Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4116: Der Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Der Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie

Von Barry Grey
13. März 2012


Vor einer Woche hielt Generalstaatsanwalt Eric Holder eine Rede, in der er das Recht des Präsidenten bekräftigte, unter dem Siegel der Geheimhaltung die Ermordung amerikanischer Staatsbürger anzuordnen. Er verwies auf den sogenannten "Krieg gegen den Terror" und behauptete, diese nie zuvor gewährte Befugnis stehe juristisch im Einklang mit dem Recht des Präsidenten auf Kriegführung und bedürfe keiner gerichtlichen Überprüfung.

Holder betonte, dass die Befugnis des Präsidenten, Morde außerhalb des Gesetzes anzuordnen, Teil einer ganzen Reihe von Vollmachten sei, zu denen unter anderen die Entführung verdächtiger Terroristen und ihre unbefristete Inhaftierung ohne Prozess in zivilen oder militärischen Gefängnissen gehöre. Er stellte fest, es gebe "Terroristen innerhalb unserer Grenzen", und betonte dann, das Recht auf den Einsatz tödlicher Gewalt durch die Regierung "beschränkt sich nicht auf die Schlachtfelder Afghanistans".

Holder versuchte, diesem Freibrief für polizeistaatliche Ermächtigung einen verfassungsmäßigen Deckmantel zu verpassen, indem er folgende erstaunliche Behauptung aufstellte: "Rechtsstaatsprinzip und juristisches Prinzip sind nicht ein und dasselbe. (...) Die Verfassung garantiert Rechtsstaatlichkeit, nicht aber bestimmte juristische Verfahrensweisen".

Holders Rede war eine Reaktion auf den Druck, dem die Regierung seit der gezielten Tötung von drei US-Bürgern im Jemen im vergangenen Herbst ausgesetzt ist. Damals wurde Anwar al-Alawki, ein mutmaßlicher Al-Kaida-Führer, bei einem Drohnen-Angriff zusammen mit einem weiteren US-Bürger namens Samir Khan getötet. Zwei Wochen später wurde Awlakis sechzehnjähriger Sohn, Abdulrahman Alawki, durch einen weiteren Drohnenangriff umgebracht.

Man sollte meinen, dass eine solch dramatische und außergewöhnliche Rede über das Recht der US-Regierung, ihre eigenen Bürger zu töten, zum Brennpunkt politischer Diskussionen und zum Gegenstand hitziger Debatten werden würde. Tatsächlich aber haben die Medien und das politische Establishment die Rede praktisch ignoriert. Keiner der drei großen Fernsehsender hat es auch nur erwähnt. Artikel in den größeren Tageszeitungen behandelten die Rede auf den inneren Seiten.

Am vergangenen Dienstag, am Tag nach Holders Rede, hielt Obama im Weißen Haus die erste Pressekonferenz des Jahres. Nicht ein einziger Reporter fragte ihn nach der Rede oder sprach das Problem staatlich angeordneter Morde an.

Wie weit der Zerfall der amerikanischen Demokratie schon vorangeschritten ist, zeigt sich darin, dass vor vier Jahrzehnten der Justizausschuss des Repräsentantenhauses für Richard Nixons Amtsenthebung stimmte, weil er "die Macht missbraucht" und "die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger verletzt" hatte, indem er Steuerstrafprüfungen und illegale Abhöraktionen anordnete. Heute, da die Anmaßung diktatorischer Macht bis zu dem Punkt fortgeschritten ist, an dem der Mord an Bürgern ohne jegliche rechtliche Grundlage angeordnet werden darf, ruft niemand nach einer Amtsenthebung, und es gibt nicht einmal eine richtige öffentliche Debatte über das Thema.

Es dauerte sechs Tage, bis die New York Times die Rede des Generalstaatsanwaltes kommentierte. Heraus kam ein Leitartikel, in dem schwache Bedenken angemeldet, Holders grundlegende Argumente aber unterstützt und die immensen verfassungsrechtlichen Konsequenzen stillschweigend übergangen wurden.

"Der Präsident hat das Recht, in einem konventionellen Krieg tödliche Gewalt gegen konventionelle Feinde anzuordnen", erklärte die Times und ergänzte den Satz mit den Worten: "oder auch in einem unkonventionellen Krieg gegen unkonventionelle Feinde". (Hervorhebung durch World Socialist Web Site). Dies ist nichts als ein Freibrief für den "Krieg gegen den Terror" und das Recht der US-Regierung, jeden Menschen, der dem amerikanischen Imperialismus gefährlich wird, unter diesem Vorwand zu töten.

Die Times gesteht zu, dass Präsident Obama "der erste Präsident ist, der für sich das Recht in Anspruch nimmt, amerikanische Bürger ohne Einschaltung der Justiz umbringen zu lassen, ohne sich vor irgendjemandem verantworten zu müssen.

Aber, beruhigt die Times, dieses Problem könne überwunden werden, und die Rechtsstaatlichkeit wieder hergestellt werden, indem ein neues Geheimgericht eingesetzt werde, entsprechend dem Überwachungsgericht für ausländische Geheimdienste (FISA), welches routinemäßig die nicht verfassungsgemäße Überwachung von US-Bürgern sanktioniert. Dies wäre bloß ein juristisches Feigenblatt für staatlich angeordneten Mord. Der Zynismus der Times und ihre Verachtung für Verfassungsrechte zeigen sich in ihrer Versicherung: "Das FISA-Gericht arbeitet sehr schnell und verweigert selten die Ausstellung eines Haftbefehls." Weiter heißt es, eine solche neue Kammer werde "den Schlag gegen einen Terroristen nicht verzögern".

An keiner Stelle spricht die New York Times klar aus, dass Obamas Politik verfassungswidrig ist und seinen Amtseid verletzt. Der Präsident hat geschworen, die Verfassung zu erhalten, zu schützen und zu verteidigen. Der fünfte Zusatz zur Freiheitsurkunde legt unzweideutig fest, dass jede Verhaftung ohne Prozess, dass Folter und außergerichtliche Tötungen rechtswidrig sind. Ihre Aufforderung, "keine Person (...) darf ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren ihres Lebens, ihrer Freiheit oder ihres Besitzes beraubt werden", ist klar und eindeutig.

Zum Schluss drängt der Leitartikel die Regierung, das Memo des Justizministeriums zu veröffentlichen, dass die angebliche juristische Grundlage für den Mord an den drei US-Bürgern im Jemen lieferte. "Wir können uns nicht vorstellen, aus welchem Grund Herr Obama dem schrecklichen Beispiel von Herrn Bush folgen sollte, der Öffentlichkeit solch wichtige Information en vorzuenthalten", schreibt die Times unaufrichtig.

Eine solche Haltung handelt so wichtige Fragen wie die Zerstörung der Verfassung auf dem oberflächlichen Level einer subjektiven Persönlichkeit ab. In Wahrheit kann eine solche Entwicklung nur das Ergebnis tiefgehender historischer und sozialer Prozesse sein. Die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der das gesamte Gebäude konstitutioneller Überprüfung und Ausgewogenheit und auch demokratischer Rechte im vergangenen Jahrzehnt zusammengebrochen ist, zeigt, dass dieser Prozess in den tiefer liegenden Widersprüchen der amerikanischen Gesellschaft wurzelt.

Die Vereinigten Staaten werden von einer Plutokratie regiert, deren Existenz im gewaltsamen Konflikt mit den grundlegendsten Bedürfnissen der Bevölkerung steht. An der Seite der sozialen Konterrevolution, die gegenwärtig in ihrem Interesse ausgetragen wird, marschiert eine juristische Konterrevolution.

Lenins Satz, "Der Imperialismus ist Reaktion auf ganzer Linie", wird Tag für Tag durch die Ausbreitung des Militarismus und Krieg, die Angriffe auf Arbeitsplätze und Lebensstandards, die Hinwendung zu polizeistaatlicher Unterdrückung und diktatorischen Formen der Herrschaft bestätigt. Demokratische Rechte können heute nur durch die Massenmobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus verteidigt werden.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2012 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 13.03.2012
Der Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/hold-m13.shtml
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2012