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GLEICHHEIT/4380: Die Bergarbeiter in Südafrika und die Furcht vor "Ansteckung"


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Bergarbeiter in Südafrika und die Furcht vor "Ansteckung"

Von Bill Van Auken
6. September 2012



Am Montag wurden vier südafrikanische Goldbergarbeiter durch Schüsse der Polizei verletzt. Erst vor drei Wochen waren am 16. August 34 Platinbergarbeiter der Marikana Mine, die zum Bergbaukonzern Lonmin gehört, in einem Massaker erschossen worden.

Ähnlich wie in Marikana ist der Ausstand in der Modder East Mine des Konzerns Gold One ein wilder Streik, der gegen den Widerstand der Bergarbeitergewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) ausgebrochen ist. Die NUM, die größte Gewerkschaft Südafrikas und ein Pfeiler der Regierung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), verteidigt das Massaker in Marikana bis heute und verlangt, dass militante Bergarbeiter eingesperrt werden.

Die Ausbreitung der Kämpfe der Bergarbeiter beunruhigt die Investoren der Bergbaukonzerne, den regierenden ANC und seine Partner in der NUM-Bürokratie erheblich. So warnte Gary van Staden von der unabhängigen Wirtschaftsberatungsfirma NKC: "Ich glaube, die Gefahr der Ansteckung ist sehr groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich wilde Streiks in den Bergwerken ausbreiten, ist ziemlich groß."

Die herrschende Klasse fürchtet eine "Ansteckung", denn die Lage der südafrikanischen Arbeiter hat universellen Charakter. Vor vier Jahren hat der Zusammenbruch der Wall Street eine vernichtende globale Wirtschaftskrise eingeleitet. In einem Land nach dem anderen steht die Arbeiterklasse vor einem Kampf gegen das politische Establishment, das ihren sozialen Rechten zutiefst feindlich gegenübersteht und Parteien und Gewerkschaften kontrolliert, die angeblich die Arbeiter vertreten.

Der ANC hatte einst den Ruf, für die Befreiung der Bevölkerung zu kämpfen, doch explosive Klassenkämpfe haben den bereits verblassten Ruf gründlich zerstört. Die Strategen der herrschenden Klasse fragen sich ängstlich, wie weit sich Streiks und Proteste angesichts der brodelnden Unzufriedenheit der Arbeiterklasse ausweiten werden.

Achtzehn Jahre, nachdem die Apartheid in Südafrika nach Jahrzehnte langen, opferreichen Kämpfen offiziell abgeschafft wurde, herrschen immer noch die gleichen Interessen der multinationalen und afrikanischen Firmen wie zur Zeit der Herrschaft der weißen Minderheit. Heute verteidigen auch der ANC und die NUM diese Interessen. Beide sprechen für eine Schicht korrupter schwarzer Politiker und mit ihnen verbündeter Kapitalisten, die als einzige von der "Wirtschaftspolitik zu Gunsten der Schwarzen" in der Nach-Apartheid-Ära profitiert haben. Für Massen südafrikanischer Arbeiter sind die Lebensbedingungen genauso schlecht, wenn nicht schlechter, als unter der weißen Herrschaft. So bringt die schwere und gefährliche Arbeit der Bergarbeiter diesen oft nicht mehr als 300 Dollar im Monat ein.

Katiso Mosebetsane, 22 Jahre, ist nach Marikana gekommen, um nach dem Leichnam seines Vaters zu suchen, der bei dem Massaker am 16. August getötet worden war. Er fasste die Gefühle vieler Arbeiter zusammen: "Die Unternehmer, die Regierung, die Polizei und sogar die Gewerkschaften arbeiten zusammen. Eigentlich müssten sie für uns sorgen, aber sie sind gegen das Volk. Das ist Apartheid", sagte er dem Independent.

Die Klassenkämpfe in den Bergwerken in Südafrika laufen parallel zu einer ganzen Welle von Kämpfen auf allen Kontinenten: Chrysler-Arbeiter in den USA, Lufthansa Kabinenpersonal in Europa, Hyundai-Arbeiter in Asien und der öffentliche Dienst in Brasilien befinden sich im Kampf. Diese Kämpfe nehmen immer mehr die Form einer offenen Rebellion gegen die bestehenden Gewerkschaften an. Wenn die Kämpfe unter der Kontrolle dieser Organisationen bleiben, werden sie isoliert, unterdrückt und besiegt.

Überall sieht man in den Worten des jungen südafrikanischen Arbeiters, dass "die Unternehmer, die Regierung, die Polizei und sogar die Gewerkschaften zusammenarbeiten", um eine soziale Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. So sieht die Reaktion der kapitalistischen herrschenden Klasse auf die Krise aus.

Um die Rolle der NUM in Südafrika zu erklären, führen viele die Evolution von Cyril Ramaphosa als Beispiel an, der in den 1980er Jahren die Gewerkschaft führte, dann Generalsekretär des ANC wurde und am Ende des Jahrzehnts im privaten Sektor tätig wurde. Dort erlebte er einen kometenhaften Aufstieg und wurde zu einem der reichsten Männer Südafrikas mit einem Vermögen von ca. 230 Millionen Dollar. Er sitzt im Aufsichtsrat von Lonmin. Die Unterdrückung der Platinbergarbeiter durch diesen Konzern führte zu dem Streik und dem Massaker im vergangenen Monat.

Die Geschichte Südafrikas verleiht diesem Phänomen natürlich einen spezifischen Charakter, aber es ist sicherlich nicht auf Südafrika beschränkt. In den USA besitzt die Autoarbeitergewerkschaft UAW 55 Prozent der Aktien von Chrysler, und ein Bürokrat der UAW sitzt im Aufsichtsrat des Konzerns. Nicht nur die südafrikanischen Bergarbeiter, auch die Autoarbeiter, wie z.B. die Arbeiter im Motorenwerk von Chrysler in Dundee, Michigan, sehen in diesen so genannten "Arbeiterorganisationen" ihre Feinde und die direkten Ausführungsorgane des Managements. Die Arbeiter in Dundee hatten einen lokalen Tarifvertrag zurückgewiesen, den die UAW ausgehandelt hatte.

Wie die südafrikanische NUM ein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung der Unterdrückerherrschaft hat, die für die Bergwerkskonzerne sehr profitabel ist, so hat auch die UAW ein direktes Interesse an der Einführung eines gespalteten Lohnsystems, an Zwölf-Stunden-Schichten und an einem Stundenlohn von neun Dollar in Autowerken. Ursache dafür ist nicht in erster Linie die Korruptheit oder der Verrat des einen oder anderen Gewerkschaftsbürokraten, sondern die Verwandlung dieser Bürokratien in Wirtschaftsunternehmen mit dem Geschäftszweck Kontrolle der Arbeiterklasse.

In Südafrika hat dies das Trauerspiel der NUM hervorgebracht, einer Organisation, die von sich behauptet, sie vertrete die Arbeiter, und dabei der Polizei hilft, Arbeiter zu ermorden. Eine Verschärfung des Klassenkampfs in den USA oder Europa wird ähnliche Reaktionen hervorbringen.

In Südafrika, in den USA und auf der ganzen Welt muss die Arbeiterklasse mit diesen Organisationen brechen und eine neue revolutionäre Führung aufbauen, die den Kampf um die Staatsmacht führt und für sozialistische Politik kämpft. Sie muss die Bergwerke, Banken und Großkonzerne enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter stellen.

Diese Bewegung muss sich mit der bewussten internationalen Strategie bewaffnen, welche die Arbeiterklasse jeden Landes in den Kampf gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus mit einbezieht.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.09.2012
Die Bergarbeiter in Südafrika und die Furcht vor "Ansteckung"
http://www.wsws.org/de/2012/sep2012/cont-s06.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2012