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GLEICHHEIT/3943: Britische Parteien fordern Deutschland gemeinsam zum Handeln in der Eurokrise auf


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Britische Parteien fordern Deutschland gemeinsam zum Handeln in der Eurokrise auf

Von Julie Hyland
18. November 2011


Hohe Politiker aller britischen Volksparteien schließen sich den Warnungen vor einem "wirtschaftlichen Armageddon" im Fall eines Zusammenbruchs der Eurozone an.

Der liberaldemokratische britische Wirtschaftsminister Vince Cable, machte am Wochenende in einem Interview diese düstere Vorhersage, während in Griechenland und Italien "Technokraten"-Regierungen eingesetzt werden, ohne die Bevölkerung danach zu fragen, um noch schärfere Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Zuvor beschrieb der konservative Schatzkanzler George Osborne die Lage als "gefährlich", und Ex-Labour-Premierminister Tony Blair sagte, der Zusammenbruch der Eurozone hätte "katastrophale Folgen."

Heute werden Daten veröffentlicht, die vermutlich zeigen werden, dass in Großbritannien die Arbeitslosigkeit gestiegen ist und die Jugendarbeitslosigkeit zum ersten Mal überhaupt die Marke von einer Million überschreiten wird. Laut einem Bericht der Europäischen Union besteht für Großbritannien das reale Risiko einer "Double-Dip-Rezession", und die Bank von England wird Vorhersagen zufolge ihre Wachstumsprognose für 2012 von 2,1 Prozent halbieren.

Da 40 Prozent der britischen Exporte in die Eurozone gehen, sagte Premierminister David Cameron, entwickle das Finanzministerium Notfallpläne für "alle Eventualitäten."

Die Statements der Politiker sind kein Ausdruck der Besorgnis über die zunehmenden Schwierigkeiten, in denen die arbeitende Bevölkerung steckt. In Großbritannien hat die Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten eines der härtesten Sparpakete Europas durchgedrückt, das im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft zehntausende Arbeitsplätze gekostet hat. Die Regierung nutzt die Eurozonenkrise, um ihre Haushaltskürzungen zu rechtfertigen. Osborne sagte, die Krise in Europa sei nur "ein weiterer Grund, warum wir in Großbritannien diesem Sturm trotzen, indem wir die schwierigen Entscheidungen selbst angehen, anstatt uns von den Märkten dazu zwingen zu lassen."

Was noch wichtiger ist: der Zweck der Warnungen aus allen Parteien beseht darin, Deutschland zu drängen, von seiner Position abzurücken, die Europäische Zentralbank (EZB) nur "im äußersten Notfall als Geldquelle agieren zu lassen." Cable sagte: "Das politische Hauptthema ist Deutschland, und dessen Wille, zu tun, was es tun muss, um die Eurozone wieder funktionsfähig zu machen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundesbank haben die Forderungen aus Washington und London abgelehnt, Deutschland solle zusätzliche Gelder in den Europäischen Finanzstabilitätsmechanismus (EFSF) einzahlen, um Europas Wirtschaften zu retten. Bundesbankchef Jens Weidmann betonte, dass es sich dabei um eine Verletzung von europäischen Verträgen handele, die Wirtschaftshilfen unter Strafe stellen.

Auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy ist dafür bekannt, eine größere Rolle der EZB zu befürworten. Allerdings musste er im Vorfeld des Gipfels der siebzehn Staaten der Eurozone im Oktober Deutschland nachgeben. Damals stand zu befürchten, dass Griechenland nicht in der Lage sein würde, die Bedingungen für seine Darlehen von der Europäischen Union, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank zu erfüllen. Stattdessen einigte man sich auf dem Gipfel auf vage Pläne, dass der EFSF, von 440 Milliarden Euro auf eine Billion Euro "aufgerüstet" werden solle. Der IWF, China und Russland sollten zusätzliche Gelder bereitstellen. Außerdem sollten die Gläubiger Griechenlands "freiwillig" einem Schuldenschnitt von 50 Prozent zustimmen.

Das hat allerdings einen Staatsbankrott Griechenlands nicht unwahrscheinlicher gemacht. Wolfgang Münchau schrieb in der Financial Times, die Märkte seien besonders verärgert über die Entscheidung "die Beteiligung der privaten griechischen Gläubiger neu zu verhandeln." "Die Investoren sahen es - meiner Meinung nach zurecht - als einen Präzedenzfall. Dann stießen sie ihre Staatsanleihen von Portugal, Spanien, Italien und sogar Frankreich ab."

Während sich die Krise verschlimmerte, weigerten sich London und Washington auf dem G-20-Gipfel in Cannes, Gelder des IWF zu dem erklärten Zweck bereitzustellen, die Eurozone zu retten. Nachdem sich auch China weigerte, mitzumachen, sagte Cameron, die Welt habe "eine klare Botschaft an die Eurozone geschickt: Reißt euch zusammen, dann werden wir helfen, aber nicht andersrum."

Das Ziel der Forderungen nach einem Einschreiten der EZB ist es, den Banken noch mehr öffentliche Gelder zuzuspielen, vor allem den amerikanischen und britischen, die die Staatsanleihen der sogenannten PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) versichern und in andere europäische Staaten investiert haben.

Die Ratingagentur Fitch schrieb im Mai 2011, die amerikanischen Geldmärkte hätten etwa 1,2 Billionen Dollar in das europäische Bankensystem gesteckt - fast die Hälfte ihres Gesamtvermögens. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gibt an, dass amerikanische Banken etwa 500 Milliarden Dollar durch Derivatenpapiere direkt in die Randstaaten der EU investiert haben, und mit mehr als 1,2 Billionen Dollar an deutschen und französischen Banken beteiligt sind.

In dem Interview sagte Cable, die EZB müsse mit "unbegrenzten Befugnissen zum Eingreifen" ausgestattet werden. "Im Jahr 2008 haben wir in unserem eigenen Land festgestellt, dass man eine starke Zentralbank braucht, die das kann."

Damit meinte er das Rettungspaket in Höhe von mehreren Milliarden Pfund, das britische Banken von der Labour-Regierung erhalten haben. Letzten Monat druckte die Bank von England weitere 75 Milliarden Pfund und steckte sie ins Bankensystem. Dieses Geld wird auf Kosten der Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen, die für die arbeitende Bevölkerung wichtig sind, wieder eingetrieben. In Griechenland und anderen Ländern wird dieselbe Klassen-Agenda angewendet, nur noch drakonischer.

Trotz der Alarmrufe wegen dem Schicksal der Eurozone wachsen die nationalen Spannungen zwischen den europäischen Großmächten. Jose Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, sagte laut dem Observer am 6. November: "Ich hoffe, wenn Historiker auf diese beispiellosen Zeiten zurückblicken, werden sie verstehen, dass wir das drohende Auseinanderbrechen vermieden haben."

"Der Euroraum darf nicht als unabhängig von der Europäischen Union angesehen werden. Unsere Aufgabe ist es, die Integration im Euroraum noch weiter zu verbessern, ohne dabei Spaltungen mit den Staaten zu verursachen, die noch nicht dazu gehören."

Das wurde als Hieb gegen Deutschland und Frankreich verstanden, die angeblich Pläne für eine stärker integrierte und kleinere Eurozone ohne Griechenland und andere schwache Wirtschaften entwickeln. Es war auch gegen den großen europaskeptischen Flügel der britischen Konservativen gerichtet, die einen vollständigen oder teilweisen Rückzug aus der EU fordern. Letzten Monat kam es zur bisher größten Rebellion konservativer Abgeordneter gegen die Weigerung der Regierung, ein Referendum über Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU abzuhalten.

Auf dem Eurozonen-Gipfel einigte man sich auf empfindliche Sparmaßnahmen für Griechenland und Italien, die der Finanzdisziplin der "Frankfurter Gruppe" unterworfen werden sollen. Der Wirtschaftsredakteur des Guardian, Larry Elliot, beschrieb diese Gruppe als "nicht gewählte Kabale aus acht Menschen", darunter IWF-Chefin Christine Lagarde, Merkel, Sarkozy, EZB-Präsident Mario Draghi und Barroso. Das führte zur Einsetzung nicht gewählter Regierungen unter den Leitung von "Technokraten", die direkt der Frankfurter "Kabale" verantwortlich sind. Blair verteidigte dieses Vorgehen und sagte: "Die Leute bringen diese Menschen an die Macht, weil sie Ordnung wollen."

Die Krise der britischen Bourgeoisie besteht darin, dass ihre Forderung nach Einschreiten der EZB und ihre Unterstützung für weitere Sparmaßnahmen in Europa die Bestrebungen nach größerer politischer und finanzieller Konsolidierung der Eurozone stärken. Jetzt haben die Märkte Frankreich ins Visier genommen und es gibt immer noch keine Einigung darüber, wie der EFSF Geld auftreiben soll, und Deutschland diktiert die Bedingungen für eine Rettung des Euro. Durch diese Entwicklung droht Großbritannien komplett an den Rand gedrängt zu werden.

Am Montag erklärte Merkel auf einer Konferenz der CDU, die Aufgabe sei es, "die Wirtschafts- und Währungsunion zu vervollständigen und an der politischen Einheit in Europa zu arbeiten."

Die EU-Verträge müssten geändert werden, um die Integration zu ermöglichen, dazu gehöre auch die Möglichkeit, verschuldete Länder durch harte Sanktionen zu bestrafen, wenn sie in ihrer Finanzpolitik keine Disziplin durchsetzten. Zuvor hatte sie Cameron angeblich gewarnt, dass Großbritannien diese Änderungen unterstützen müsse, andernfalls würden Deutschland und Frankreich an einem "Zwei-Klassen-Europa" arbeiten.

In seiner Rede beim Bankett des Oberbürgermeisters von London schlug Cameron zurück: "Wir Skeptiker haben stichhaltige Gründe", sagte er und griff die EU für ihre "sinnlosen Einmischungen, Regeln und Regulierungen" an. Die Krise der Eurozone sei eine "Gelegenheit, die EU umzugestalten, damit sie den Interessen dieser Nation besser dient."

Cameron sagte seinem Publikum aus führenden Investoren zwar, ein Austritt aus der EU wäre schädlich für Großbritannien, aber in einem eventuellen Referendum müsse es darum gehen, Macht aus Brüssel in die Nationalstaaten "zurückzuholen."

Cameron kritisiert nicht die Regimewechsel, die in Griechenland und Italien durchgeführt werden. Er will die Macht, EU-Regelungen zu Arbeitszeit- und -bedingungen außer Kraft zu setzen, sowie eine große Ausweitung der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa zum Wohl des Privatkapitals. Er stellte sich auch gegen deutsche Vorschläge für eine europaweite Steuer auf Finanztransaktionen. Schatzkanzler George Osborne nannte sie "eine Kugel ins Herz der City of London."

Labour unterstützt die Politik der Konservativen. Schattenkanzler Ed Balls sprach sich dafür aus, dass Großbritannien weitere Zahlungen an den IWF zurückhält, bis Deutschland garantiert, die Eurozone zu schützen. Der finanzpolitische Sprecher von Labour, Douglas Alexander, sagte, die Regierung solle sich "mit der Tatsache vertraut machen, dass Deutschland Vertragsänderungen anstrebt, durch die größere Disziplin in der Eurozone durchgesetzt wird, und sie sollte die Gelegenheit ergreifen, die Rechte von Nicht-Euro-Mitgliedern zu schützen."

Im Independent hieß es: "Die Führungsriege der beiden Parteien, und vielleicht aller drei, sind sich in einem Thema einig, das die britische Politik seit vier Jahrzehnten spaltet."

Diese Einigkeit besteht in einer Politik, deren Ziel es ist, das nationale Auseinanderbrechen Europas zu beschleunigen, was für die Arbeiterklasse die schlimmsten Folgen haben wird.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 18.11.2011
Britische Parteien fordern Deutschland gemeinsam zum Handeln in der Eurokrise auf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2011