigkeit herabstufen, sollte die Obama-Regierung nicht bis zum 2. August zu einer Einigung über die Erhöhung der Schuldenobergrenze kommen.

Standard & Poor's, eine weitere Ratingagentur, veröffentlichte letzte Woche eine detailliertere Warnung. S&P sagte, zwei Ereignisse könnten zu einer Herabstufung der amerikanischen Kreditwürdigkeit führen: Wenn die Schuldenobergrenze nicht erhöht würde und dadurch die USA zahlungsunfähig würden; oder wenn die Vereinbarung über eine Erhöhung der Schuldenobergrenze nicht ausreichende Haushaltskürzungen beinhalte - ausreichend in den Augen von S&P - um zukünftige staatliche Defizite zu senken.

Die Ratingagenturen und auch die Wall-Street-Firmen, die sie repräsentieren haben sich hinter die Obama-Regierung gestellt und fordern das größtmöglich Defizitsenkungspaket, mindestens 4 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren.

John Chambers, Analyst bei S&P, sagte der Presse in einer Diskussion über die drohende Herabstufung: "Wir nehmen derzeit an, dass es jetzt Zeit ist, dass beide Parteien zu einer sinnvollen Übereinkunft kommen. Wenn dieser Moment verstreicht, wird es in Zukunft schwieriger werden, ihn zu erreichen."

Als weiteres Anzeichen für Unruhe auf den Finanzmärkten verlor der Dollar am Dienstag gegenüber den meisten Währungen der Welt an Wert, und der Goldpreis stieg um 4,60 Dollar pro Unze, auf 1.616,80 Dollar pro Unze. Damit erreichte er zum ersten Mal seit dem 18. Juli die Marke von 1.600 Dollar.

Laut einem Bericht der New York Times horten einige Hedgefonds Geld, um US-Staatsanleihen zu Niedrigstpreisen zu kaufen, sollte es zum Staatsbankrott oder zur Herabstufung kommen, wodurch Rentenfonds und andere institutionelle Investoren gezwungen wären, ihre Staatsanleihen zu verkaufen.

In den letzten paar Wochen hat sich der Preis für Credit Default Swaps, die Investoren das Geld ersetzen müssten, sollten die USA Staatsbankrott anmelden, verdoppelt. Ein Kolumnist nannte dies ein "Anzeichen für einen lebhaften Markt für Wetten gegen Amerika."

Der inszenierte und künstliche Charakter der Schuldenkrise - denn es mangelt nicht an willigen Geldgebern für die US-Regierung und das einzige Hindernis ist das Verbot gegen die Aufnahme von Darlehen, das jederzeit vom Kongress aufgehoben werden kann - ändert nichts an der Tatsache, dass selbst eine kurzzeitige Zahlungsunfähigkeit der USA verheerende Auswirkungen auf den Weltkapitalismus haben könnte.

Christine Lagarde, die neue leitende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, mahnte in einer Rede in New York am Dienstag an, dass wegen der Schuldenobergrenze sofortiges Handeln erforderlich sei. "Die Uhr tickt, und das Problem muss schnellstmöglich gelöst werden. Ein negativer Finanzschock in den USA könnte in der Tat schwerwiegende Folgen für den Rest der Welt haben."

Dann fügte sie hinzu: "Aber noch viel wichtiger ist, dass so schnell wie möglich ein glaubwürdiger Plan zur Haushaltssanierung benötigt wird." Das ist der wichtigste Teil ihrer Äußerung. Wie S&P verlangt auch Lagarde sowohl eine Erhöhung der Schuldenobergrenze zur Stabilisierung der Finanzmärkte als auch massive Kürzungen der amerikanischen Sozialausgaben, vor allem in den staatlichen Hilfsprogrammen wie Medicare und Social Security.

Ihr Rezept für die Vereinigten Staaten ist dasselbe wie für Griechenland: Die arbeitende Bevölkerung muss für die Krise des Profitsystems zahlen, während die Banken und die Großkapitalisten um jeden Preis geschützt werden müssen.

Gleichzeitig drückte Lagarde ihre Nervosität über die politischen und sozialen Folgen aus, wobei sie auf die Aufstände in Ägypten und der arabischen Welt blickte. "Soziale Probleme sind auch für fortgeschrittene Wirtschaftsmächte ein wichtiges Thema", sagte sie. "Insbesondere die Jugend hat Schwierigkeiten, Arbeit zu finden - möglicherweise mit lebenslangen Auswirkungen auf ihre Arbeitsfähigkeit und ihr Einkommen. Gleichzeitig kämpfen die älteren Generationen darum, ihre Gesundheits- und Rentenversorgung zu sichern."

Der Obama-Regierung ist die Intervention der Finanzmärkte und der Vertreter des Finanzkapitals recht, da sie ihr dabei hilft, eine Krisenstimmung zu schaffen, in der Maßnahmen durchgesetzt werden können, die Medicare, Medicaid, Social Security und bundesstaatliche Programme zur Förderung von Bildung, Verkehr, Umweltschutz und Wohnungsbau zerstören werden.

Am Dienstag ging das Gerangel im Kongress um die Schuldenobergrenze weiter. Es war keine Einigung über eine Gesetzesvorlage in Sicht, die auch nur von einem Haus angenommen würde, von beiden ganz zu schweigen. Der Plan von John Boehner, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, der vorsieht, die Schuldenobergrenze um 2,4 Billionen Dollar anzuheben und Kürzungen in Höhe von 3 Billionen Dollar vorzunehmen, wurde am Mittwochabend zur Abstimmung vorgelegt. Allerdings deutet immer mehr darauf hin, dass er von den ultrarechten Republikanern, die mit der Tea Party-Bewegung verbandelt sind, abgelehnt wird, weil die Einschnitte nicht groß genug sind.

Der Abgeordnete Jim Jordan, Vorsitzender der Republican Study Group, einer konservativen Vereinigung, der fast zwei Drittel aller Republikaner im Abgeordnetenhaus angehören, hielt zusammen mit einem halben Dutzend anderer rechter Kongressabgeordneter eine Pressekonferenz, auf der er ankündigte, gegen Boehners Vorlage zu stimmen.

Die Alternative der Demokraten, wie sie vom Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, entworfen wurde, sähe ebenfalls eine Erhöhung der Schuldenobergrenze um 2,4 Billionen vor, sowie Kürzungen in Höhe von 2,7 Billionen, wobei 1 Billion dieser Summe durch gesunkene Militärausgaben als Folge der Truppenabzüge aus dem Irak und Afghanistan zustande kommen werden. Dieser Entwurf wird vermutlich von den Republikanern blockiert werden.

Am Dienstagabend erschienen Presseberichte, dass das Repräsentantenhaus und der Senat sich auf eine kurzzeitige Vertagung der Krise um 30 Tage einigen könnten. Hierzu würde die Schuldenobergrenze so weit angehoben, dass es reicht, um durch den August zu kommen. Obama hatte zuvor gedroht, gegen eine derartige kurzzeitige Maßnahme sein Veto einzulegen, aber seine Drohungen haben sich bisher in jedem Stadium des verschleppten politischen Ränkespiels um das Haushaltsdefizit als hohl erwiesen.

Die Einmischung der Wall Street macht deutlich, dass die "Debatte" in Washington nur zwischen der Finanzaristokratie und ihren politischen Vertretern in den beiden großen Wirtschaftsparteien geführt wird. Die Interessen der Arbeiter werden durch niemanden vertreten, ganz im Gegenteil: Es ist unter den kapitalistischen Politikern beschlossene Sache, dass die gesamte Last der Krise des amerikanischen Kapitalismus der arbeitenden Bevölkerung aufgehalst werden muss. Dazu werden Sozialprogramme zerstört, von denen Millionen Menschen abhängig sind.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 28.07.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2011