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GLEICHHEIT/4085: Griechenland-Abkommen - Mehr Leid für die Arbeiter, kein Ausweg aus der Krise


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland-Abkommen: Mehr Leid für die Arbeiter, kein Ausweg aus der Krise

Von Julie Hyland
23. Februar 2012


Die Finanzminister der Eurozone haben sich auf ein Rettungspaket für Griechenland in Höhe von mehr als 130 Milliarden Euro geeinigt. Dennoch ist das Land dadurch nicht vor einem Staatsbankrott geschützt; das Unvermeidliche wird nur hinausgezögert. Gleichzeitig benutzen das europäische und internationale Finanzkapital Griechenland als Versuchskaninchen für ihre "Politik der verbrannten Erde" - einen brutalen Sparkurs, der auch in den restlichen Ländern Europas gefahren werden soll.

Noch ist nichts garantiert. Gemäß dem Plan sollen die privaten Inhaber griechischer Staatsanleihen darum gebeten werden "freiwillig" an dem Schuldenschnitt von bis zu 53 Prozent teilzunehmen. Erst im März wird klar sein, ob dies akzeptiert wird. Außerdem erfordert das Sparpaket, das am Montag beschlossen wurde, weitere drei Milliarden Euro Einsparungen - nur wenn dies "zügig und effektiv" geschieht, wird es weitere Hilfsgelder von der Europäischen Union geben.

Diese Forderungen werden gestellt, obwohl Griechenland seit fünf Jahren aufgrund der Sparmaßnahmen, die ihm vom eigenen politischen Establishment und der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) aufgezwungen wurden, in der Rezession steckt.

Die arbeitende Bevölkerung leidet unter einer gesellschaftlichen Katastrophe: Die Gesamtarbeitslosenquote liegt bei 21 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 50 Prozent. In den nächsten zwei Jahren werden im öffentlichen Dienst etwa 150.000 Stellen abgebaut werden. gleichzeitig wurden Sozialausgaben und Renten zusammengekürzt. Die Löhne sind um 30 Prozent gefallen, jetzt soll der Mindestlohn um 22 Prozent gekürzt werden, bei jungen Arbeitern um 35 Prozent. Dennoch fordern EU und IWF weitere Lohnsenkungen, um die griechische Wirtschaft wieder "wettbewerbsfähig zu machen."

Die Krise ist so ernst, dass Arbeiter teilweise seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten, während Armut und Obdachlosigkeit steigen. Griechische Industriebetriebe bezahlen importierte Rohstoffe in bar, weil sie keine Kredite mehr bekommen.

Dennoch werden aufgrund der Kapitalflucht ins Ausland vermutlich weitere zwanzig Milliarden Euro nötig sein, um Griechenlands Banken zu rekapitalisieren - also insgesamt 50 Milliarden Euro. Auch die Privatisierungsprojekte sollen vorangetrieben werden. Sie sollen statt fünf Milliarden Euro 35 Milliarden Euro einbringen. Das heißt, staatliche Immobilien sollen im großen Stil verkauft werden.

Um dies zu überwachen wurde die Kontrolle über die griechische Wirtschaft vollständig in die Hände der Troika gelegt. Gavin Hewitt von der BBC bezeichnet dies als "erniedrigenden und beispiellosen Eingriff in die Souveränität Griechenlands."

Wie der EU-Kommissar für Wirtschaft und Finanzen, Olli Rehn, bestätigte, wird für das neue Rettungspaket ein separates Konto angelegt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Rückzahlung von Schulden und Zinsen der Banken Vorrang vor Staatsausgaben und Löhnen für den öffentlichen Dienst hat.

In Athen soll eine "erweiterte und dauerhafte Präsenz" der Schuldeninspektoren eingerichtet werden - hiermit wird eine Forderung des niederländischen Finanzministers Jan Kees de Jager umgesetzt, die Troika solle einen "dauerhaften Platz" in Griechenland haben.

Um die Diktatur zu vervollkommnen, fordern EU-Minister eine Änderung der griechischen Verfassung, um die Sparmaßnahmen umzusetzen. Zurzeit dauert es noch ein Jahr bis die Verfassung geändert werden kann, aber die Übergangsregierung aus Nea Dimokratia, PASOK und der rechtsextremen LAOS wird vermutlich einer solchen Änderung zustimmen.

Am Montag gaben der ehemalige Premierminister Giorgos Papandreou (PASOK) und sein Nachfolger an der Spitze der Koalition, der Ökonom Lukas Papademos, eine schriftliche Garantieerklärung gegenüber den EU-Ministern ab, dass die geplanten Haushaltskürzungen durchgeführt werden, unabhängig vom Ausgang der Wahl, die momentan für April angesetzt ist. Das Parlament wird heute über das Paket abstimmen und es vermutlich annehmen.

Zeitgleich mit der Vereinbarung kam ein Bericht an die Öffentlichkeit, der von Analysten der Troika vorbereitet wurde. Darin wurde zugegeben, dass die Ziele selbst unter der Voraussetzung der optimistischsten Vorhersagen nicht einzuhalten sind und dass die geforderten Kürzungen nur noch mehr Schulden verursachen und die Wirtschaftskrise verschlimmern werden.

Jeder weiß, dass das eintreten wird. Das neueste Rettungspaket wird allgemein als "Selbstmordpakt" angesehen, durch das der griechischen Bevölkerung noch größeres Leid zugefügt werden wird, während die Troika eine "geregelte Insolvenz" Griechenlands plant.

Viele sind der Meinung, dass der 20. März der Tag der Entscheidung sein wird. Dann werden Zahlungen Griechenlands in Höhe von 14,5 Milliarden Euro fällig. Bis dahin wird gehofft, dass bei dem G-20- Treffen und einem EU-Gipfel am 1. März beschlossen wird, die Kapazität der diversen europäischen Rettungsfonds zu verdoppeln, damit die Finanzkrise nicht auf die kleineren Länder und Banken Europas übergreift.

Die Regierungsparteien und die Troika sind jetzt mit der Frage beschäftigt, wie sie die explosiven gesellschaftlichen und politischen Spannungen unter Kontrolle halten sollen, die sich in Griechenland entwickeln, und wie sie verhindern sollen, dass sie auf Europa übergreifen. In dem veröffentlichten Bericht heißt es warnend: "Die griechischen Behörden sind möglicherweise nicht in der Lage, die Strukturreformen so schnell umzusetzen wie es geplant ist," weil es Widerstand gegen Kürzungen und Privatisierungen durch "vernetzte Interessen" geben könnte - eine Anspielung auf die wachsende Wut und den Kampfgeist der Arbeiterklasse.

Im Guardian sagte ein anonymer Vertreter Griechenlands, die Troika wolle "in Griechenland das machen, was Pinochet in Chile gemacht hat: Angestellte im öffentlichen Dienst entlassen und über Nacht schmerzhafte Schritte unternehmen... Wenn wir nicht in einer Demokratie leben würden, könnten wir das. Aber die Menschen werden darauf reagieren, sie werden sich wehren, und wir können das nicht über Nacht machen."

Am 11. September 1973 wurde in Chile die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende gestürzt und General Augusto Pinochet an die Macht gebracht. Der faschistische Militärdiktator setzte mit Unterstützung Washingtons und Milton Friedmans "Chicago Boys" eine wirtschaftliche "Schocktherapie" um. Das war der Beginn des weltweiten Um-sich-Greifens monetaristischer Politik auf Grundlage der Zerstörung des Lebensstandards der Arbeiter in den nächsten zehn Jahren.

Die Politik der Troika zielt darauf ab, in Europa dasselbe zu tun: Sie will die Wirtschaftskrise als Grundlage für eine soziale Konterrevolution nutzen, und Griechenland soll das Testfeld sein.

Dies kann nicht mit demokratischen Mitteln geschehen. Die neuesten Meinungsumfragen zeigen, dass die Koalitionsparteien in der Wählergunst auf ein Rekordtief gesunken sind. Nea Dimokratia liegt bei neunzehn Prozent, PASOK bei dreizehn Prozent und LAOS bei fünf Prozent.

Deshalb hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorgeschlagen, die Wahlen zu verschieben und eine Technokratenregierung einzusetzen. Diese würde vollständig aus nicht gewählten Personen bestehen, die direkt für die Banken und Spekulanten arbeiten.

Ihre Sorge ist, dass bei einer Wahl die Regierungsparteien für ihren Sparkurs stark abgestraft werden und sich der fehlende Rückhalt der herrschenden Elite zeigt. Das würde nicht nur den sozialen Widerstand in Griechenland selbst schüren, sondern auch in anderen europäischen Ländern wie Spanien und Portugal, wo es ebenfalls Massenproteste gegen Sparprogramme gab.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.02.2012
Griechenland-Abkommen: Mehr Leid für die Arbeiter, kein Ausweg aus der Krise
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012