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GLEICHHEIT/4271: Ägyptische Junta setzt Islamisten Mursi als Aushängeschild ein


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägyptische Junta setzt Islamisten Mursi als Aushängeschild ein

Von Barry Grey
26. Juni 2012



Die ägyptische Wahlkommission für die Präsidentschaftswahl erklärte am Sonntag Mohammed Mursi, den Kandidaten der Muslimbruderschaft (MB), zum Sieger der Stichwahl und damit zum neuen Präsidenten. Die Stichwahl hatte vor einer Woche inmitten eines politischen Putsches des Obersten Rats der Streitkräfte (SCAF) stattgefunden.

Die Bekanntgabe des Ergebnisses war drei Tage lang verzögert worden. In diesen Tagen strömten Zehntausende Menschen, die meisten von ihnen MB-Anhänger, auf dem Tahrirplatz in Kairo zusammen und verurteilten die diktatorischen Vollmachten, die sich der Militärrat angeeignet hat. Sie wollten verhindern, dass der SCAF das Wahlergebnis fälschte und seinen Favoriten, den ehemaligen Luftwaffenchef und letzten Ministerpräsidenten unter Mubarak, Ahmed Schafik, zum Präsidenten machte.

Viele Tausende warteten am Sonntag auf dem Platz auf die Bekanntgabe der Entscheidung. Truppen standen bereit, um Unruhen zu unterdrücken. Diese wurden für den Fall erwartet, dass die Entscheidung zu Gunsten Schafiks ausfiele.

Letzte Woche drohte die Junta an, mit "eiserner Faust" gegen Demonstranten vorzugehen, und ließ Truppen und gepanzerte Fahrzeuge vor dem Gebäude der Wahlkommission, dem leerstehenden Parlamentsgebäude und anderen öffentlichen Einrichtungen in Kairo stationieren. Gleichzeitig gab es hinter den Kulissen hektische Verhandlungen zwischen dem SCAF und den Muslimbrüdern. Der Deal beinhaltete, dass Mursi zu einem weitgehend machtlosen Präsidenten gemacht würde, wenn die Islamisten im Gegenzug diktatorischen Vollmachten für das Militär zustimmten.

Mohammed ElBaradei, der frühere Leiter der Internationalen Atomenergieagentur, war offenbar auch an diesen Verhandlungen beteiligt. Wie bekannt wurde, verhandelte er erst mit den MB über die mögliche Übernahme eines Kabinettspostens, und dann traf er sich Samstagabend mit dem Chef des Militärrats, Mohammed Hussein Tantawi. Dass die Entscheidung der Wahlkommission von dem Ergebnis dieser Gespräche abhängig sein würde, und nicht etwa vom Ausgang der Stichwahl, war kein Geheimnis.

Schließlich erklärte die Wahlkommission Mursi mit 51,7 Prozent zum Sieger. Schafik hatte 48,3 Prozent erhalten. Das entspricht einem Unterschied von 900.000 Stimmen. Die Beteiligung an der Stichwahl soll 51,6 Prozent betragen haben gegenüber noch niedrigeren 46 Prozent bei der ersten Wahlrunde.

Die massenhafte Enthaltung spiegelt den geringen Enthusiasmus in der Arbeiterklasse für beide Kandidaten wider. Schafik ist ein Relikt des verhassten Mubarak-Regimes, und Mursi der Sprecher einer rechten, pro-kapitalistischen, islamistischen Partei. Sie vertritt die Interessen von Teilen der Bourgeoisie und bessergestellter Mittelschichten.

Bald nach der Bekanntgabe der Wahlkommission gratulierte Tantawi Mursi zum Wahlsieg. Er wird sein Amt am 1. Juli übernehmen. Allerdings haben die Generale das Parlament und die konstituierende Versammlung aufgelöst, de facto das Kriegsrecht verhängt und die gesetzgebende Gewalt, die Haushaltsermächtigung und die Verantwortung für Sicherheitsdienste und Militär übernommen. Auch die konstituierende Versammlung, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll, wird erst durch den Militärrat einberufen.

Diese Travestie einer Demokratie ist das Ergebnis von Rangeleien zwischen rivalisierenden Fraktionen der herrschenden Elite, die sich kein Deut um die Meinung und die Interessen der breiten Masse der Ägypter scheren. Washington und andere imperialistische Mächte lobten das Ereignis sofort als Wendepunkt im "demokratischen Übergang", der angeblich vor sich gehen soll, wenn auch unter dem Stiefel der SCAF-Generale.

Obama gratulierte Mursi und dem ägyptischen Volk aus dem Weißen Haus für "diesen Meilenstein in ihrem Übergang zur Demokratie". Gleichzeitig forderte er den neuen Präsidenten auf, die vom Imperialismus bestimmten politischen Verhältnisse in der Region nicht anzutasten. Damit ist hauptsächlich der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel von 1979 gemeint. "Wir denken, es ist wichtig, dass die Regierung die Rolle Ägyptens als Garant regionalen Friedens, der Sicherheit und Stabilität weiter erfüllt", hieß es aus dem Weißen Haus.

Der britische Außenminister William Hague sagte: "Das ägyptische Volk hat einen neuen Präsidenten gewählt. Ich gratuliere ihm für das Ergebnis und für den friedlichen Verlauf."

Dieser Versuch, die Realität einer Militärdiktatur zu verschleiern und den Generalen zu ermöglichen, die massive Unterdrückung einer neuen Bewegung der Arbeiterklasse vorzubereiten, wird vom gesamten ägyptischen Establishment unterstützt, von den moderaten Islamisten über weltliche Liberale bis hin zu den kleinbürgerlichen pseudo-linken Organisationen. Letztere haben sich ohne Zögern hinter Mursi und die Moslembrüder gestellt.

Nach zweitägigen Diskussionen mit liberalen islamistischen Abweichlern von den MB, säkularen Nasseristen und Vertretern der Jugendbewegung 6. April gab Mursi am Freitag eine Pressekonferenz, in der er die Bildung einer nationalen Front bekanntgab. Er versprach, kein Mitglied der MB zum Ministerpräsidenten zu ernennen und auch andere Kabinettsposten an nicht-islamistische "nationale Kräfte" zu vergeben.

Nach der Bekanntgabe der Wahlkommission am Sonntag erklärten die Revolutionären Sozialisten (RS) die Wahl Mursis zu einem "bedeutenden revolutionären Sieg". Seit die revolutionäre Bewegung mit ihrem Zentrum in der Arbeiterklasse im Februar 2011 den Diktator Mubarak gestürzt hat, behaupten die RS, die Armee organisiere einen "demokratischen Übergang". Gleichzeitig arbeiten sie mit der Bruderschaft zusammen, um eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zum Sturz der Junta und zu ihrer Ersetzung durch eine Arbeiterregierung für den Sozialismus zu verhindern.

Obwohl das Militär sich diktatorische Vollmachten anmaßt, bekräftigten die RS in ihrer Erklärung vom Sonntag ihre Unterstützung für den nicht existenten "demokratischen Übergang". Sie schrieben über die Einsetzung Mursis: "Erneut beweisen die Massen, dass sie noch in der Lage sind, die Pläne des konterrevolutionären Militärs zu durchkreuzen. Die revolutionäre Kraft reicht immer noch aus, Erfolge zu erringen und revolutionäre Gesetze durchzusetzen."

So setzen die RS und andere pseudo-linke Organisationen (wie die Socialist Popular Alliance, die Egyptian Socialist Party und die Kommunistische Partei Ägyptens) ihre konterrevolutionäre Rolle fort. Die meisten von ihnen unterzeichneten eine Erklärung, in der sie die ägyptische Verfassung von 1971 unterstützten und die Rolle des Militärs im politischen Leben Ägyptens billigten - und das nur zwei Tage, bevor der SCAF das Parlament und die konstituierende Versammlung auflöste und das Kriegsrecht verhängte.

Mursis zentrale Funktion wird darin bestehen, mit dem Militär zusammen die Staatsgewalt gegen eine erneute Bewegung der Arbeiterklasse zu richten, denn alle Fraktionen des bürgerlichen Establishments befürchten, diese könnte den ägyptischen Staat stürzen und in der ganzen Region den Weg zu Arbeiterrevolutionen öffnen. Diese Befürchtung teilt auch die "linke" Flanke der Bourgeoisie, zu der die RS und ähnliche Gruppen zählen.

In einer nationalen Fernsehansprache am Sonntagabend versprach Mursi, er werde seinen Amtseid vor dem Parlament ablegen und nicht vor dem Obersten Verfassungsgericht, wie das die Generale vorgesehen haben. Das ist eine der Forderungen in der Erklärung der RS. Es ist der Versuch, einer abscheulichen Unterwerfungserklärung unter das Militär und den amerikanischen Imperialismus ein Feigenblatt vermeintlichen Widerstands aufzukleben.

Der in den USA ausgebildete gewählte Präsident erklärte, "nationale Einheit" sei "der einzige Weg aus der schwierigen Krise". Er äußerte seine Dankbarkeit und Bewunderung für das Militär, die Polizei, für Richter und Staatsbeamte, deren Arbeit "im Dienste der Nation" er lobte. Er sagte: "Ich ziehe den Hut vor ihnen. Sie müssen auch in Zukunft eine Rolle spielen."

Dann verbeugte er sich vor den USA und Israel und sagte: "Wir werden allen nationalen und internationalen Verträge einhalten."

Die pro-kapitalistische und pro-imperialistische Politik der Muslimbruderschaft zeigte sich am Samstag in einem freundlichen Interview des Wall Street Journals mit dem Führer der Organisation, dem Multimillionär Khairat al-Schater. Schater machte klar, dass er für marktwirtschaftliche Reformen sei, und sagte: "Unsere ökonomische Vision ähnelt einem modifizierten Kapitalismus."

Weiter erklärte er, eine enge "strategische Partnerschaft" mit den USA genieße für die Moslembrüder hohe Priorität.

Einen Schlüssel für die Rolle, die die Bruderschaft zu spielen gedenkt, findet sich in Artikel 53b des Verfassungsdekrets, mit dem sich der SCAF diktatorische Vollmachten sichert. Der Artikel lautet: "Wenn es im Land innere Unruhen gibt, die den Einsatz der bewaffneten Streitkräfte erfordern, dann kann der Präsident - nach Abspräche mit dem Militärrat - die Armee einsetzen, um die Sicherheit wiederherzustellen und öffentliches Eigentum zu schützen."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.06.2012
Ägyptische Junta setzt Islamisten Mursi als Aushängeschild ein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2012