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GLEICHHEIT/3810: Libyen als Modell für eine Neuaufteilung des Nahen Ostens


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Libyen als Modell für eine Neuaufteilung des Nahen Ostens

Von Bill Van Auken
26. August 2011


Unter dem Titel "Gaddafis Fall wird den arabischen Frühling wieder beschleunigen" veröffentlichte Philip Zelikow vergangenen Montag eine Kolumne auf der Web Site der Financial Times. Sie erlaubt einen Blick auf die weitreichenden Ziele, die Washington und die anderen imperialistischen Großmächte mit ihrer angeblich "humanitären" Intervention in Libyen verfolgen.

Zelikow war unter Condoleezza Rice Berater im Außenministerium und vorher Berater beim Nationalen Sicherheitsrat von George Bush Sen. in der Zeit, als der Sowjetblock auseinanderbrach. Er genießt im amerikanischen Establishment großes Vertrauen als erfahrener Politiker. Er wurde sogar als Exekutivdirektor der 9/11-Kommission berufen. In dieser Position war er in erster Linie dafür verantwortlich, dass die Rolle der amerikanischen Regierung bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verschleiert wurde.

Zelikow steht dem Projekt für ein "neues amerikanisches Jahrhundert" nahe und ist einer der Autoren der Bush-Doktrin über den Präemptivkrieg. Als solcher ist er eng mit der Theorie und Praxis vertraut, mit deren Hilfe der US-Imperialismus im Nahen Osten seine Hegemonie durchsetzen will.

Zelikow eröffnet seine Kolumne mit einer ätzenden Kritik an den Argumenten der Republikanischen Rechten, die den Libyenkrieg ablehnen, weil dies eine "liberale Intervention" sei. Er tut diese Vorstellung mit dem Argument ab, das sei lediglich ein Missverständnis "vor allem aufgrund der Propaganda der Regierung". Der Krieg, schreibt er, wurde wegen der besonderen "Geschichte und Geographie Libyens [begonnen], die knallharte Überlegungen der USA, Frankreichs und Großbritanniens und vieler anderer Länder gut und gern rechtfertigen. Sie sahen ihn als Gelegenheit, die Rebellen gegen dieses besonders verrückte Regime zu unterstützen."

Mit anderen Worten sahen die imperialistischen Mächte in den libyschen Ereignissen eine Konstellation, die ihnen die willkommene Gelegenheit bot, militärisch einzugreifen, um das ölreiche nordafrikanische Land fest in den Griff zu bekommen.

Diese Konstellation bot sich teilweise durch die Aufstände in Tunesien und Ägypten und ihr Echo in der libyschen Bevölkerung. Demonstrationen gegen das Gaddafi-Regime wurden rücksichtslos unterdrückt. Teilweise war sie auch dem besonderen Charakter Libyens zu danken: Libyen ist ein Land von weniger als 6,5 Millionen Einwohnern mit den größten Erdölreserven ganz Afrikas in seinem Boden. Seine ausgedehnte Mittelmeerküste liegt direkt gegenüber Südeuropa.

Im Fall der diktatorischen Regimes von Mubarak und Ben Ali in Ägypten und Tunesien bemühten sich die Imperialisten bis zum bitteren Ende, diese Regime an der Macht zu halten. Gleichzeitig sahen sie jedoch den so genannten "arabischen Frühling" als Chance und Deckmantel, um die Kontrolle über Libyen zu ergreifen. Gemeinsam mit den einheimischen herrschenden Eliten nutzen sie das Fehlen einer revolutionären Führung der Arbeiterklasse aus, um ihre Vorherrschaft in Tunesien und Ägypten wiederherzustellen.

All dies war Grund für einen Krieg, der angeblich um "Menschenrechte" und den "Schutz libyscher Zivilisten" geführt wurde. Solche Rechtfertigungen tut Zelikow zu Recht als reine Propaganda ab.

Der ehemalige Berater des Außenministeriums und des Nationalen Sicherheitsrats macht klar, dass Libyen keineswegs das Ende vom Lied ist. Der Libyenkrieg "wird eine neue Dynamik in Gang setzen". Er fährt fort: "Der Kampf in Syrien wird langsam schärfer und tritt mehr in den Vordergrund."

Mit anderen Worten: Es geht hier nicht nur um die Kontrolle über ein einzelnes Land, was an sich schon bedeutsam genug wäre, sondern um die Neuordnung einer ganzen Region.

Und wer steht laut Zelikow an der Spitze dieses angeblich demokratischen "arabischen Frühlings"?

"Die wesentlichen politischen Initiativen des arabischen Frühlings kommen gegenwärtig von den Golfstaaten wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten [VAE] und Katar", schreibt er. "Es ist ihre Stunde. Die saudische Regierung spielt in der arabischen Diplomatie zur Isolierung Syriens eine wichtige Rolle. Die VAE und die Saudis haben die Gelder zur Verfügung gestellt, die es dem ägyptischen Übergangsregime ermöglicht haben, auf die Finanzpakete zu verzichten, die ihnen von internationalen Finanzinstitutionen angeboten wurden, und die mit Bedingungen verknüpft waren. Die Regierung Katars hat im Libyenkrieg eine entscheidende Rolle gespielt."

Der "arabische Frühling" ist ihre Stunde? Diese angeblichen Herolde der Demokratie und der Befreiung der arabischen Massen sind selber absolute Monarchen. In ihren Ländern droht Oppositionellen Folter, Gefängnis ohne Prozess und sogar die Enthauptung. In den Gesellschaften, die sie beherrschen, besteht die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung aus unterdrückten Einwanderern, denen jegliche Rechte vorenthalten werden, und den Frauen werden grundlegende Rechte verweigert.

Diese gleichen Kreuzzügler für Demokratie in Libyen und Syrien haben in Bahrain die Proteste, die von der diktatorischen Al-Khalifa-Dynastie demokratische Rechte verlangten, mit Militärgewalt unterdrückt. Mit der stillschweigenden Unterstützung Washingtons wurden Dutzende Demonstranten getötet, Hunderte festgenommen und Tausende verloren ihren Arbeitsplatz.

Die heutige Situation zur "Stunde" solcher abstoßender Regimes zu erklären, bedeutet, den Völkern der arabischen Welt mit einem Alptraum von Unterdrückung und sozialem Rückschritt zu drohen.

Seinem Lobgesang an die Petro-Dollar trunkenen Monarchen des Persischen Golfes lässt Zelikow einen seltsamen Kommentar folgen. "Mir wäre wohler, wenn Frankreich, Großbritannien und die USA zusammen mit diesen drei Ländern regelmäßige Diskussionen auf hoher Arbeitsebene führten, um ihre Strategie zu koordinieren. Vielleicht tun sie es ja schon."

Wen glaubt Zelikow hier hinters Licht zu führen? Diese Politik wird nicht nur "auf hoher Ebene koordiniert". Auf libyschem Boden arbeiten heute schon katarische Söldnertruppen Seite an Seite mit amerikanischen, britischen und französischen Geheimdienstlern und militärischen Söldnern. Sie organisieren und lenken die Offensive der so genannten Rebellen. Wenn diese Regimes jetzt als Speerspitze des arabischen Frühlings gepriesen werden, dann deswegen, weil sie sich der amerikanischen Politik im Nahen Osten am meisten unterwerfen.

Wie sieht dieser Außenpolitiker und Insideragent die Zukunft Libyens und der arabischen Welt? Werden neue repressive Regimes entstehen, welche die alten herrschenden Eliten repräsentieren, wie es in Ägypten und Tunesien zu geschehen scheint? Werden "islamische Extremisten (...) die Kontrolle übernehmen?" Oder werden "offenere Gesellschaften nach dem Muster des Westens" entstehen?

Zelikow tut so, als entstehe hier eine "deutlich erkennbare" Alternative, die "nicht vorgefertigten Mustern" entspreche.

"Bedenkt das Dilemma, in dem die neuen libyschen Führer von Tag eins an stecken werden", schreibt er. "Ihre Wirtschaft ist völlig vom Ölgeschäft abhängig, das der Staat zu kontrollieren versucht. Ihre Politik wird sich um die Verteilung von Macht und Reichtum zwischen mehreren konkurrierenden Gruppen drehen. Sie werden versuchen, das Vakuum zu füllen, das der Zusammenbruch der Diktatur hinterlässt. Die Führer fürchten Kämpfe und Chaos. Statt eine neue Diktatur zu errichten und alle auf eine Linie zu zwingen, und das mit den Öl- und Gaseinnahmen zu finanzieren, wird der natürliche Gang eher der sein, Abkommen zu schließen, die verschiedenen Stammes- und anderen Gruppen mehr Autonomie und Anteile am Nationaleinkommen gewähren. Das wäre nicht ungewöhnlich. Multiethnische Gemeinschaften in Ländern wie Libyen, Syrien und dem Irak werden mit bundesstaatlichen und sogar konföderativen Lösungen experimentieren. Das Konzept eines einheitlichen Staats selbst, dieser missratene Sohn der Entkolonisierung, steht in diesem Teil der Welt auf der Kippe. Dieses Modell des Einheitsstaats war die Basis für die allgegenwärtige Vetternwirtschaft, doch langsam macht es etwas Anderem Platz."

Dieses "Andere, Neue" hört sich verdächtig nach etwas ganz Altem an, das wir aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert kennen. Was er hier vorschlägt ist keine neue Blüte demokratischer Autonomie, sondern die umfangreichste imperialistische Neuaufteilung des Nahen Ostens, seitdem Großbritannien und Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg ihr koloniales Mandatssystem aufbauten.

Wenn das "Modell des Einheitsstaats" abgewirtschaftet hat, das Zelikow den "missratenen Sohn der Entkolonialisierung" nennt, dann ist der Weg für eine direkte Rekolonialisierung der Region frei. Man wird daher kaum erwarten, dass Zelikow dieses Ende des "einheitlichen Staatssystems" auch auf Israel anwenden möchte.

Mit der Auflösung des Staatsverbands in einem Land wie Libyen würde man vermutlich auch das lästige Problem der staatlichen Kontrolle über die Ölwirtschaft los. Der Weg wäre frei für Exxon-Mobile, BP, Chevron und andere Energiekonglomerate, direkte Besitzansprüche auf die Ölfelder zu erheben. Sie würden versuchen, Produktion und Preisbildung zu kontrollieren und die Rivalen China, Russland und Indien zu verdrängen.

Zelikow schließt: "Außenstehende können dabei natürlich nur Hilfestellung leisten, Informationen, Ideen und Anreize anbieten. Aber die Außenstehenden werden nicht die Entscheidungen treffen." Natürlich, genauso haben auch die Außenstehenden von der NATO den "Rebellen" in Libyen nur "geholfen".

Zelikow machte sich im US-Establishment einen Namen, als die Sowjetunion und die osteuropäischen stalinistischen Bürokratien zusammenbrachen. Darauf wirkte er während des Golfkriegs von 1990-91 als hoher Sicherheitsberater. Später befürwortete er eine Politik, die 2003 zum Irakkrieg führte. Der Krieg war durch die Liquidierung der Sowjetunion erst möglich geworden. Heute setzt er sich für eine massive Verschärfung dieser Politik ein.

Seine jüngste Kolumne bestätigt, dass der Libyenkrieg nichts mit humanitären Überlegungen und Menschenrechten zu tun hatte. Er bedeutet die gewaltsame Unterdrückung eines ehemaligen Koloniallands. Er ist auch eine Warnung. Libyen ist für den Imperialismus nur der Auftakt, um den gesamten Nahen Osten neu aufzuteilen. Angesichts der Interessenskonflikte zwischen den imperialistischen Großmächten droht dieser Prozess in absehbarer Zukunft zu weit blutigeren Konflikten zu führen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.08.2011
Libyen als Modell für eine Neuaufteilung des Nahen Ostens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2011