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GLEICHHEIT/4262: Ägyptische Präsidentschaftswahlen - Massenenthaltungen und Wahlfälschung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägyptische Präsidentschaftswahlen:
Massenenthaltungen und Wahlfälschung

Von Johannes Stern
19. Juni 2012



Die Antwort der ägyptischen Arbeiterklasse auf die ersten Präsidentschaftswahlen nach dem Sturz des Mubarak-Regimes im Februar 2011 bestand in Massenenthaltung.

In der Stichwahl am Wochenende standen sich Ahmed Schafik, der letzte Premierminister unter Mubarak, und Mohammed Mursi, Kandidat der Mulimbruderschaft (MB), gegenüber. Sowohl Schafik, als auch Mursi sind rechtsgerichtete Vertreter der herrschenden Klasse Ägyptens. Sie stehen den sozialen und demokratischen Hoffnungen der ägyptischen Revolution feindselig gegenüber und sind unter den ägyptischen Massen weitgehend diskreditiert.

Bisher gibt es keine offiziellen Zahlen über die Wahlbeteiligung. Medienberichte legen jedoch nahe, dass sie noch geringer war als in der ersten Wahlrunde vor drei Wochen.

Ahram Online, die englische Web Site der meistverbreiteten ägyptischen Tageszeitung, schrieb: "Auffallend ist die offensichtliche Abwesenheit von Wählern. Die Anwaltskammer berichtet, dass nur 15 Prozent der Wahlberechtigten am Samstag an die Urnen gingen. Am Sonntag waren es sogar noch weniger."

Zwei Tage vor der Wahl hatte der Oberste Rat der bewaffneten Streitkräfte (SCAF) der Junta geputscht, das islamistisch dominierte Parlament und die mit dem Entwurf einer neuen Verfassung beauftragte konstituierende Versammlung aufgelöst. Von seinen imperialistischen Verbündeten in Washington und Europa unterstützt, hat die Junta die vollständige Kontrolle über die ägyptische Politik übernommen. Diese Ereignisse haben den wahren Charakter des von der Junta seit dem Beginn der ägyptischen Revolution organisierten "demokratischen Übergangs" als politischen Betrug entlarvt.

Während der Wahlen wurde die ägyptische Armee überall im Lande in Alarmbereitschaft versetzt. Militärhubschrauber kreisten über den größeren Städten und schwer bewaffnete Soldaten "sicherten" Wahllokale. Berichten zufolge sollen Soldaten die Wahllokale gefilmt und auf diese Weise Wähler und Journalisten eingeschüchtert haben.

Die Wahlen waren von Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet. Schafik soll Stimmen des Militärs und der Polizei erhalten haben, die beide nicht wahlberechtigt sind. Viele Stimmen wurden gekauft und wie bei früheren Wahlen unter Mubarak wurden bereits ausgefüllte Wahlzettel ausgehändigt. Es wird von zahlreichen Zusammenstößen zwischen Schafik- und Mursi-Anhängern berichtet.

Beide Lager bezichtigen sich gegenseitig der Wahlfälschung. Ahmed Sarhan, Mediensprecher der Schafik-Kampagne, beschuldigte Mursi, vor allem in ländlichen Wahlbezirken vorgefertigte Wahlzettel ausgehändigt zu haben. Mursis Wahlkampfteam behauptete, diese Anschuldigungen dienten nur zur Ablenkung von Schafiks Wahlverstößen. Mursis Wahlkampfkoordinator Ahmed Abdel Aaty sagte, Soldaten seien aufgefordert worden, im Wahlkreis Kafr el-Sheikh Stimmen abzugeben.

Die Militärjunta erklärte sich offiziell für "unparteiisch", aber der Putsch vom Donnerstag verstärkte den Eindruck der Öffentlichkeit, dass die Junta die Wahl von Schafik, einem Armeegeneral und Mubarak-Protegé, sicherstellen wollte.

"Warum sollte ich wählen gehen? Meine Stimme zählt sowieso nicht und das Bild ist doch klar genug. Sie wollen Schafik und sie werden ihn zum nächsten Präsidenten machen - ganz egal, wen wir wählen", sagte Hussein, ein Taxifahrer aus Kairo. Er beschreibt die Wahlen als "Seifenoper" und erklärt: "Es ist klar, sie wollen Schafik. Deshalb zwingen sie die Bevölkerung, zwischen ihm und der Brüderschaft zu wählen. Sie wollen, dass er gewinnt."

Tanya El Kashef, stellvertretende Herausgeberin einer Lifestyle-Website, sagte zum britischen Guardian: "Ich glaube, die von den USA finanzierte Armee hat ihren Kandidaten schon vor einiger Zeit festgelegt und wir dürfen dabei nur mitspielen."

rotz der behördlichen Androhungen, jeden zu bestrafen, der seiner "patriotischen Pflicht" nicht nachkomme, weigerten sich die meisten Ägypter, für einen der beiden Kandidaten zu stimmen.

Ahmed Saad el-Deen, ein Architkekt in Sayedah Zeinab, einem kleinbürgerlichen Viertel in Kairo, sagte: "Es ist eine Farce. Ich habe die Namen der beiden Kandidaten auf meinem Wahlzettel durchgestrichen und darauf geschrieben: 'Die Revolution geht weiter'. Ich kann nicht für denjenigen stimmen, der meinen Bruder umgebracht hat oder den zweiten, der auf seinem Leichnam getanzt hat."

Er erläutert, dass Schafik unter Mubarak Premierminister gewesen sei und die berüchtigte "Kamelschlacht" mit zu verantworten habe, bei der Mubaraks Schläger Demonstranten auf dem Tahrir-Platz angriffen, und dass die MB in den vergangenen Monaten eng mit dem SCAF zusammengearbeitet hätten.

Mohamed Abdel-Fatah Ali aus den Arbeitervororten von Ain Shams erklärte seine Ablehnung der Kandidaten: "Die Bruderschaft besteht aus Lügnern und Betrügern. Wir haben auch Christen, also brauchen wir einen konfessionslosen Staat und keinen islamistischen. Was Schafik angeht, so ist er eine Fortsetzung des Mubarak-Regimes, ein Mann des Militärs."

Omar Abdel Aziz, ein 24jähriger junger Mann, sagte dem Egypt Independent: "Eine Stimme für Schafik ist ein Schlag ins Gesicht der Märtyrer und eine Stimme für Mursi ist das Todesurteil für das Land. Wie kann ich da wählen?"

Unter denen, die sich für eine Stimmabgabe entschieden, herrschte großes Misstrauen. Asmaa Fadil, die darauf wartete, ihre Stimme in Sayedeh Zeinab abzugeben, sagte, sie habe das Vertrauen in den gesamten "demokratischen Übergang" verloren, insbesondere nach dem Putsch: "Ich traue der ganzen Angelegenheit nicht. Ich habe das Gefühl, alles ist vorher geplant und das, was wir jetzt tun, ein Teil des Plans."

Mit dem Putsch und den manipulierten Wahlen versuchen die Generäle, die Arbeiterklasse einzuschüchtern und jeglichen Widerstand von ihr zu unterdrücken. Die Arbeiterklasse war die Haupttriebkraft hinter der Revolution gegen Mubarak im vergangenen Jahr. Die herrschende Elite Ägyptens versucht, um jeden Preis ein Wiederholung der ersten Tage der Revolution zu verhindern, als Massenstreiks und Demonstrationen die Eckpfeiler des bürgerlichen ägyptischen Staates erschütterten, und die Generäle befürchteten, sich bei der Niederschlagung der Proteste nicht auf die Soldaten verlassen zu können.

Einen Tag vor dem Putsch gab das Innenministerium unter Generalmajor Mohammed Ibrahim ein Dekret heraus, das es der Polizei, der Militärpolizei und den staatlichen Geheimdiensten erlaubt, Zivilisten zu verhaften, die "der Regierung schaden", "Eigentum zerstören", "sich Anordnungen widersetzen" oder "den Verkehr behindern".

Sonntagnacht ergänzte der SCAF die Verfassungserklärung des Militärs vom 30. März 2011 um einen Artikel, der die diktatorischen Vollmachten der Armee erweitert. Er weist dem SCAF alle gesetzgebende Vollmacht und alle Haushaltsrechte zu und gestattet ihm auch, die Zusammensetzung der konstituierenden Versammlung festzulegen.

Der neue Artikel 53 zielt darauf ab, die politischen und wirtschaftlichen Interessen des Militärs zu sichern. Er legt fest, dass "die amtierenden Mitglieder des SCAF dafür verantwortlich sind, über alle Fragen abzustimmen, die die Streitkräfte betreffen, einschließlich der Ernennung ihres Führungsstabes und der Verlängerung seiner Amtszeit. Der gegenwärtige Vorsitzende des SCAF soll den Posten des Stabschefs der Streitkräfte und den des Verteidigungsministers einnehmen, bis eine neue Verfassung in Kraft tritt."

Der Artikel 53 b gestattet der Armee, jegliche Massenproteste niederzuschlagen, die die Autorität der Generäle infrage stellen. "Wird das Land von inneren Unruhen bedroht, die den Einsatz der Armee erforderlich machen, kann der Präsident die Streitkräfte - mit Zustimmung des SCAF - beauftragen, die Sicherheit aufrecht zu erhalten und öffentliches Eigentum zu verteidigen."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.06.2012
Ägyptische Präsidentschaftswahlen:
Massenenthaltungen und Wahlfälschung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012