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GLEICHHEIT/5391: Ukrainisches Parlament beschließt Annäherung an die Nato


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ukrainisches Parlament beschließt Annäherung an die Nato

Von Patrick Martin
30. Dezember 2014



Das ukrainische Parlament stimmte am Dienstag für die Aufhebung eines Gesetzes, das das Land bisher als "blockfrei" definiert und damit verhindert hatte, dass es der Nato beitritt. Hierbei handelt es sich um eine kalkulierte Provokation weiterer Konflikte mit Russland. Das Gesetz wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 303 zu acht Stimmen angenommen, einen Monat zuvor hatte der ukrainische Präsident seine Unterstützung angekündigt.

Die beiden großen rechten Parteien im Parlament, die von Poroschenko, bzw. von Premierminister Arseni Jazenjuk angeführt werden, nahmen bei dem Vorhaben die Vorreiterrolle ein. Auch ultrarechte und neofaschistische Abgeordnete stimmten dafür, dem Land den Eintritt in das von den USA dominierte Militärbündnis zu ermöglichen.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Ukraine in der unmittelbaren Zukunft um Nato-Mitgliedschaft bewirbt, da ihre Streitkräfte deutlich unter den Nato-Standards für Bewaffnung, Ausbildung und Militärhaushalt liegen. Da die Ukraine am Rande des Staatsbankrotts steht, kann die zum Erreichen dieses Ziels notwendige militärische Aufrüstung nur langsam vonstatten gehen.

Das Ziel wurde jedoch gesetzt. Der ukrainische Außenminister Pavlo Klimkin erklärte in einer Rede vor dem Parlament: "Dies wird zur Integration in den europäischen und euro-atlantischen Raum führen." Ein Sprecher der Nato lieferte dazu die passende Antwort: "Unsere Türe steht offen und die Ukraine kann Nato-Mitglied werden, wenn sie das will und die Standards einhält, und sich an die notwendigen Prinzipien hält."

Die Abstimmung war hauptsächlich eine politische Geste der Feindseligkeit gegenüber dem Nachbarstaat Russland. Poroschenko erklärte kurz vor der Abstimmung vor einer Gruppe von ausländischen Botschaftern, der Kampf der Ukraine für "ihre Unabhängigkeit, territoriale Integrität und Souveränität ist ein entscheidender Faktor in unseren Beziehungen zur Welt geworden."

Russische Regierungsvertreter zeigten sich darüber erbost. Premierminister Dmitri Medwedew erklärte, das Abrücken der Ukraine von der Blockfreiheit werde "negative Folgen" haben. "Ein Antrag auf Nato-Mitgliedschaft wird die Ukraine im Wesentlichen in einen potenziellen militärischen Gegner Russlands verwandeln", erklärte er.

Der russische Außenminister Sergei Lawrow bezeichnete das Vorgehen der Ukraine als einen "kontraproduktiven" Schritt, der die politischen Spannungen verschärfen werde. "Er wird die Konfrontation nur verschärfen und die Illusion schaffen, es sei möglich, die tiefe innere Krise der Ukraine mit solchen Gesetzen zu lösen," erklärte er.

Wenn die Ukraine tatsächlich Nato-Mitglied werden würde, wären die USA und ihre europäischen Verbündeten nach Artikel IV des Nato-Vertrages rechtlich dazu verpflichtet, Krieg zur Verteidigung der Ukraine zu führen, was auch die Ansprüche der Ukraine auf die Krim beinhalten würde, die Anfang des Jahres den Anschluss an Russland gesucht hatte, sowie die ostukrainischen Gebiete, die momentan von prorussischen Separatisten kontrolliert werden.

Da dies die Gefahr eines Krieges zwischen Atommächten birgt, haben sich die großen europäischen Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, gegen die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ausgesprochen. Die Obama-Regierung hat jedoch keine derartigen Vorbehalte.

Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Marie Harf, orientierte sich am Mittwoch bei einer Pressekonferenz an der offiziellen Stellungnahme der Nato und erklärte: "Die Tür steht offen... Länder, die bereit sind, zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum beizutragen, sind eingeladen, die Mitgliedschaft zu beantragen. Jeder Antrag wird in geprüft werden."

Zum Schluss erklärte sie: "Die Entscheidung über eine potenzielle Nato-Mitgliedschaft liegt bei der Ukraine und der Nato." Mit anderen Worten, Russland hat nichts dazu zu sagen, ob Nato-Panzer und Kampfflugzeuge direkt an seinen Grenzen stationiert werden sollten.

Die Ukraine hatte sich erst im Jahr 2010 zur Zeit der Präsidentschaft des von Russland unterstützten Wiktor Janukowitsch offiziell für blockfrei erklärt. Doch das Prinzip, dass die Ukraine nicht der Nato beitreten würde, die als antisowjetisches und antirussisches Militärbündnis gegründet wurde, wurde zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion sowohl von stalinistischen als auch von imperialistischen Vertretern akzeptiert.

Als die Ukraine im Jahr 1991 aus der Sowjetunion austrat und eine unabhängige Republik wurde, gab das Land seinen Teil des sowjetischen Atomarsenals auf, der unter internationaler Aufsicht zerstört wurde, und die Nato-Mächte einigten sich stillschweigend, dass der von den USA dominierte Block sich nicht in das Territorium der ehemaligen Sowjetunion ausdehnen sollte. Diese Vereinbarung wurde unter der Bush-Regierung gebrochen, als Litauen, Lettland und Estland als Nato-Mitglieder aufgenommen wurden.

Die Integration der Ukraine in die Nato wäre eine ganz andere Größenordnung. Die Nato-Truppen würden damit so weit im Osten stehen wie Hitlers Armeen in den Tagen vor der Schlacht um Stalingrad vor 72 Jahren, dem Wendepunkt der Kämpfe an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg.

Hitler eroberte nahezu das gesamte Staatsgebiet der heutigen Ukraine. Diesen Erfolg wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama nicht durch eine offene Invasion wiederholen, sondern mittels Geld, politischer Subversion und Neonazi-Banden.

Russische Regierungsvertreter bekräftigten in den Verhandlungen, die zu dem Waffenstillstand zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten in den ostukrainischen Provinzen Donezk und Lugansk am 5. September führten, ihre Ablehnung eines Nato-Beitritts der Ukraine.

Diese Verhandlungen sollten am 24. Dezember in der weißrussischen Hauptstadt Minsk fortgesetzt werden, aber die Entscheidung des ukrainischen Parlaments hat zusätzliche Probleme aufgeworfen. Die Führung der prorussischen Separatisten erklärte bereits, sie werde möglicherweise nicht teilnehmen, weil die ukrainische Regierung die Zahlung staatlicher Renten und anderer Sozialleistungen an die Bewohner der von Separatisten kontrollierten Gebiete eingestellt habe.

Vertreter der ukrainischen Regierung erklärten am Montag, sie würden möglicherweise den Druck auf die östlichen Regionen durch Kürzung der Stromlieferungen verschärfen. Der stellvertretende Energieminister Oleksandr Swetelyk erklärte, die Kämpfe im Osten hätten die Kohleproduktion in dem Gebiet gestört, aus der Kohlekraftwerke beliefert werden.

"Um den Zusammenbruch des Stromnetzes zu retten, müssen wir die Belieferung von allen kontingentieren," erklärte er. "Es gibt keine Regionen der Ukraine, in denen es keine größeren Stromausfälle geben wird." Er erklärte, wenn sich die östliche Region weigert, gemäß den Angaben seines Ministeriums den Strom zu rationieren, würde ihm der Zugang gänzlich abgeschnitten werden. Die Ukraine hat ein tägliches Defizit von 3.500 Megawatt, und die Kohlereserven sind nur ein Drittel so hoch, wie sie Anfang des Winters sein müssten.

Die Stromkrise ist nur ein Teil des allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs in der Ukraine. Die Jazenjuk-Regierung hat ein radikales Sparprogramm in Kraft gesetzt, um den Konsum und die öffentlichen Ausgaben gemäß den Forderungen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds zu senken. Die Washington Post begrüßte das Haushaltskürzungs- und Privatisierungsprogramm in einem Leitartikel am Mittwoch, in dem Jazenjuks Kabinett als "der Traum eines Technokraten" bezeichnet und die Anwesenheit von Natalia Jaresko herausgehoben wurde, "einer amerikanischen Staatsbürgerin und hoch respektierten Investmentbankerin, die das Finanzministerium übernommen hat."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.12.2014
Ukrainisches Parlament beschließt Annäherung an die Nato
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2014


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