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GLEICHHEIT/5104: Bundesregierung will Befragung Edward Snowdens verhindern


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Bundesregierung will Befragung Edward Snowdens verhindern

Von Sven Heymanns
15. April 2014



Die Regierungsparteien Union und SPD wollen eine Befragung Edward Snowdens im Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre verhindern. Auf keinen Fall soll eine Anhörung Snowdens, der die Überwachung der Weltbevölkerung durch die Geheimdienste aufgedeckt hat, das außenpolitische Verhältnis zu den USA gefährden.

Ein Antrag auf Anhörung des früheren NSA-Mitarbeiters, den die Vertreter von Grünen und Linkspartei gestellt hatten, wurde in der letzten Ausschusssitzung am vergangenen Donnerstag systematisch verzögert. Die Ausschussmitglieder von Union und SPD beschlossen, eine Abstimmung darüber erst in der nächsten Sitzung des Gremiums durchzuführen. Bis dahin solle ein Gutachten der Bundesregierung klären, ob und inwiefern eine Befragung Snowdens überhaupt möglich wäre.

Da die nächste Sitzung des Ausschusses erst am 8. Mai stattfindet, lässt dies Bundeskanzlerin Angela Merkel freies Spiel für ihren Besuch in den USA, zu dem sie am 2. Mai aufbrechen wird. Ein Affront gegen den wichtigsten außenpolitischen Verbündeten der deutschen Regierung wäre damit fürs Erste verhindert, so das Kalkül.

Seit der NSA-Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen hat, macht die Bundesregierung deutlich, dass sie nicht das geringste Interesse daran hat, Licht in die kriminellen Machenschaften der National Security Agency (NSA) und ihrer Zusammenarbeit mit den deutschen Geheimdiensten zu bringen.

Snowden hat ein gigantisches illegales Spionagenetz aufgedeckt, das grundlegende demokratische Rechte außer Kraft setzt. "Man könnte jede E-Mail auf der ganzen Welt lesen. Von jedem, von dem man die E-Mail-Adresse besitzt, man kann den Verkehr auf jeder Webseite beobachten, auf jedem Computer, jedes Laptop, das man ausfindig macht, kann man von Ort zu Ort über die ganze Welt verfolgen", sagte Snowden Anfang des Jahres dem Nachrichtensender NDR.

In Bezug auf den BND machte Snowden unmissverständlich klar, dass der deutsche Geheimdienst über das Programm XKeyScore Zugang zu den Datenbanken der NSA habe. Über diese Datenbank seien sämtliche durch die NSA gespeicherten Daten abrufbar. Snowden hat nicht nur aufgezeigt, dass der BND Zugang zu den Daten deutscher Bürger hat, sondern auch angedeutet, dass er diese selbst sammelt.

Der Journalist Glenn Greenwald, der Snowdens Material kennt und in Teilen veröffentlicht hat, äußerte sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgendermaßen: "Es wäre unglaublich unverantwortlich, die Spionage der NSA in Deutschland zu untersuchen, ohne den Menschen zu befragen, der mehr darüber weiß als jeder andere auf diesem Planeten. [...] Wer diese Informationen nicht prüft, kann nicht von einer ernsthaften Untersuchung sprechen."

An einer ernsthaften Untersuchung hat die Bundesregierung offensichtlich kein Interesse. Sie will eine Zeugenvernehmung von Snowden verhindern. Weil aber die Oppositionsparteien im Untersuchungsausschuss das Recht haben, selbst Zeugen zu laden, kam es bereits zu Beginn zu heftigen Auseinandersetzungen. Mitte vergangener Woche trat der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) zurück.

Binninger, der bereits im NSU-Untersuchungsausschuss Obmann der Unionsfraktion gewesen war, gab als Grund an, Grüne und Linke würden den Untersuchungsausschuss zur "politischen Profilierung" nutzen. Außerdem habe er erhebliche Zweifel, ob eine Einladung Snowdens sinnvoll sei. Fraglich sei, ob Snowden überhaupt etwas Neues mitzuteilen habe, zumal er sich bei seiner Anhörung im Europäischen Parlament nur sehr allgemein geäußert habe.

Eine solche Einschätzung ist einigermaßen absurd. Snowden konnte sich in Straßburg vor allem deshalb nicht offen und im Detail äußern, weil als erste Bedingung für sein Asyl in Russland verlangt wurde, dass er den USA keinen weiteren außenpolitischen Schaden zufüge.

Snowden befindet sich derzeit noch in Russland, wo sein einjähriges Asyl jedoch Ende Juli ausläuft. Die USA betrachten ihn als Staatsfeind, haben seinen Reisepass für ungültig erklärt und fordern seine Auslieferung. In den Vereinigten Staaten, die ihn per internationalem Haftbefehl suchen, könnte ihm sogar die Todesstrafe drohen. Vor allem angesichts der heftigen Spannungen zwischen Russland und den USA ist sein weiteres Schicksal völlig ungewiss.

Einer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags steht der frühere NSA-Mitarbeiter offen gegenüber. Er sei "gern bereit" dort auszusagen und knüpfe dies an keinerlei Bedingungen, ließ er über seinen Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck am Freitag verlautbaren. Dieser erklärte, wie detailliert sich Snowden äußern könne, hänge auch von den konkreten Bedingungen ab, unter denen eine Aussage erfolgen würde.

Der Rücktritt von Ausschuss-Chef Binninger war offenbar eine Folge des starken Drucks, eine Anhörung Snowdens auf keinen Fall zuzulassen. Der Obmann der Grünen im Ausschuss, Konstantin von Notz, vermutete eine direkte Einflussnahme des Kanzleramts und der Unionsfraktionsspitze, was Binninger allerdings bestritt.

Fest steht, dass die Regierung kein Interesse an einer ernsthaften Aufklärung der NSA-BND-Machenschaften hat. Die Arbeit des Ausschusses steht unmittelbar unter dem Eindruck der Wende in der deutschen Außenpolitik. Nachdem die Bundesregierung gemeinsam mit den USA einen Putsch in der Ukraine unterstützt hat und eine aggressive Konfrontation mit Russland vorantreibt, soll das transatlantische Bündnis durch nichts gestört werden.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) machte das in den vergangenen Tagen unmissverständlich klar. In einem Interview mit dem aktuellen Spiegel sagte er, die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der USA, Großbritanniens und Deutschlands sei unverzichtbar: "Sie liegt in unserem nationalen Interesse. Und sie darf nicht beschädigt werden, auch nicht durch den Untersuchungsausschuss."

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer, gab unumwunden zu, welches Schicksal Snowden blüht, sollte er tatsächlich als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss aussagen: "Wenn Snowden nach Deutschland käme, müsste die Bundesregierung meines Erachtens einem rechtlich einwandfreien Auslieferungsersuchen der USA stattgeben."

Auch der neue Vorsitzende des NSA-Ausschusses, Patrick Sensburg (CDU), machte am Wochenende umgehend klar, dass eine Aussage Edward Snowdens auf deutschem Boden nahezu undenkbar sei. In der Bild am Sonntag sagte er, er halte eine Vernehmung in Deutschland "für rechtlich sehr problematisch". Stattdessen könne man eine Befragung per Video-Konferenz oder "in einem sicheren Drittland" in Erwägung ziehen. Es sei nicht Aufgabe des Untersuchungsausschusses, Snowden in Deutschland Asyl zu verschaffen.

Dass Union und SPD mit allen Mitteln verhindern wollen, dass Edward Snowden persönlich vor den Ausschuss geladen wird, sagt viel über den Charakter der Großen Koalition. Statt die internationale Geheimdienstverschwörung aufzuklären, strebt sie danach, diese rechtswidrigen Überwachungsmaßnahme hierzulande auszuweiten. Die Bundesregierung hegt gegenüber der Bevölkerung dasselbe Misstrauen, wie die US-Regierung und baut den Polizeistaat aus.

Das Verhalten von Grünen und Linken im Untersuchungsausschuss hat nichts mit der Verteidigung demokratischer Rechte zu tun. Während sie selbst auf allen Ebenen in den Sicherheitsapparat und die Geheimdienste integriert sind, übernehmen sie die Aufgabe, dem Verhalten der Regierungsparteien ein scheindemokratisches Mäntelchen umzuhängen, und spielen damit eine wichtige Rolle in diesem NSA-Vertuschungsausschuss.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.04.2014
Bundesregierung will Befragung Edward Snowdens verhindern
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2014