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GLEICHHEIT/4275: Deutscher Finanzminister weist US-Präsidenten öffentlich zurecht


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Deutscher Finanzminister weist US-Präsidenten öffentlich zurecht

Von Stefan Steinberg
29. Juni 2012



Am vergangenen Wochenende hat Außenminister Wolfgang Schäuble den amerikanischen Präsidenten Barack Obama deutlich in die Schranken gewiesen. Dieser hat Deutschland in den letzten Wochen mehrfach gedrängt, sein finanzielles Engagement für die Rettung des Euro und der notleidenden europäischen Banken zu verstärken.

In einem Fernsehinterview erklärte Schäuble am Sonntag, dass Obama sich erst einmal auf die Beseitigung des amerikanischen Defizits konzentrieren solle, bevor er Europa Ratschläge erteile. Das amerikanische Defizit ist höher als das der Eurozone.

Schäubles Ermahnung, dass die Amerikaner erst einmal ihr eigenes finanzielles Haus in Ordnung bringen sollten, bevor sie den Europäern gute Ratschlage erteilten, ist die jüngste und öffentlichkeitswirksamste Zurschaustellung der wachsenden Spannungen zwischen den traditionellen Nachkriegspartnern. Im Hintergrund steht die Gefahr, dass die Krise in Europa völlig außer Kontrolle gerät.

Den Bemerkungen von Finanzminister Schäuble war ein scharfer Wortwechsel des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, am Vorabend des G-20-Gipfels in Mexiko mit einem kanadischen Journalisten vorausgegangen. Dieser hatte ihn gefragt, warum Nordamerika die europäische Krise mit finanzieren solle. Barroso erwiderte verärgert: "Wir sind nicht hierhergekommen, um uns in Fragen der Demokratie belehren zu lassen, oder wie wir unsere Ökonomie zu managen haben." Die Krise sei nicht von Europa ausgegangen, fuhr er fort, sondern von Nordamerika.

Das Wall Street Journal kommentierte Barrosos Bemerkungen mit den Worten, der Zwischenfall "zeigt, wie die Spannungen überkochen, während die Krise in eine noch gefährlichere Phase eintritt".

Gemeinsam mit der britischen Regierung und dem Internationalen Währungsfond drängt Washington Deutschland, zuzustimmen, frisches Geld in das europäische Bankensystem zu pumpen, entweder über die Europäische Zentralbank (EZB) oder über den Rettungsfond ESM der Europäischen Union. London und Washington fordern auch die Einführung eines gemeinsamen europäischen Finanzmechanismus', so genannter Eurobonds, um die Finanzierung der Staatsdefizite auf dem Kontinent zu erleichtern.

In seinem Fernsehinterview vom Sonntag bekräftigte Schäuble nach der Zurechtweisung Obamas noch einmal seine Ablehnung von Eurobonds. Schäuble hat schon häufig erklärt, dass Voraussetzung für die Einführung von Eurobonds die Aufgabe von Souveränität der europäischen Staaten in der Haushalts- und Fiskalpolitik sei.

Alle von Washington geforderten Maßnahmen würden den Transfer riesiger Summen von Deutschland zu den schwächeren Volkswirtschaften und Banken des Kontinents bedeuten. Dieser Schritt wird von der deutschen Regierung, der Bundesbank und großen Teilen der Wirtschaft entschieden abgelehnt.

Stattdessen verlangt die Regierung in Berlin eine Fortsetzung und Verschärfung der Sparpolitik, die schon jetzt zu einer beispiellosen Zerstörung des Lebensstandards in Europa geführt hat

Das Handelsblatt, das Sprachrohr der deutschen Wirtschaftsinteressen, versucht dem Druck aus Washington auf Berlin entgegenzuwirken, indem es dem Konkurrenten Obamas bei der Präsidentschaftswahl, Mitt Romney, eine Plattform gibt.

Vor dem G-20-Gipfel veröffentlichte das Handelsblatt einen Gastkommentar des Romney-Beraters R. Glenn Hubbard. Der Artikel mit dem Titel "Nicht von Amerika lernen" kritisierte Obamas Haushaltspolitik scharf und auch den Versuch des Präsidenten, den Europäern eine ähnliche Politik aufzudrängen.

Obama reagierte auf den Handelsblatt-Artikel scharf. Auf einer Pressekonferenz nach dem Mexiko-Gipfel kritisierte Obama, dass das Romney-Lager eine deutsche Zeitung für seinen Wahlkampf genutzt habe. "Ich möchte darauf hinweisen, dass wir jeweils nur einen Präsidenten und eine Regierung haben... Traditionell enden die politischen Differenzen Amerikas am Großen Wasser", sagte Obama gegenüber Reportern.

Das Handelsblatt hat seitdem unverfroren mit dem Kommentar: "Amerika braucht einen Wandel" nachgelegt, in dem der Herausgeber für einen neuen Präsidenten 2012 eintritt. Er erklärt, dass Obama bei seiner Wahl 2008 der "falsche Mann zum falschen Zeitpunkt" war.

Die mit zunehmender Schärfe öffentlich ausgetragenen Streitereien über den Atlantik hinweg sind Ausdruck der Tiefe der Krise, die auch Jahrzehnte alte politische Beziehungen über den Haufen werfen.

Nach der Einführung des Euro 1999 betrachteten die USA ihn als Bedrohung für die Rolle des Dollar als führende Weltwährung und nutzten ihre Geldpolitik mehrfach, um die europäische Gemeinschaftswährung zu schwächen. Paradoxerweise hat der schwächere Euro der stärksten europäischen Volkswirtschaft, Deutschland, genutzt, die in der Lage war, ihre Exporte weltweit zu steigern, besonders aber nach China, dem größten Wirtschaftsrivalen der USA. Gleichzeitig bedeutet die gegenseitige Abhängigkeit der Finanzmärkte, dass ein Kollaps des Euro verheerende Auswirkungen nicht nur auf die USA, sondern auf die ganze Weltwirtschaft hätte.

Unabhängig davon, ob offen darüber gesprochen wird oder nicht, werden diese Spannungen zwischen den Großmächten den EU-Gipfel an diesem Wochenende bestimmen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 29.06.2012
Deutscher Finanzminister weist US-Präsidenten öffentlich zurecht
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012